Fraunhofer, Max Planck, Leibniz, Helmholtz Forschungsinstitute hemmen Start-ups bei der Ausgründung –„Wir verspielen in Deutschland unsere Zukunftschancen“

Im Corona-Jahr 2020 haben 3,5 Prozent weniger Start-ups im Vergleich zum Vorjahr ihr Gewerbe ausgegliedert.
Berlin Start-up-Verbände und Vertreter aus Wirtschaft und Politik schlagen Alarm: Prominente Forschungseinrichtungen erschweren Start-ups den Weg in die finanzielle Unabhängigkeit. Im Corona-Jahr 2020 haben 3,5 Prozent weniger Start-ups im Vergleich zum Vorjahr ihr Gewerbe ausgegliedert. Im Jahr 2019 waren es sogar knapp zehn Prozent weniger Unternehmer als 2018. Das ergibt die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP-Fraktion, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegt.
Für den Bundesverband Deutsche Startups sind die Zahlen ein „Weckruf an Wissenschaft und Politik“, sagt Christoph Stresing, Geschäftsführer des Bundesverbands Deutsche Startups.
„Wir verspielen in Deutschland unsere Zukunftschancen. Dabei stehen wir uns selbst im Weg“, erklärt er. Der Negativtrend wirke umso schwerer, denn die Gesamtgründungszahlen von Start-ups sind 2020 sogar um 12,5 Prozent gewachsen.
In der Kritik stehen unter anderem die Fraunhofer Gesellschaft, die Max-Planck-Gesellschaft, die Leibniz Gemeinschaft und die Helmholtz Gemeinschaft.
Bei Ausgründungen spiele insbesondere der Transfer von „intellectual property“, also geistigem Eigentum, eine tragende Rolle, erklärt Stresing. Verfügen Start-ups nicht über das Recht, Patente zu übertragen und zu nutzen, seien sie handlungsunfähig und für Investoren unattraktiv.
Das bestätigt Julia Rosendahl, Gründerin und Beraterin von Start-ups im Förderprogramm Existenzgründungen aus der Wissenschaft (EXIST): „Ohne die Erlaubnis zu haben, die benötigten Schutzrechte zu nutzen, ist ein Unternehmen nichts wert.“ Einen Investor zu finden sei dann praktisch unmöglich.
Doch selbst wenn ein Unternehmen die Schutzrechte nutzen dürfe, müsse es oft hohe Abschläge an die Institute zahlen. Die machen es „für Geldgeber sehr unattraktiv“. Niemand wolle, dass seine Investitionen für Patentzahlungen abflössen, erklärt sie.
Bleiben die Institute Patenthalter, können sie fixe Lizenzzahlungen verlangen, unabhängig vom Erfolg des Unternehmens. Rosendahl schlägt eine umsatzabhängige Lizenzzahlung vor. „Somit profitieren alle, je besser das Produkt im Markt ankommt.“
„Es ist essenziell, dass die Ausgründungen die Möglichkeit haben, die Schutzrechte zu kaufen.“ Auch dabei können Gründer und Forschungseinrichtungen lizenzähnliche Zahlungen vereinbaren, sodass abhängig vom Umsatz auch die Institute profitierten. „Warum dies bei vielen Verhandlungsparteien so kategorisch abgelehnt wird, ist mir schleierhaft.“
Wissen ungleich verteilt
Außerdem sei das Wissen von Institutsverantwortlichen und Gründern ungleich verteilt. „In vielen Fällen werden die Vertragsverhandlungen nicht auf Augenhöhe geführt“, sagt Rosendahl. Vielmehr würde die Situation der Gründer, die auf die Nutzung angewiesen sind, ausgenutzt. „Aus vielen Gesprächen mit betroffenen Teams weiß ich, dass die Prozesse oftmals sehr unschön verlaufen und Gründungen genau deswegen scheitern“, klagt sie. „Institute nutzen ihre Erfahrung mit Patenten und Lizenzverträgen aus, um vor allem junge Gründerinnen und Gründer an sich zu binden.“
Das Handelsblatt hat die Forschungsinstitute um Stellungnahme gebeten. Die Fraunhofer Gesellschaft verweist auf eine stabile wirtschaftliche Entwicklung. Rund 600 Patente seien angemeldet und 26 Spin-off-Unternehmen gegründet worden, „wobei die Zahl der Spin-offs auf einem gleichbleibenden stabilen Niveau im Vergleich zum Vorkrisenjahr 2019 gehalten werden konnte“, heißt es in der Stellungnahme. Das seien „weitere Belege für unseren anhaltenden Erfolg auch in schwieriger Zeit“. Das Ausgründungsgeschehen werde durch den Vorstand „nachhaltig und systematisch unterstützt“.
Die Max-Planck-Gesellschaft erklärt, dass es 2020 im Vergleich zum Vorkrisenjahr weniger Ausgründungen gegeben habe. „Wir können nicht bestätigen, dass das Ausgründungsvolumen sich aufgrund langwieriger Verhandlungen über Lizenzverträge reduziert hätte.“ Das gelte auch für die Vergangenheit. „Vielmehr haben 2020 weniger Akteure in der Pandemiezeit den Mut gefasst, eine Ausgründung zu wagen.“
Start-up-Vertreter Stresing nimmt neben Wissenschaftseinrichtungen auch Bund und Länder in die Pflicht, rechtliche Hindernisse zu beseitigen und „die Rahmenbedingungen gründungsfreundlicher auszugestalten“. Die neue Bundesregierung solle die aktuellen Ergebnisse zum Anlass nehmen, Ausgründungen zu erleichtern und das Thema der wissensbasierten Ausgründungen im Rahmen einer erforderlichen „Start-up-Strategie“ in Angriff zu nehmen.
Start-up-Strategie: Talente, Kapital, fairer Wettbewerb
Zu dieser Strategie gehören für Stresing drei Elemente: Talente, Kapital und ein fairer Wettbewerb. Um junge Menschen zum Gründen zu begeistern, fordert er, mit Mitteln des Bundes „unternehmerisches Denken und Gründungskultur stärker an Schulen und Universitäten zu verankern“.
Außerdem plädiert er dafür, mehr Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund zum Gründen zu motivieren. 2020 ist die Zahl der Start-ups mit mindestens einer Frau zwar um 20 Prozent gestiegen. Er bleibt nach Berechnungen des Startupdetectors mit gut 19 Prozent jedoch weiterhin gering. Ein „Tech Visum“ für Start-up-Mitarbeiter solle den Zuzug „internationaler Talente erleichtern“, sagt er. Zudem müssten die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Mitarbeiterbeteiligungen verbessert werden.
Auch sollte Start-ups der Börsengang durch bessere Exit-Bedingungen erleichtert werden, um einen „geschlossenen Finanzierungskreislauf für das Start-up-Ökosystem zu schaffen“. Der in Teilen bereits aufgelegte und aus verschiedenen Modulen bestehende Zukunftsfonds in Höhe von zehn Milliarden Euro sei ein wichtiger Schritt, um die Wachstumsfinanzierung von Start-ups zu stärken.
Entscheidend sei jetzt aber, das im Rahmen dieses Zukunftsfonds vorgesehene Modul des Dachfonds voranzutreiben, „um frisches Kapital von institutionellen Investoren, etwa von Versicherungen oder Versorgungswerken, für Wagniskapital zu mobilisieren“.
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