Frankreichs Ex-Präsident Stolzer Europäer und scharfsinniger Analytiker: Valerie Giscard d’Estaing ist tot

Er war der erste Nicht-Gaullist und mit 48 Jahren der bis dato jüngste Politiker, der Staatspräsident wurde, als er 1974 gewählt wurde.
Paris Der frühere französische Staatspräsident Valerie Giscard d’Estaing ist Mittwochabend in einem Krankenhaus in Tours gestorben. Er starb an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung, wie seine Stiftung bekanntgab.
Der 94-Jährige war einer der wichtigsten französischen Staatschefs nach General Charles de Gaulle. Er war der erste Nicht-Gaullist und mit 48 Jahren der bis dato jüngste Politiker, der Staatspräsident wurde, als er 1974 gewählt wurde.
Als Politiker, der weder der klassischen Rechten noch der Linken angehörte, war er in gewisser Weise das Vorbild für den heutigen Präsidenten Emmanuel Macron. In Deutschland wurde Giscard bekannt als langjähriger Kooperationspartner und Freund von Bundeskanzler Helmut Schmidt, mit dem zusammen was er wichtige Veränderungen in der damaligen Europäischen Gemeinschaft anschob, wie etwa die währungspolitische Zusammenarbeit im Rahmen der europäischen Währungsschlange, dem späteren europäischen Währungssystem EWS.
Auf Schloss Rambouillet bei Paris begründete Giscard 1975 ein Treffen der Staats- und Regierungschefs der sechs wichtigsten Industrieländer, aus dem später die G7 und dann die G8 wurde. Als ein reines Kamingespräch der Chefs gedacht, hatten die Treffen in der Anfangszeit noch nichts vom Pomp und Aufwand ihrer heutigen Form.
1981 – damals amtierten die französischen Staatspräsidenten noch sieben Jahre lang – bewarb Giscard sich um die Wiederwahl, verlor aber gegen den Sozialisten François Mitterrand. Giscard wurde im Europaparlament aktiv und übernahm später die Rolle des Präsidenten des Europäischen Konvent, der eine Verfassung für Europa ausarbeitete. Deren Annahme scheiterte an Referenden in Frankreich und in den Niederlanden, ihre wichtigsten Bestandteile wurden aber in Form von Vertragsänderungen angenommen.
In den vergangenen Jahren trat „VGE“, wie er in Frankreich genannt wurde, kaum noch in der Öffentlichkeit auf. Doch er hatte nichts von seinem Scharfsinn und seiner kühlen Analyse verloren.
Giscard zeigte kein übersteigertes Nationalgefühl
Als er vor einem Jahr eine Gruppe von Zeitungen, darunter das Handelsblatt, zu einem Gespräch empfing, zeigte er keinerlei übersteigertes Nationalgefühl. Frankreich werde „nicht immer als Motor Europas gesehen.“ sagte er, es zähle „zu den am höchsten verschuldeten Ländern Europas, das lastet auf den Entscheidungen der künftigen Regierungen.“
Für Helmut Schmidt stand noch fest, dass nur Frankreich Europa führen könne. Giscard äußerte sich anders: „Wir haben nicht die Prätention, ganz Europa zu führen, das wäre auch ein Irrtum.“
Sein politisches Vermächtnis formulierte er mit einem Zitat: „Behalten Sie diesen Satz von Ursula von der Leyen in Erinnerung: ‚Seien sie stolz darauf, in der europäischen Gesellschaft zu leben!‘“ Europa, so ergänzte Valérie Giscard d’Estaing, sei ein gerechtes, rationales und durchdachtes Modell. „Wir müssen stolz sein auf unsere Art zu leben, auf unsere Kultur.“
Mehr: Für Valéry Giscard d’Estaing ist Europa vor allem eins – deutsch-französisch
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.