Falschinformationen EU-Kommissarin Jourová lehnt Löschpflicht von Fake News als „Weg zur Zensur“ ab

Anders als die Bundesregierung mit dem NetzDG hat die EU-Kommission bislang auf freiwillige Lösungen gesetzt.
Brüssel EU-Kommissionsvize Vera Jourová lehnt die Pflicht für Online-Plattformen wie Facebook und Twitter ab, künftig gezielte Falschinformationen (Fake News) zu löschen. „Das wäre der Weg zur Zensur“, sagte die Kommissarin für Werte und Transparenz dem Handelsblatt. „Ich habe große Zweifel, dass wir Gesetze zur Desinformation brauchen, die einen Teil der Inhalte für rechtswidrig erklärt.“
Jourová bezieht sich dabei auf bewusst verbreitete Unwahrheiten in sozialen Netzwerken, die nach heutigem Recht nicht strafbar sind. Die Tschechin sieht zwar deren schädliche Wirkung auf die demokratische Debatte, befürchtet aber, dass durch strikte Vorgaben die Meinungsfreiheit zu stark eingeschränkt werden könnte.
Bei eindeutig illegalen Inhalten wie Kinderpornografie, Terrorismus oder strafrechtlich definierter Hassrede will Jourová den Online-Plattformen dagegen mehr Pflichten auferlegen: „Sie sollten viel aktiver als bisher illegale Posts aufspüren und mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten“, sagte sie besonders mit Blick auf Konzerne aus dem Silicon Valley. Die Anbieter müssten auch transparenter werden, „damit wir wissen, was hinter der dunklen Wand der Algorithmen passiert“, fordert die EU-Kommissarin.
Die EU-Kommission arbeitet derzeit an einem neuen Rechtsrahmen für die Plattformen. Bis Jahresende will sie im „Digital Services Act“ und im „Aktionsplan für die Demokratie“ Vorschläge vorlegen, wie der große Einfluss der Unternehmen auf die demokratische Meinungsbildung in den 27 EU-Ländern reguliert werden sollte. Über die Einzelheiten wird intern noch diskutiert, derzeit sammelt die Behörde zudem Meinungen von Interessenvertretern und Experten.
Anders als die Bundesregierung mit dem NetzDG hat die EU-Kommission bisher auf freiwillige Lösungen gesetzt. US-Konzerne von Facebook, Twitter bis hin zu Google und Microsoft unterzeichneten Selbstverpflichtungen zum Löschen illegaler Hassbotschaften und erklärten, stärker gegen Desinformationen vorzugehen. Angesichts der Masse von irreführenden Inhalten zur Corona-Pandemie drängte die Kommission die Anbieter zudem, ihr Vorgehen dagegen stärker offenzulegen.
Freiwilligkeit nur für den Übergang
Der freiwillige Ansatz sei aber immer nur eine Übergangslösung gewesen, sagte Jourová. Man habe schnelle Lösungen gebraucht, um der Flut von islamistischen Terrorbotschaften und rechter Hetze im Zuge der Flüchtlingskrise von 2015 etwas entgegenzusetzen.
„Wir brauchen jetzt mehr Rechtssicherheit und klare Regeln, die für alle Anbieter gelten“, sagte die Stellvertreterin von Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Wenn jedes Mitgliedsland eigene nationale Gesetze erlasse, entstehe ein Flickenteppich, mit dem Konzerne wie Facebook zurechtkämen, nicht aber kleinere Start-ups aus Europa.
Den Unternehmen mehr Pflichten aufzuerlegen sei angemessen, schließlich verdienten die Unternehmen „unglaublich viel Geld in der EU“. Weder der Staat noch allein die Konzerne dürften aber darüber entscheiden, was wahr sei und was nicht, betonte Jourová.
„Mein Ziel ist eine Konkurrenz der Meinungen“, sagte sie. Die Plattformen sollten daher genügend Platz für Fakten und Faktenchecker reservieren, damit falsche Informationen nicht zu viel Raum bekommen. Sie sollten überdies gegen das Geschäftsmodell der Desinformation vorgehen und deren „Urheber von Anzeigenerlösen abschneiden“. Viele große Werbekunden zögen ihr Geld bereits ab, weil sie nicht in diesem Umfeld erscheinen wollten.
Wichtig für die demokratischen Gesellschaften sei auch eine kritische Medienlandschaft. In ihrem Aktionsplan für die Demokratie will die Kommission auch Vorschläge machen, wie diese Gesellschaftsform gefördert werden kann.
Österreich als Negativbeispiel
Zum einen gehe es darum, angesichts der steigenden Zahl von Übergriffen und sogar Mordanschlägen kritische Journalisten besser zu schützen. Diskutiert werde aber auch eine finanzielle Unterstützung von Medienunternehmen, die in der Coronakrise unter starken Anzeigen- und Auflageschwund leiden.
Besonders für regionale und lokale Medien könne es Hilfen geben, stellte Jourová in Aussicht. „Natürlich ist es mit Blick auf die Unabhängigkeit der Redaktion problematisch, private Medienfirmen mit öffentlichen Geldern zu finanzieren“, räumte sie ein.
Österreich gilt in diesem Zusammenhang als Negativbeispiel. Dort werden von Bund- und Landesregierungen die einheimischen Medien mit Zuwendungen und großzügigen Anzeigen gefördert. Nach Meinung von Kritikern ist dadurch auch eine Einflussnahme verbunden.
Jourová betrachtet das dänische Modell als Vorbild für die EU: In dem skandinavischen Land zahlt der Staat den Unternehmen einen Ausgleich für den Wegfall von Werbeeinnahmen. Ein unabhängiges Gremium garantiere dabei die redaktionelle Unabhängigkeit.
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