Freihandel Handelsdeal für Vietnam, Strafen für Kambodscha – EU-Handelspolitik stößt auf Kritik

Viele europäische Unternehmen produzieren Textilien in Kambodscha.
Bangkok/Brüssel. Autoritäre Machthaber, Verhaftungen von Regierungskritikern und keine demokratischen Wahlen – wenn es um den Mangel an politischen Freiheiten geht, dann haben die südostasiatischen Nachbarländer Vietnam und Kambodscha vieles gemeinsam.
Der Umgang der Europäischen Union mit den beiden Staaten könnte allerdings nicht unterschiedlicher sein: Das Europaparlament machte am Mittwoch in Straßburg den Weg für ein ambitioniertes Freihandelsabkommen mit Vietnam frei, das die Märkte für vietnamesische Güter fast vollständig öffnen soll. Beinahe zur gleichen Zeit strich die EU-Kommission in Brüssel Handelsvergünstigungen für Kambodscha – als Sanktion für Menschenrechtsverstöße.
Die handelspolitischen Entscheidungen stoßen auf Kritik: Aktivisten werfen der EU vor, dass Vietnam für den Freihandelsvertrag zu wenig Zugeständnisse in Sachen Menschenrechte machen musste. In Kambodscha warnen Gewerkschaften und Unternehmensvertreter wiederum davor, dass die handelspolitischen Sanktionen primär nicht der umstrittenen Regierung, sondern den einfachen Arbeitern schaden werden.
Die kommunistische Regierung Vietnams sah jedenfalls offenbar schon im Vorfeld Grund zum Feiern: In den vergangenen Wochen verschickte die Brüsseler Botschaft des Ein-Parteien-Staates Champagner-Flaschen an Europaabgeordnete.
Das Regime in Hanoi verspricht sich von dem Freihandelsvertrag, der nun in Kürze in Kraft treten kann, gute Geschäfte: Das Abkommen schafft 99 Prozent der gegenseitig erhobenen Zölle ab und dürfte Vietnams Status als aufstrebende Exportnation weiter festigen. Die Kommission rechnet damit, dass Vietnams Exporte nach Europa bis 2035 um rund 15 Milliarden Euro zulegen werden. Europas Warenausfuhren sollen im Gegenzug um acht Milliarden Euro steigen.
„Menschenrechtslage sicherlich Grund zur Sorge“
Mehrere Menschenrechtsorganisationen, darunter Human Rights Watch, hatten die EU-Abgeordneten zuvor aufgefordert, dem Freihandelsabkommen vorerst nicht zuzustimmen. Sie verlangten in einem offenen Brief, den Vertrag erst dann abzusegnen, „wenn Vietnam konkrete und überprüfbare Maßnahmen zum Schutz von Arbeitnehmer- und Menschenrechten getroffen hat“. Dazu gehört aus ihrer Sicht ein Ende der Strafverfolgung von Aktivisten, Journalisten und Dissidenten sowie die Freilassung politischer Gefangener.
EU-Handelskommissar Phil Hogan erwiderte in der Parlamentsdebatte am Dienstag, dass die Menschenrechtslage in Vietnam sicherlich Grund zur Sorge gebe. Es gebe jedoch Foren wie den jährlichen Menschenrechtsdialog, um die Probleme anzusprechen. Der Vorsitzende des Handelsausschusses, Bernd Lange, betonte, die Regierung habe auf Druck der EU eine umfassende Arbeitsrechtsreform auf den Weg gebracht und zugesagt, die Menschenrechte zu achten. „Wir stärken mit diesem Abkommen den Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft“, so der SPD-Politiker.
Auch Andreas Stoffers, Landeschef der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung in Vietnam, hält das Vorgehen für richtig: Er bezweifelt, dass eine harte Haltung der EU in Menschenrechtsfragen mehr erreicht hätte. „Alles in allem ist es keine einfache Situation“, sagt er. Er persönlich halte die Chancen eines Wandels durch Annäherung mithilfe des Abkommens aber für vielversprechend.
In Kambodscha sind die Vorzeichen umgedreht: Da klagt die EU-Kommission offensiv über die schlechte Menschenrechtslage unter Machthaber Hun Sen. Sie kündigte nun an, dem Land wegen mangelnder Fortschritte Handelsvergünstigungen zu entziehen.
Dabei geht es um die Initiative „Everything but Arms“ (EBA): Sie soll Entwicklungsländer wirtschaftlich unterstützen und erlaubt ihnen den zollfreien Export von fast allen Waren in den EU-Binnenmarkt – ausgenommen sind Waffen und Munition. Kambodscha ist der zweitgrößte Profiteur der Initiative nach Bangladesch. Das Volumen der kambodschanischen Exporte belief sich zuletzt auf fünf Milliarden Euro im Jahr. Damit ist die EU der wichtigste Handelspartner für das Land.
Auch Adidas und Kik betroffen
Wegen des zunehmend autoritären Vorgehens des langjährigen Machthabers Hun Sen, der die größte Oppositionspartei verbieten ließ und deren Anführern den Prozess macht, droht die EU schon seit Monaten mit handelspolitischen Sanktionen. Weil es aus ihrer Sicht in der Zeit aber keine wesentlichen Verbesserungen gab, macht sie nun ernst.
Auf kambodschanische Ausfuhren im Wert von einer Milliarde Euro sollten bis auf Weiteres Zölle erhoben werden, kündigte die Kommission am Mittwoch an. Das entspricht einem Fünftel der bisherigen Exporte. „Die Achtung der Menschenrechte ist nicht verhandelbar für uns“, sagte Handelskommissar Hogan. Man werde nun weiter mit der Regierung daran arbeiten, die Missstände zu beseitigen.
Aber auch diese Entscheidung ist umstritten: Die Europäische Handelskammer in Kambodscha kritisierte bereits Ende vergangenen Jahres die angedrohten Einschnitte: „Es werden genau die Leute zu den Opfern der Entscheidung, die die EU zu schützen vorgibt“, sagte Kammerchef Blaise Kilian. Er warnte davor, dass es zu einem massiven Verlust von Arbeitsplätzen kommen könnte. Auch Gewerkschaftsvertreter sprachen von einem drohenden Desaster für Arbeiter in dem Land.
Die Vergünstigungen bei den Zöllen waren für europäische Unternehmen zuletzt ein Hauptgrund für den Aufbau von Lieferketten in Kambodscha. Zu den Abnehmern der Textilindustrie gehören unter anderem Discounter wie Kik und Tchibo, aber auch die Modekette H&M und der Sportartikelhersteller Adidas. Rund ein Viertel der Bekleidungsstücke des Konzerns aus Herzogenaurach stammen aus Kambodscha.
Phil Robertson, stellvertretender Asien-Chef von Human Rights Watch, begrüßt hingegen die Härte der EU im Umgang mit der kambodschanischen Regierung. Sie prangere Hun Sens rücksichtsloses Vorgehen gegen Demokratie und Menschenrechte völlig zurecht an, sagt er im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Robertson betont aber auch: „Was Vietnam angeht, sollte die EU viel mehr für die Menschenrechte tun.“ Insgesamt sieht der Aktivist die Rolle der Europäer aber als positiv. Die EU sei der letzte verbliebene große Handelspartner, der sich in Kambodscha und Vietnam gegen den Abbau der Menschenrechte wende. „In Zeiten von Donald Trump, dem Menschenrechte egal sind und der Diktatoren umarmt, trägt die EU als einzige diese Last.“
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