Benachrichtigung aktivieren Dürfen wir Sie in Ihrem Browser über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts informieren? Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Fast geschafft Erlauben Sie handelsblatt.com Ihnen Benachrichtigungen zu schicken. Dies können Sie in der Meldung Ihres Browsers bestätigen.
Benachrichtigungen erfolgreich aktiviert Wir halten Sie ab sofort über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts auf dem Laufenden. Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Jetzt Aktivieren
Nein, danke

Finnland „Die Zeit des Sparens wird kommen“

Finnlands Europaministerin Tytti Tuppurainen fordert das Einhalten der Euro-Stabilitätskriterien – mittelfristig. Und freut sich über den Wahlsieg von Olaf Scholz.
06.10.2021 - 17:22 Uhr Kommentieren
Die finnische Europaministerin sagt: „Die großen Haushaltsdefizite aus dem Corona-Jahr dürfen nicht business as usual werden.“ Quelle: picture alliance/AP Photo
Tytti Tuppurainen

Die finnische Europaministerin sagt: „Die großen Haushaltsdefizite aus dem Corona-Jahr dürfen nicht business as usual werden.“

(Foto: picture alliance/AP Photo)

Berlin Der Wahlsieg der SPD in Deutschland hat sozialdemokratische Regierungen beflügelt – vor allem aber auch die hochverschuldeten Euro-Zonen-Länder angespornt, auf die Aufweichung der Maastricht-Kriterien für Europas Währung zu pochen. Finnland steckt in der Zwickmühle: Das Land wird von der jungen sozialdemokratischen Regierungschefin Sanna Marin geführt, gilt aber zugleich als fiskal- und geldpolitisch strikt.

Die finnische Europaministerin Tytti Tuppurainen macht im Handelsblatt-Interview klar: „Die großen Haushaltsdefizite aus dem Coronajahr dürfen nicht business as usual werden.“

Finnland ist formal nicht Mitglied der Gruppe der „Sparsamen“ um Österreich, die Niederlande, Schweden und Dänemark. Aber Helsinki trägt in vielen Fragen die Haltung der Hardliner mit – und bestehe auch jetzt darauf, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt, die Grundlage der Euro-Zone, nicht infrage gestellt werde. „Und Olaf Scholz habe ich auch so verstanden“, betont die finnische Ministerin, die seit über 20 Jahren Sozialdemokratin ist.

Zwar sei jetzt noch nicht die Zeit des Sparens, „die kommt aber ganz sicher später“, sagte Tuppurainen. Denn: „Glaubwürdigkeit ist das Allerwichtigste.“

Der Sieg von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz bei der Bundestagswahl beflügelt nach Ansicht Tuppurainens die Sozialdemokratie in ganz Europa. Und dies bedeute: „Die Sozialdemokratie ist dafür da, den Kapitalismus zu bewältigen und die soziale Marktwirtschaft zu bewahren.“ Deshalb müsse Sozialpolitik in der EU künftig viel enger koordiniert werden. Zudem solle Europa handlungsfähiger und klimaneutral gemacht werden. Das wolle sie aber nicht so hart umsetzen, wie es die Grünen forderten: „Wir müssen die Menschen dabei mitnehmen und dürfen nicht über sie hinweggehen“, sagte Finnlands Europaministerin dem Handelsblatt.

Lesen Sie hier das gesamte Interview:

Frau Ministerin, südeuropäische Staaten fordern ein Aufweichen der Stabilitätskriterien für den Euro. Sind nordische Länder wie Finnland dazu bereit?

Das erwarte ich nicht. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt hat die nötige Flexibilität in Krisenzeiten bewiesen …

… aber er wurde 2020 von allen Euro-Ländern verletzt, auch Deutschland liegt wieder bei über 60 Prozent Staatsschulden.

Glaubwürdigkeit ist das Allerwichtigste. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt steht in den europäischen Verträgen, diese will Finnland nicht ändern. Und Olaf Scholz habe ich auch so verstanden. Wir müssen die Flexibilität neu interpretieren, aber nicht verantwortungslos. Schulden bleiben immer Schulden, Geld bleibt immer Geld, unabhängig davon, wie man es investiert.

Das heißt also, dass vor allem die südeuropäischen Länder wieder mehr sparen müssen?

Jetzt ist nicht die Zeit des Sparens. Die kommt aber ganz sicher später.

Wann?

Den Zeitpunkt kann man noch nicht festlegen. Geldpolitik allein aber reicht nicht mehr. Jetzt brauchen wir Investitionen, um die Produktivität zu erhöhen. Aber es kommt der Tag, an dem man wieder sparen muss. Dieser Tag mag nah sein, er ist aber nicht heute.

Oder muss man zugeben, dass die 60-Prozent-Obergrenze niemals mehr eingehalten werden kann?

Die Hälfte der 27 EU-Staaten liegt darunter, wenn auch viele Nicht-Euro-Staaten dabei sind. Es geht nicht um oberflächliche Parolen wie „Die 60-Prozent-Linie muss stehen“ oder „Weg mit der 60-Prozent-Grenze“, sondern um eine gründliche Analyse. Eines ist klar: Defizite dürfen nicht zu groß sein.

Also dürfen Haushaltsdefizite nicht mehr größer als drei Prozent sein?

Das ist die Absicht. Die großen Haushaltsdefizite aus dem Coronajahr dürfen nicht zur Gewohnheit werden. Finnland gehört nicht zu den „sparsamen vier“, auch wenn wir in vielem eine ähnliche Meinung haben, etwa was die Schaffung des Wiederaufbaufonds betrifft. Wir wollen, dass Europa mit einer Stimme spricht.

Wie lange hält Europa denn noch zusammen nach dem Brexit und der jetzt beginnenden Diskussion über einen polnischen Polexit?

Europa braucht Polen. Wir dürfen nicht Polen an die Ausgangstür begleiten. Wir müssen Geduld haben, aber fest entschlossen weitergehen. Das Knüpfen der Rechtsstaatlichkeit an die Auszahlung von EU-Finanzhilfen ist für uns sehr wichtig. Wir wollen, dass der Rechtsstaatsmechanismus auch angewandt wird. Das bedeutet, dass es dann Polen etwas kostet, wenn es den Rechtsstaat nicht bewahrt. Aber wir wollen niemanden rausschmeißen. Das wäre nur im Interesse äußerer Mächte. Russland sähe gern ein zersplittertes Europa. Der Brexit hat gezeigt, dass Europa zusammenstehen kann. Für diesen Zusammenhalt hat Angela Merkel eine wunderbare Arbeit geleistet.

Glauben Sie, dass Polen austritt, wenn der Wiederaufbaufonds und andere EU-Gelder nicht an Warschau ausgezahlt werden?

Ich hoffe, dass Polen nicht geht, allein schon für die Sicherheit an der Ostsee brauchen wir Polen. Wir müssen eine ausgewogene Lösung finden und ich bin sicher, dass Olaf Scholz diese Linie fahren wird, wenn er Kanzler wird.

Was bedeutet der SPD-Sieg für die schon totgesagte europäische Sozialdemokratie?

Viel. Das ist ein Zeichen des Aufbruchs. Ich bin seit mehr als 20 Jahren Mitglied der sozialdemokratischen Partei und immer wieder wurde gesagt, die Sozialdemokratie habe ihre Aufgabe erfüllt.

Sie hat sich also überlebt?

So ist es eben nicht. Die Wähler haben anders entschieden, und nun gibt es einen Neubeginn. Da ist es spannend, dass alle skandinavischen Länder, die iberische Halbinsel und Deutschland eine sozialdemokratische Machtachse bilden können.

Was wollen Sie mit dieser Machtachse erreichen?

Ein starkes Europa. Wir alle haben dieselbe Idee, dass wir Europa handlungsfähiger und klimaneutral machen müssen, aber die Menschen mitnehmen und nicht über sie hinweggehen. Die Sozialdemokratie ist dafür da, den Kapitalismus zu bewältigen und die soziale Marktwirtschaft zu bewahren. Wir wollen, dass die Sozialpolitik in der Verantwortung der Mitgliedstaaten bleibt, aber sie deutlich besser koordiniert wird.

Apropos Macht: Die SPD ist nicht bekannt für eine robuste Sicherheitspolitik.

Es geht auch nicht nur um eine Armee, sondern um ganzheitliche Sicherheit. Das muss man neu denken. Es geht um Pandemien, Klimakrise, Flüchtlingsfragen. Wir müssen für viele Krisen vorbereitet sein, auch militärisch. Es ist höchste Zeit, Europas Streitkräfte handlungsfähig zu machen.

Was heißt das?

Ich will, dass unsere Beziehungen zu den USA neu gestaltet werden. Wir brauchen eine enge Partnerschaft mit den USA. Aber wir müssen uns auch darauf vorbereiten, dass nach Joe Biden wieder jemand völlig anderer kommt. Deshalb muss Europa seine eigene Handlungsfähigkeit stärken. Und auch die Auseinandersetzung zwischen den USA und China ist für uns gefährlich.

Inwiefern?

Wir Europäer müssen auch im Umgang mit den USA immer betonen, dass wir in der Wirtschafts- und auch in der Klimapolitik eine Kooperation mit China brauchen. Zwischen die Fronten der Auseinandersetzung von USA und China zu geraten, ist für uns lebensgefährlich. Da müssen wir eine europäische Linie finden. Das ist eine der größten Herausforderungen für die EU.

Frau Tuppurainen, vielen Dank für das Interview.

Mehr: Larry Summers Inflationswarnung: „Die Ähnlichkeiten zu den 60er-Jahren sind besorgniserregend“

Startseite
Mehr zu: Finnland - „Die Zeit des Sparens wird kommen“
0 Kommentare zu "Finnland: „Die Zeit des Sparens wird kommen“"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%