Finanzpolitik Österreichs „ökosoziale Steuerreform“: Ein Meilenstein mit Widersprüchen

Der konservative Politiker senkt die Steuern deutlich.
Wien Nach eineinhalb Jahren Pandemie und vielen Streitereien will Österreichs Regierung endlich Tatkraft und Veränderungswillen demonstrieren. Die konservative ÖVP und ihr grüner Juniorpartner haben deshalb am Sonntag früher als erwartet ihr bisher wichtigstes Paket präsentiert: eine Steuerreform. Bis in die frühen Morgenstunden hatten die Koalitionspartner noch um letzte Details gerungen. „Es ist ein Mega-Projekt, das wir über Monate erarbeitet haben“, meinte Kanzler Sebastian Kurz.
Herausgekommen sind Entlastungen von 18 Milliarden Euro bis 2025 für weite Teile der Bevölkerung. Wie unterschiedlich die beiden Parteien sind, zeigte sich an den Schwerpunkten, die ihre Vertreter an der Pressekonferenz setzten: Während die ÖVP die Erleichterungen für Familien und arbeitende Menschen betonte, sehen die Grünen die verabschiedete „ökosoziale Steuerreform“ in erster Linie als Beginn einer Trendwende in der Klimapolitik.
„Wer das Klima schützt, darf nicht der Dumme bleiben“, betonte der grüne Vizekanzler Werner Kogler. „Weniger Dreck in der Luft, aber mehr Geld im Börsel“, brachte er das Motto der Reform ebenso eingängig wie plakativ auf den Punkt. Für seine Partei besonders bedeutsam ist die erstmalige Einführung einer CO2-Bepreisung für alle Sektoren der Wirtschaft bis Mitte 2022.
Mit 30 Euro pro Tonne liegt der Preis zwar deutlich tiefer, als dies Grüne und Klimaforscher gefordert hatten. Er soll dafür jedes Jahr ansteigen, bis 2025 auf 55 Euro. Damit folgt Österreich dem deutschen Vorbild. Eine stärkere Belastung hatte die ÖVP strikt abgelehnt, mit Verweis auf die Konkurrenzfähigkeit der produzierenden Industrie. Man wolle vermeiden, dass diese abwandere. Die Wirtschaft profitiert zusätzlich von einer Senkung der Unternehmensgewinnsteuer und Förderungen für ökologische Investitionen.
Um die Verteuerung fossiler Energieträger wie Benzin zu kompensieren, werden die Erträge an die Bevölkerung zurückgezahlt, ähnlich wie in der Schweiz. Dies geschieht im Rahmen eines „Klimabonus“, wobei Stadt und Land unterschiedlich behandelt werden: Die österreichischen Siedlungsräume wurden dafür in vier Kategorien eingeteilt. Die Regierung geht davon aus, dass eine höhere Bevölkerungsdichte klimafreundliches Verhalten leichter macht, etwa durch ein besseres Angebot beim öffentlichen Verkehr. In den großen Städten ist der Bonus deshalb nur halb so hoch wie in abgelegenen Dörfern. Soziale Unterschiede spielen bei der Berechnung keine Rolle.
Mit dieser holzschnittartig anmutenden Unterscheidung will die ÖVP den Eindruck vermeiden, man zwinge die Menschen zu einem ökologischeren Lebenswandel oder wolle das Autofahren belasten. So betonte Kurz, das individuelle Verhalten spiele bei der Auszahlung keine Rolle. Begeisterung für eine entschiedene Umweltpolitik ist bei den Konservativen nicht festzustellen. Vielmehr schürten ihre Vertreter in den letzten Monaten die Vorurteile der Landbevölkerung gegenüber angeblich abgehobenen grünen Städtern.
„Das Beste aus zwei Welten“?
Dass „das Beste aus zwei Welten“, wie das Motto der ungleichen Koalition lautet, politische Widersprüche birgt, kann keine Überraschung sein. Die Einigung auf Anreize zu einem klimafreundlicheren Leben ist deshalb eine Lösung, mit der beide Koalitionäre leben können.
Dazu gehören eine Förderung klimafreundlicher Sanierungen, Investitionen in den öffentlichen Verkehr und das „Klimaticket“, das dem Schweizer GA entspricht. Ob dies reicht, um die versprochene Trendwende bei den Treibhausgasen zu schaffen, muss sich weisen. Die Emissionen stiegen beim Hauptverursacher Straßenverkehr seit 1990 um 75 Prozent.
Um die Reform den verschiedenen Wählergruppen von links bis rechts schmackhaft zu machen, welche ÖVP und Grüne vertreten, ist sie mit anderen Entlastungen verbunden. So werden Beiträge für die Sozialversicherungen ebenso gesenkt wie die Steuern auf niedrige und mittlere Löhne. Familien profitieren von einer Erhöhung des Kinderbonus. Mitarbeiterbeteiligungen sollen bis 3000 Euro steuerfrei bleiben.
Der Kompromiss enthält zweifellos erhebliche Widersprüche und Konzessionen an mächtige Interessengruppen. So ist nur schwer erklärbar, weshalb die Subventionierung von Diesel bestehen bleibt, die viel ausländischen Verkehr anzieht. Dazu kommt, dass die Regierung nur sehr vage Angaben zur Gegenfinanzierung der milliardenschweren Entlastungen macht. Der Finanzminister äusserte dazu nur die Hoffnung, dass die Stärkung des Standorts und die Senkung der Steuern auf Arbeit den Konsum und neue Firmenansiedlungen begünstigt.
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