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Fluchtbewegung Nadelöhr in Südmexiko: Tausende Flüchtlinge wollen durch die Stadt Tapachula Richtung Norden

An der Südgrenze Mexikos soll die Grenzpolizei Menschen aus Zentralamerika an der Weiterreise hindern. Die Regierung ignoriert die Nöte der Flüchtlinge, die in die USA wollen.
25.09.2021 - 14:14 Uhr Kommentieren
Migranten machen sich in der südmexikanischen Stadt auf den Weg Richtung Norden. Quelle: AP
Tapachula

Migranten machen sich in der südmexikanischen Stadt auf den Weg Richtung Norden.

(Foto: AP)

Mexiko-Stadt Das Nadelöhr ist der Río Suchiate. Träge und braun fließt der Fluss dahin. An dieser Stelle im mexikanischen Bundesstaat Chiapas ist er kaum hundert Meter breit. Drüben ist Guatemala. Mit ihren Flößen aus Paletten und Lkw-Reifen, die sie wie venezianische Gondolieri steuern, warten dort Guatemalteken auf Kundschaft.

Je nach Gepäck passen fünf bis zehn Flüchtlinge auf die wackligen Gefährte. Frauen, Kinder, Jugendliche und Männer sondieren am Ufer die Lage. Menschen aus vielen Ländern. 75 guatemaltekische Quetzales kostet die kurze Überfahrt ins neue Land, gut acht Euro. Für die Geflüchteten ist das sehr viel Geld.

Auf der mexikanischen Seite beobachtet die „Guardia Nacional“, die neue paramilitärische Polizeieinheit von Präsident Andrés Manuel López Obrador, das Treiben. Der Staatschef schuf die Truppe eigentlich, um das organisierte Verbrechen zu bekämpfen. Aber bisher ist die Guardia vor allem Grenzpolizei.

Hier im Südwestzipfel des Landes soll sie Migranten daran hindern, mexikanisches Territorium zu betreten. Im Norden, Tausende Kilometer entfernt an der Grenze zu den USA, sollen sie genau das Gegenteil tun. Ein groteskes und zunehmend unmögliches Unterfangen.

Zwischen Januar und August zählte Mexiko 147.000 Migranten und Migrantinnen ohne Papiere, dreimal so viel wie 2020. Die US-Einwanderungsbehörde nahm allein im Juli rund 212.000 Flüchtlinge fest. Seit Joe Biden in den USA im Amt ist und sich die Lage in Zentralamerika weiter verschlechtert, kommen sie wieder in Scharen. Manchmal sind es tausend an einem Tag, die den Suchiate überqueren wollen.

In der jüngsten Zeit sind es immer mehr Haitianer, die aus ihrem Land oder aus Brasilien und Chile kommen. Und die Guardia Nacional? Für 300 Quetzales schließen sie die Augen, wenn die Menschen an der mexikanischen Seite das Floß verlassen.

Von hier wollen die Flüchtlinge, denen sich Erschöpfung und Angst in die Gesichter gegraben haben, weiter in den Norden, die meisten ganz hoch in die Vereinigten Staaten, wo sie Verwandte oder Freunde haben. Aber immer mehr wollen auch in Mexiko bleiben, in der Hauptstadt Mexico-Stadt Arbeit finden oder eines der begehrten „humanitären Visa“ ergattern, die Mexikos linke Regierung bei Amtsübernahme versprach, die sie aber kaum noch ausstellt.

Die meisten lassen aus Angst und Verzweiflung ihr altes Leben zurück

Viele wollen auch Asyl beantragen. Dieses Jahr haben bisher 77.559 Menschen einen entsprechenden Antrag gestellt, ein historischer Rekord, fast ein Viertel davon waren Haitianer.

Niemand, der diese Odyssee über viele Länder auf sich nimmt und sich der Gefahr der Drogenkartelle und korrupter Behörden aussetzt, macht es aus Abenteuerlust. Die meisten haben aus Angst und Verzweiflung oder Armut ihr altes Leben hinter sich gelassen. Manchmal auch aus allen Gründen zusammen.

So wie etwa Wendy aus Honduras, die mit ihrer zwölfjährigen Tochter unterwegs ist. Wendy wurde vor einem Monat bei sich zu Hause in San Pedro Sula von einem „Pandillero“, dem Mitglied einer der gefürchteten Jugendbanden, vergewaltigt. Noch am selben Nachmittag schnappte sie sich ihre Tochter und machte sich auf den Weg. Nur weg aus Honduras, denn die Banden haben gedroht, beim nächsten Mal auch die Tochter zu misshandeln.

Flüchtlinge aus Haiti blockieren eine Straße in Tapachula, um auf ihre Not hinzuweisen. Quelle: AP
Protest in Tapachula

Flüchtlinge aus Haiti blockieren eine Straße in Tapachula, um auf ihre Not hinzuweisen.

(Foto: AP)

Nächste Station nach der Flussquerung ist aber erst einmal Tapachula, 50 Kilometer Fußmarsch entfernt. Die 300.000-Einwohner-Stadt hat sich zum größten Einwanderungstor Amerikas entwickelt. Die Mauer, von der Donald Trump einst träumte, steht jetzt ganz im Süden Mexikos. Mehr als 35.000 Migrantinnen und Migranten warten und hoffen, verstecken sich und versuchen, von hier in den Norden weiterzukommen.

Ihr erster Weg in Tapachula führt sie zur „Mexikanischen Kommission für Flüchtlingshilfe“ (Comar). Hier gibt es das Dokument, das sie vor sofortiger Deportation schützt. Aber Bürokratie, Budgetkürzung, der Mangel an Personal und ein gutes Stück Unwillen verhindern, dass Comar dem Ansturm nur ansatzweise nachkommt. Es gibt keine Termine bis Dezember.

Trotzdem dürfen die Menschen ohne die entsprechenden Papiere nicht die Grenzstadt verlassen, um woanders Asyl zu beantragen. Und so hat sich Tapachula in ein Freiluftgefängnis verwandelt, in dem es kaum Arbeit, kaum Unterkünfte oder medizinische Versorgung gibt. Die Stadt ist die mexikanische Entsprechung des texanischen Ortes Del Rio, wo mehr als zehntausend Haitianer gestrandet sind.

Auch Wendy aus Honduras weiß, dass es weder vor- noch zurückgeht. Sie hat für Anfang Dezember einen Termin bei der Flüchtlingshilfe bekommen. Vor der Abschiebung schützt sie lediglich das Attest eines Arztes, das ihre Vergewaltigung bescheinigt. Jetzt arbeitet sie für einen Telefonanbieter und verkauft Sim-Karten. Mit Glück verdient sie drei Dollar am Tag, meistens hat sich Pech. Dann kommt nichts rein.

Viele Flüchtlinge, vor allem aus Haiti, sitzen in der südmexikanischen Stadt Tapachula fest. Quelle: AP
Flüchtlinge in Tapachula

Viele Flüchtlinge, vor allem aus Haiti, sitzen in der südmexikanischen Stadt Tapachula fest.

(Foto: AP)

So geht es fast allen Gestrandeten in der Stadt, in der seit Wochen Wut und Verzweiflung brodeln. Haitianer geißeln den Rassismus der Einheimischen, Frauen beklagen sexuelle Übergriffe. Wer Geld für ein Hotel hat, ärgert sich über Preise für Absteigen, die diejenigen von Hotels in Mexiko-Stadt übersteigen. Und alle zusammen sind wütend auf die Behörden und die Guardia Nacional, die Jagd auf sie macht, sobald sie mal versuchen, die Stadt zu verlassen.

„Tapachula ist am Limit und in keiner Weise auf die Schutzbedürfnisse der Menschen vorbereitet“, kritisiert Enrique Vidal vom Menschenrechtszentrum Fray Matias de Córdova. Es fehle an Geld und am Willen der Regierung auf allen Ebenen, Bedingungen für eine angemessene Betreuung der Migranten zu schaffen. „Statt nach wirklichen Lösungen zu suchen, wird die Migrationspolitik militarisiert“, sagt Vidal.

Inzwischen haben es trotz der Restriktionen in Tapachula rund 500 Haitianer bis nach Mexiko-Stadt geschafft, zumeist Familien mit kleinen Kindern. Viele von ihnen haben den amerikanischen Kontinent fast komplett durchquert und kommen aus Brasilien oder Chile, wo sie zuvor lebten. Die Menschen schlafen in kühlen Nächten vor der Flüchtlingsbehörde Comar im Freien oder campieren in Ruinen.

Auch die Hauptstadt ist überfordert mit dem Andrang. Bürgermeisterin Claudia Sheinbaum verspricht eine schnelle und umfassende Lösung. Aber eigentlich weiß auch sie, dass es für dieses Problem keine schnelle und vor allem keine einfache Antwort gibt.

Mehr: Nichts wirft bessere Renditen ab als Fluchtursachen-Bekämpfung

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