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Exklusiv In der Türkei steigen die Forderungsrisiken weiter an

Wer Geschäfte mit Firmen aus der Türkei macht, muss sich immer häufiger auf Zahlungsausfälle einstellen. Vor allem zwei Branchen sind betroffen.
10.08.2019 - 11:12 Uhr Kommentieren
Laut den Quartalszahlen türkischer Konzerne läuft die Wirtschaft gut. Quelle: AP
Türkisches Schiff

Laut den Quartalszahlen türkischer Konzerne läuft die Wirtschaft gut.

(Foto: AP)

Istanbul Betrachtet man die Entwicklung des Wechselkurses der türkischen Lira der vergangenen zwölf Monate, erscheint die Lage der türkischen Wirtschaft turbulent. Glaubt man den Quartalszahlen türkischer Konzerne, könnte es wirtschaftlich kaum besser laufen.

Für deutsche Unternehmer und Investoren ist aber eine andere Kennzahl wichtiger. Ihnen geht es darum, dass ihre Rechnungen bezahlt werden, wenn sie Geschäfte mit Firmen in der Türkei machen. Und da sieht es laut dem führenden Anbieter von Zahlungsabsicherungen düster aus.

Laut einer Untersuchung des Kölner Kreditversicherers Atradius sind die Forderungsrisiken im Türkeigeschäft für Lieferanten und Dienstleister seit Anfang des Jahres gestiegen. „Vor allem von der Bauwirtschaft und vom Handel geht eine hohe Unsicherheit für Zahlungsverzögerungen und -ausfälle aus“, heißt es in einer Analyse, die dem Handelsblatt vorliegt. Atradius weist darauf hin, dass es auch bei den vermeintlich stabileren Branchen in der Türkei aufgrund der fragilen Situation zu plötzlichen Zahlungsausfällen kommen kann.

Die türkische Wirtschaft war in den vergangenen Jahren einer ganzen Reihe von Risiken ausgesetzt. Zuletzt hatte die Notenbank des Landes die Leitzinsen um 4,25 Prozentpunkte gesenkt. Beobachter befürchteten einen Kollaps der Wirtschaft, der blieb jedoch aus.

Die Lira hatte zwar im vergangenen Jahr rund ein Drittel an Wert zum US-Dollar verloren. Doch seit Mai gehört sie zu den stärksten Währungen weltweit. Im Juli stiegen die Ausfuhren türkischer Unternehmen um 8,32 Prozent, während die Einfuhren um 7,98 Prozent sanken. Auch die Inflation im Land ging zwischenzeitlich zurück, legte aber zuletzt wieder zu.

Erholungseffekte nur von kurzer Dauer

Thomas Langen, Direktor für Deutschland, Mittel- und Osteuropa bei Atradius, sieht dennoch eine ganze Reihe von Gründen für die schlechte Zahlungsmoral in türkischen Unternehmen. Die zwischenzeitliche Schwäche der Lira und die sich anschließende Kreditklemme hätten die Türkei in eine Rezession gebracht. „Die Erholung der Wirtschaft zu Jahresbeginn dürfte nur eine Momentaufnahme infolge von Marktstimulationen vor der Kommunalwahl im März gewesen sein“, sagt Langen.

Die hohe Arbeitslosigkeit lasse das Konsumklima indes im Land weiter sinken, zeigt sich Langen im Gespräch mit dem Handelsblatt überzeugt. Gleichzeitig seien zahlreiche Unternehmen anhaltend hohen Belastungen durch ihre Auslandsverschuldung ausgesetzt. „Vor diesem Hintergrund gehen wir davon aus, dass die türkische Wirtschaft gegenüber dem Vorjahr schrumpfen wird. Damit einher geht ein hohes Forderungsrisiko für Exporteure.“

Türkische Unternehmen haben über 200 Milliarden US-Dollar Schulden in Fremdwährung angehäuft. Firmen aus allen Sektoren müssen mit den Banken über eine Restrukturierung sprechen. So verhandelt die Yildiz Holding, zu der der Nahrungsmittelgigant Ülker gehört, derzeit über die Restrukturierung von Schulden in Höhe von 5,5 Milliarden US-Dollar. Beim Telekomanbieter Türk Telekom geht es um 4,75 Milliarden Dollar, bei der Baufirma Cukurova um 1,6 Milliarden US-Dollar. Alleine die türkischen Spitzen-Fußballklubs können 28 Milliarden US-Dollar an Schulden zu den ursprünglich ausgehandelten Konditionen nicht zurückzahlen.

Nach Angaben der türkischen Bankenaufsicht Brsa lag der Anteil der Kredite mit Zahlungsschwierigkeiten (non-performing loans, NPL) Mitte Juli bei 4,46 Prozent. Im Vergleich zum Vorjahresmonat ist das nach Angaben der Deniz Bank ein Anstieg um 84,8 Prozent. Ein Blick auf die Branchen offenbart, dass es sich um Kernsektoren der türkischen Wirtschaft handelt, die mit Zahlungsausfällen von sich reden machen.

Erhebliches Überangebot

Eine besonders hohe Wahrscheinlichkeit, einen Zahlungsausfall zu erleiden, besteht laut dem Kreditversicherer Atradius derzeit bei Geschäften mit Baufirmen in der Türkei. Und das, obwohl Schwergewichte der Branche glänzen. Der Bau- und Agrarkonzern Tekfen beispielsweise hat im zweiten Quartal dieses Jahr sein Ergebnis vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen und sonstigen Aufwendungen (Ebitda) im Vergleich zum Vorjahresquartal um die Hälfte gesteigert.

Trotzdem sinkt laut Atradius die Zahlungsmoral. „Ein Grund hierfür ist das mittlerweile erhebliche Überangebot, das im türkischen Markt herrscht“, erklären die Atradius-Experten den Umstand. „Die Zinsen für Kredite sind hoch, die Vergabe von Wohnungsbaudarlehen geht zurück. Zusammen mit steigenden Materialkosten ergeben sich dadurch zunehmend Liquiditätsprobleme für türkische Bauunternehmen.“

Auch im Bereich des Handels läuft es nicht gerade rund, unter anderem im Bereich Mode und Textil. „Überkapazitäten, geringe Eigenkapitalausstattung, sinkende Inlands- und Exportnachfrage sowie der Wettbewerb im Fernen Osten sorgen für Liquiditätsengpässe bei den Abnehmern aus diesem Sektor“, resümiert Atradius-Experte Langen. Das Niveau der notleidenden Bankkredite der Branchenakteure liege hier bei mehr als acht Prozent

Die schlimmste Nachricht kommt aus der Automobilbranche. Sie ist der größte Exportsektor der Türkei. Fast jedes Auto, das in Deutschland ein Werk verlässt, enthält Teile, die in der Türkei gefertigt worden sind.
Die Produktion sowohl im Fahrzeug- als auch im Ersatzteilbereich ist rückläufig. So sind im Juli in der Türkei zwei Drittel weniger Autos verkauft worden als im Vorjahresmonat.

In den ersten sieben Monaten dieses Jahres wurden sogar 48 Prozent weniger Autos und kleine Transporter verkauft, wie der türkische Verband der Automobilverkäufer ODD am Freitag bekanntgab. „Aufgrund der schwachen Inlandsnachfrage, der hohen Inflation und erhöhter Steuern kommt es zu einem deutlichen Rückgang der Branche auf dem Inlandsmarkt“, erklärt Langen.

Alleine bei Volkswagen beträgt das Absatzminus in der Türkei im Juli 77 Prozent. Der Konzern will in Südost-Europa ein neues Werk bauen, auch die Türkei ist nach Informationen des Handelsblatts im Gespräch.

Laut Atradius seien auch Geschäfte mit türkischen Unternehmen aus der Kunststoff- und der Metallbranche „in den vergangenen drei Jahren höchst anfällig für Zahlungsausfälle“ gewesen. Ein Grund hierfür sei wiederum das zuletzt schlechtere Zahlungsverhalten der Kunden aus diesen Branchen. „Das hat die Liquiditätssituation der Firmen geschwächt.“ Auch Firmen in der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) weisen ein überdurchschnittlich hohes Risiko auf.

Erdogans Politik verunsichert die Anleger

Nach einer technischen Rezession über drei Quartale stieg das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Landes im ersten Quartal dieses Jahres um 1,3 Prozent. Für das Gesamtjahr rechnen Ökonomen mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 2,6 Prozent. Finanzminister Berat Albayrak glaubt indes, dass das Wachstum am Ende des Jahres positiv ausfallen werde.

Investoren, ausländische Unternehmer und Analysten haben zuletzt dennoch einiges an Vertrauen in die türkische Politik verloren, nachdem Präsident Erdogan mehr und mehr Macht auf sein Amt vereint hatte. Die Regierungspartei AKP habe dadurch die staatlichen Institutionen nach und nach von sich selbst abhängig gemacht, meint Mehmet Gün, Inhaber der Wirtschaftskanzlei Gün & Partners. „Infolgedessen wurde das Vertrauen in die Institutionen des Landes geschwächt und die Anleger verunsichert.“

Atradius-Manager Langen sieht erst im kommenden Jahr die Talsohle durchschritten. „Neben den wirtschaftlichen Faktoren wird die türkische Volkswirtschaft auch von politischen Unsicherheiten beeinträchtigt, unter anderem den anhaltenden Spannungen zwischen der türkischen Regierung auf der einen und der Europäischen Union sowie den USA auf der anderen Seite.“

Investoren seien seiner Meinung nach außerdem zunehmend verunsichert aufgrund der Rechtsunsicherheit am Bosporus. „Ein Lichtblick war zuletzt das Auslandsgeschäft türkischer Firmen. Die Nettoexporte des Landes erholten sich jüngst, unter anderem infolge der schwachen Lira.“ Von Entwarnung bei Geschäften in die Türkei will Langen aber noch nicht sprechen. „Frühestens im kommenden Jahr dürfte sich die Situation entspannen.“

Mehr: Erdogan will in Syrien in US-kontrolliertes Gebiet einmarschieren. Diesmal könnte er es ernst meinen.

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