G20-Gipfel in Rom Wenig Hoffnung auf strengere Klimaziele: Die Staatenlenker finden keinen Kompromiss

Für die Bundeskanzlerin ist das Treffen ihr Abschied von der internationalen politischen Bühne.
Rom Nur einmal kurz erwähnt Mario Draghi den Klimawandel. Als eine der globalen Herausforderungen in seiner Eröffnungsrede – das wars. Ein starkes Signal, dass Italiens Premier beim Gipfeltreffen der 20 größten Industrie- und Schwellenländer (G20) in Richtung UN-Klimakonferenz senden wollte, sieht anders aus.
Das mag daran liegen, dass der Klimawandel erst am Sonntag auf der Agenda in Rom steht. Aber auch daran, dass es bislang kaum Ergebnisse gibt. Das 1,5-Grad-Ziel sollte bestärkt werden, ein gemeinsamer Fahrplan zu einer emissionsfreien Welt aufgezeichnet werden. Doch diese hehren Ziele wackelten schon vor Beginn des Gipfels: Indien kündigte im Vorfeld an, keine neuen Einschränkungen bei den Emissionen zu planen – und auch kein fixes Datum für die Klimaneutralität verkünden zu wollen.
Immerhin wollen die G20-Länder staatliche Beihilfen für fossile Brennstoffe wie etwa Kohle abbauen, wie es im Entwurf der Abschlusserklärung heißt. Bis 2025 sollen die Subventionen „stufenweise abgebaut und rationalisiert“ werden. Zudem wolle man, und da wird es schon wieder schwammig, „unter Berücksichtigung der nationalen Gegebenheiten unser Möglichstes tun, um in den 2030er-Jahren vom Bau neuer unverminderter Kohlekraftwerkskapazitäten abzusehen“.
Klima: Kein großer Wurf in Sicht
Die klare Festlegung auf das 1,5-Grad-Ziel fehlt bislang im Entwurf, man wolle die „Bemühungen fortsetzen“, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Die zentrale Bedeutung von Klimaneutralität bis „Mitte des Jahrhunderts“ wird nur „unterstrichen“. Es sind feinste diplomatische Nuancen, die vor allem den Dissens unter den Staaten belegen.
Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden, zwölf der G20-Länder und die EU wollen es bis 2050 sein. Einhalten lassen sich die globalen Klimaziele aber nur, wenn auch China (für mehr als 30 Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich), Indien (rund sieben Prozent) und Russland (4,6 Prozent) mitmachen.
China und Russland haben bislang das Jahr 2060 anvisiert. Indien hält sich weiter mit einem konkreten Datum zurück. „Wir sind abhängig von Kohle und werden es weiter sein“, erklärte Indiens Umweltminister. 70 Prozent macht die Kohle am Strommix aus, nur 18 Prozent sind erneuerbare Energien.

Klimaaktivisten demonstrierten am Samstag in Rom.
Noch geben sich die Verhandler hoffnungsvoll. Schon am Freitag redete Draghi dem indischen Präsidenten Narendra Modi bei einem bilateralen Treffen ins Gewissen. Kanzlerin Angela Merkel, für die der Gipfel der Abschied von der großen internationalen Bühne ist, wird Modi am Sonntagnachmittag treffen.
Abgesehen von Russlands Präsident Wladimir Putin und Chinas Präsident Xi Jinping ist die globale Elite komplett nach Italien gereist. Bei welchen anderen Dossiers gibt es schon Kompromisse, wo wird noch hart verhandelt? Ein Überblick der wichtigsten Themenfelder:
Corona-Impfungen: Fehlender Fahrplan
Schon am Freitag trafen sich die Gesundheits- und Finanzminister der G20-Staaten und nahmen die erste wichtige Hürde: Das Bekenntnis, bis 2022 rund 70 Prozent der Menschheit über alle Einkommensgruppen hinweg mit Corona-Impfstoff zu versorgen, steht. Auch Draghi erwähnt dieses Ziel in seiner Eröffnungsrede am Samstag. Während in den reichen Ländern 70 Prozent der Bevölkerung geimpft seien, liegt der Wert in den ärmsten Entwicklungsländern bei nur drei Prozent. Für Draghi „moralisch inakzeptabel“.
Was weiterhin fehlt ist ein konkreter Plan für die Umsetzung und Finanzierung. „Zusammenarbeit von historischem Ausmaß ist die einzige Lösung“, heißt es in einem offenen Brief, den Tedros Adhanom Ghebreyesus, Chef der Weltgesundheitsorganisation, an die G20 schickte. 550 Millionen Impfdosen würden noch fehlen, um bis Jahresende dafür zu sorgen, dass mindestens 40 Prozent der Weltbevölkerung geimpft ist.
Immerhin Kanada kündigte auf dem Gipfel konkrete Ambitionen an: Das Land will weitere zehn Millionen Moderna-Dosen an die Impfstofforganisation Covax spenden und kündigte 15 Millionen kanadische Dollar an, um die Herstellung von Impfstoffen in Südafrika zu unterstützen.
Finanzminister Olaf Scholz, der die Kanzlerin als Nachfolger in spe auch bei allen bilateralen Gesprächen begleitet, hoffte darauf, dass beim G20-Gipfel die Basis dafür gelegt werden könne, „dass auch in Zukunft weitere Länder in größerem Umfang dazu beitragen, dass es überall genügend Impfstoffe gibt“.
Welthandel: Chipmangel und Gaspreise
In Rom treffen nicht nur die größten Energie-Konsumenten des Planeten zusammen – sondern mit Russland und Saudi-Arabien auch die größten Produzenten von Öl und Erdgas. Auf den Tisch werden daher auch die steigenden Strom- und Gaspreise kommen. Während die UN und Umweltorganisationen die Schuld der Preisexplosion in der extremen Abhängigkeit von fossilen Energieträgern sehen, fordern die Konsumenten, allen voran die USA, die Produktion in den Exportländern hochzufahren. Russlands Präsident Putin hat schon versprochen, dass der Staatskonzern Gazprom Europa mit all dem Gas versorgt, das nötig sein sollte. Nicht ausgeschlossen ist, dass es dazu unter den G20-Staaten auch insgesamt zu einer Übereinkunft kommt.

Können bilaterale Gespräche Indiens starre Position beim Klima noch ändern?
Ähnlich drängend ist der Kampf gegen den Halbleitermangel. Überall fehlen Chips, bei Autos genauso wie in Smartphones. Ganze Branchen drohen blockiert zu werden, gleichzeitig bremst der Chipmangel den Aufschwung nach der Coronakrise. Europa und die USA arbeiten an Plänen, um weniger abhängig von den asiatischen Lieferanten zu werden. In Rom wird vor allem US-Präsident Biden aber auch versuchen, mit den asiatischen Partnern die bestehenden Lieferketten zu verstärken. Ergebnis: ungewiss.
Sicherheitslage: Afghanistan und Iran-Abkommen
Italiens Premier Draghi hatte vor zweieinhalb Wochen einen virtuellen Sondergipfel zu Afghanistan einberufen. Damals verständigten sich die G20-Staaten auf eine „koordinierte Antwort“, um die humanitäre Krise im Land zu bekämpfen. Laufen soll diese „Antwort“ über die Vereinten Nationen. Unter dem UN-Schirm könnten auch internationale Geldgeber wie die Weltbank und der Internationale Währungsfonds agieren. Gut möglich, dass sich die G20 hier auf weitere Details einigen oder neue Finanzzusagen machen werden.
Ein Thema, das nicht in großer Runde verhandelt wurde, ist das Iran-Abkommen. Kanzlerin Merkel traf sich am Samstagnachmittag mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Großbritanniens Premier Boris Johnson und Biden, um darüber zu beraten, wie sich das Abkommen noch retten lässt, welches das Land vom Bau einer Atombombe abhalten soll. Die USA hatten unter Bidens Vorgänger Donald Trump das Abkommen einseitig aufgekündigt.
„Wir sind der Überzeugung, dass es möglich ist, zügig eine Einigung über die Rückkehr zur uneingeschränkten Einhaltung zu erzielen und umzusetzen sowie langfristig zu gewährleisten, dass Irans Nuklearprogramm ausschließlich friedlichen Zwecken dient“, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung der vier Staaten. Sie riefen Irans Präsidenten auf, die Möglichkeit zu nutzen und „ehrliche Anstrengungen zu unternehmen, um unsere Verhandlungen vordringlich zum Abschluss zu bringen“.

US-Präsident Joe Biden zu Gast bei Italiens Premier Mario Draghi.
Merkel wird auch mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sprechen. Kern des Treffens wird wohl die gerade noch abgewendete diplomatische Krise sein. Deutschland und andere westliche Staaten forderten lautstark die Freilassung des seit vier Jahren inhaftierten Menschenrechts-Aktivisten Osman Kavala. Erdogan verbot sich die Einmischung in innenpolitische Angelegenheiten – und drohte mit der Ausweisung von neun Botschaftern.
Am Ende konnte der Eklat verhindert werden. Doch solange Kavala weiter in Haft sitzt, ist das Thema nicht vom Tisch. Hier ist Merkels Verhandlungsgeschick gefragt: Die EU ist auf Erdogan beim Flüchtlingsdeal angewiesen.
Mehr: Schulterschluss in Rom: Joe Biden nennt U-Boot-Pakt mit Australien „ungeschickt“ eingefädelt.
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