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Flüchtlinge in Griechenland Endstation Ellinikon

Zehntausende Flüchtlinge sitzen in Griechenland fest, seitdem die Balkan-Route geschlossen wurde. Die Regierung weiß auch nicht, was aus ihnen werden soll. Im Lager in Ellinikon wird die Stimmung von Tag zu Tag gereizter. Ein Report.
01.05.2016 - 20:00 Uhr
4/19/2016 Refugees have been turning up at the former airport which is now the Helliniko refugee camp in the outskirts of Athens, Greece.
Flüchtlinge im Lager Ellinikon

Viele von ihnen werden wohl Jahre in Griechenland bleiben.

(Foto: Nikos Pilos für Handelsblatt)

Athen Die Luft ist zum Schneiden dick. Im dämmrigen Licht der riesigen Halle reihen sich dicht an dicht die bunten Kuppeln Hunderter kleiner Campingzelte. Eigentlich sollte dieses Gebäude, das West-Terminal des schon vor 15 Jahren stillgelegten Athener Flughafens Ellinikon, längst abgerissen sein. Es wirkt wie ein Mahnmal des politischen Stillstands in Griechenland.

Jetzt ist das Gebäude wieder in Gebrauch. 4 100 Menschen hausen in dem alten Terminal und seinen Nebengebäuden. Sie dösen in Zelten oder lagern auf Decken, die sie auf dem Betonboden ausgebreitet haben. Ein Mädchen hat vor einem Zelt seine Spielsachen ausgebreitet: Stofftiere, eine Puppe, ein rotes Plastikdreirad. Ein Junge läuft in einem der Korridore seinem Ball hinterher.

Merwe ist 19. Sie kommt aus Afghanistan. Mit ihrer Mutter sitzt sie vor einem der Zelte. Nebenan lagert ihr Cousin mit seinen beiden Töchtern. „Seit zwei Monaten sind wir jetzt schon hier“, erzählt die junge Frau. Fast 10.000 Dollar hat die Familie den Schleusern bezahlt, die sie über Iran in die Türkei und dann auf einem Boot zu einer griechischen Insel brachten, deren Namen Merwe vergessen hat. „Zwei Wochen haben wir auf der Insel in einer Pension gewohnt, dann war unser letztes Geld fast aufgebraucht“, sagt Merwe, Endstation Ellinikon.

„Wir bekommen nicht genug zu essen“

Fast 55.000 Flüchtlinge und Migranten sind in Griechenland gestrandet, seitdem die Balkan-Route geschlossen wurde. Noch hoffen viele, dass sich irgendwann für sie ein Weg nach Europa öffnet. Auch Merwe und ihre Familie geben die Hoffnung nicht auf. „Irgendwie wird es schon gehen – es muss.“ Sie will zu Verwandten in Magdeburg.

Anfangs waren Menschen froh, in Ellinikon wenigstens ein festes Dach über dem Kopf zu haben. Doch nun wird die Stimmung im Lager von Tag zu Tag gereizter. „Aus den Duschen kommt nur kaltes Wasser, das ist ein Problem für die vielen Babys und ihre Mütter“, klagt Merwe. „Wir bekommen zwar Essen, aber es ist schlecht und nicht genug“, sagt die junge Frau. Hilfsorganisationen bestätigen: Viele der rund 1 000 Kinder in Ellinikon sind unterernährt; 4 100 Menschen teilen sich 40 Toiletten.

Was soll mit den Menschen geschehen? (Foto: Nikos Pilos für Handelsblatt)
Flüchtlinge im Lager in Schisto

Was soll mit den Menschen geschehen?

(Foto: Nikos Pilos für Handelsblatt)

Fünf Bürgermeister angrenzender Gemeinden schickten einen Brandbrief an Premier Alexis Tsipras: „Die Situation ist außer Kontrolle und stellt ein enormes Risiko für die öffentliche Gesundheit dar“, warnen sie. Die Flüchtlinge sind sich selbst überlassen, es gibt keinerlei Organisation. Der Staat glänzt durch Abwesenheit, bis auf zwei Polizisten draußen in ihrem Streifenwagen.

Nach zwei Monaten hilflosen Wartens liegen bei vielen Migranten die Nerven blank. Vor allem junge Syrer und Afghanen gehen häufig aufeinander los. Nachdem es vergangene Woche im Flüchtlings-Hotspot auf der Insel Lesbos zu schweren Ausschreitungen mit 15 Verletzten gekommen ist, nehmen jetzt auch die Spannungen auf der Insel Chios in einem ebenfalls überfüllten Lager zu.

Die ersten Baracken werden gezimmert

Auch der Hafen von Piräus, wo 3500 Migranten und Flüchtlinge campen, und das Elendslager von Idomeni an der mazedonischen Grenze mit seinen fast 11.000 Menschen sind Brennpunkte, an denen es fast jede Nacht Schlägereien und Messerstechereien gibt. Der für die Migrationspolitik zuständige Vizeinnenminister Giannis Mouzalas verspricht zwar, man werde in den kommenden zwei Wochen Unterbringungsmöglichkeiten für weitere 20.000 Menschen in organisierten Camps schaffen. Das „Lager der Schande“, wie Idomeni bei griechischen Medien heißt, werde aufgelöst, verspricht Mouzalas.

Aber bisher folgen nur wenige Migranten den Appellen der Behörden, in dauerhafte Unterkünfte umzuziehen. „Dort wird man uns vergessen“, fürchtet Kadir. Der 22-Jährige lebt schon seit fast drei Monaten mit seinem Bruder in einem kleinen Zelt bei Idomeni. Fast hätten sie es nach Mazedonien geschafft, dann schloss Ende Februar die Grenze. „Nur wenn wir hierbleiben, können wir die Welt an uns erinnern“, glaubt Kadir. Viele denken so – möglicherweise auch der eine oder andere in der griechischen Regierung. Je sichtbarer das Elend ist, desto besser ist es instrumentalisierbar, etwa um der EU Rabatte bei den Sparvorgaben abzuhandeln.

Ein bisschen Abwechslung im langweiligen Lageralltag. (Foto: Nikos Pilos für Handelsblatt)
Fußball spielender Junge in Schisto

Ein bisschen Abwechslung im langweiligen Lageralltag.

(Foto: Nikos Pilos für Handelsblatt)

Ob gewollt, geduldet oder von der Regierung unbemerkt: In Idomeni beginnen sich dauerhafte Infrastrukturen zu entwickeln. Die ersten Baracken werden gezimmert. Es gibt Teehäuser und Geschäfte, sogar eine provisorische Schule. „In Idomeni beginnt Griechenlands erste Favela zu entstehen“, fürchtet Nikitas Kanakis, Präsident der griechischen Sektion der „Ärzte der Welt“.

Einen Plan der Politiker, was mit den Menschen geschehen soll, vermag Kanakis bisher nicht zu erkennen: „Sie denken allenfalls an die nächste Woche und geben sich der Illusion hin, dass sich das Flüchtlingsproblem auf eine wundersame Weise von selbst löst.“ Dabei müsse man sich jetzt Gedanken machen, was im September passieren soll: „Wird es Schulen für die Flüchtlingskinder geben? Werden die Menschen in geheizten und trockenen Unterkünften leben, wenn der Winter kommt?“

Menschenrechtler sind besorgt

Amnesty International spricht von „furchtbaren Bedingungen“ in den Lagern und warnt vor einer drohenden „humanitären Katastrophe“. Die Menschen lebten „in einem Zustand ständiger Angst“, sagt John Dalhuisen von Amnesty. Aussichten auf einen Job dürften die wenigsten haben, angesichts einer Arbeitslosenquote von 25 Prozent. Umso wichtiger wäre es, ihnen eine Perspektive zu geben und Konzepte zur Integration zu entwickeln. „Aber dieses Wort kommt in der griechischen Flüchtlingsdebatte bisher überhaupt nicht vor“, klagt Kanakis. Er rechnet damit, dass die meisten Menschen „mindestens zwei, drei Jahre“ in Griechenland bleiben werden. „Doch man hat den Eindruck, dass unsere Politiker diesen Gedanken beharrlich verdrängen.“ Migrationsminister Mouzalas jedenfalls lehnte ein Interview ab und ließ auch schriftliche Fragen des Handelsblatts unbeantwortet.

Während die Regierung auf Tauchstation geht, hat sich der 20-jährige Tamim damit abgefunden, noch lange in Griechenland zu bleiben: „Ich glaube nicht, dass sich die Grenzen bald wieder öffnen“, sagt der junge Afghane. Er lebt seit zwei Monaten im Flüchtlingslager Schisto westlich Athens. Die Bedingungen in dem Ex-Armeecamp sind deutlich besser als in Ellinikon oder Idomeni.

„Hier leben knapp 2000 Menschen“, erläutert Major Vassilios Thanos bei einem Rundgang durch das Lager, das die Streitkräfte im Februar in nur elf Tagen für Flüchtlinge hergerichtet haben. Die Bewohner leben in Zelten. Es gibt drei Mahlzeiten am Tag, ausreichend Duschen und Toiletten, einen Kinderspielplatz und eine provisorische Schule. Ziad, selbst ein Flüchtling, betätigt sich als Lehrer. Der afghanische Universitätsprofessor, der fünf Sprachen beherrscht, nimmt mit seinen Schülern das griechische Alphabet durch: „Alpha, Beta, Gamma,…“

Auch Tamim drückt die Schulbank. „Eher Jahre als Monate“ werde er wohl in Griechenland festsitzen, ahnt der junge Mann. „Ich gebe die Hoffnung nicht auf, selbst wenn ich hier Jahre warten muss.“

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