Gaserkundungen im Mittelmeer Worüber Türken und Griechen nun verhandeln – und warum eine Einigung der „Erzfeinde“ schwer vorstellbar ist

Griechenland und Zypern werfen der Türkei vor, im östlichen Mittelmeer illegal Erdgasvorkommen zu erkunden – die türkische Regierung weist die Vorwürfe zurück.
Istanbul, Athen Monatelang sah es so aus, als läge ein Krieg im östlichen Mittelmeer im Bereich des Möglichen: Im Konflikt um die Gasvorkommen im Mittelmeer mobilisierten die zerstrittenen Nato-Partner Griechenland und Türkei im vergangenen Sommer Fregatten, U-Boote und Kampfflugzeuge. Jetzt ist die akute Kriegsgefahr zumindest vorerst gebannt: Die beiden Regierungen kehren an den Verhandlungstisch zurück.
Sie wollen die vor fast fünf Jahren abgebrochenen Sondierungsgespräche über eine Abgrenzung ihrer Wirtschaftszonen wieder aufnehmen. Das erste Treffen soll am 25. Januar in Istanbul stattfinden.
Griechenland und Zypern werfen der Türkei vor, im östlichen Mittelmeer illegal Erdgasvorkommen zu erkunden. Die Europäische Union prüft deshalb Sanktionen gegen die Türkei. Das Thema steht auf der Tagesordnung des EU-Gipfels im März. Die türkische Regierung weist die Vorwürfe zurück und vertritt den Standpunkt, dass die Erdgassuche rechtmäßig ist.
Schon auf dem Höhepunkt des Streits im Sommer 2020 hatten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Heiko Maas darum bemüht, beide Seiten zu Gesprächen zu drängen. Die Vermittlungsbemühungen scheiterten aber. Es habe „viel zu viele Provokationen“ gegeben, sagte Maas damals.
Möglich wurde jetzt die Wiederaufnahme der Verhandlungen, nachdem die Türkei Ende Dezember ihr Forschungsschiff „Oruc Reis“ aus den umstrittenen Seegebieten abzog. Mindestens sechs Monate lang soll es dort nicht wieder aufkreuzen, versicherte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu. Damit öffnet sich ein Zeitfenster für die Sondierungsgespräche. Dass sie zu schnellen Ergebnissen führen, ist allerdings nicht zu erwarten. Der Konflikt ist kompliziert, das Klima vergiftet.
Worum es genau geht, zeigt der Überblick unserer Korrespondenten
Worüber streiten die Türkei und Griechenland?
Es geht um die Abgrenzung der beidseitigen ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ) der beiden Nachbarländer in der Ägäis und im östlichen Mittelmeer. Nach dem UN-Seerechtsübereinkommen darf die Ausdehnung der AWZ, innerhalb derer ein Staat das alleinige Recht zur Ausbeutung der Bodenschätze hat, 200 Seemeilen (370 km) von der Küstenlinie betragen. Liegen zwei Staaten näher als 400 Seemeilen beieinander, gilt eine Mittellinie. Im Fall Griechenlands und der Türkei ist die Abgrenzung wegen der zahlreichen griechischen Inseln und Felseneilande besonders kompliziert. Dafür gibt es keine festen Regeln. Nachbarstaaten müssen sich in solchen Fällen in Verhandlungen einigen. Neue Brisanz hat die Kontroverse bekommen, seitdem in den 1990er-Jahren im östlichen Mittelmeer Erdgasvorkommen entdeckt wurden.
Welche Länder sind noch beteiligt?
Alle Anrainer des östlichen Mittelmeers sind in den Konflikt involviert. So geht es auch um die Abgrenzung der Seegrenzen zwischen der Türkei und der Republik Zypern. Ankara erkennt allerdings den EU-Staat Zypern völkerrechtlich gar nicht an, sondern unterhält nur diplomatische Beziehungen zum türkisch kontrollierten Inselnorden. Mit der von den Vereinten Nationen anerkannten Regierung Libyens in Tripolis hat die türkische Regierung Anfang des Jahres ein bilaterales Abkommen über die Seegrenzen der beiden Staaten abgeschlossen, zum Nachteil Griechenlands und Zyperns. Der Libanon, Ägypten, Israel und Syrien grenzen ebenso an das östliche Mittelmeer. Auch die palästinensische Autonomieregion besitzt eine eigene AWZ.
Warum will die Türkei ihre Seegrenzen ausweiten?
Die Türkei hat nach eigener Darstellung die längste Küstenlinie im östlichen Mittelmeer, aber aufgrund vieler vorgelagerter griechischer Inseln eine relativ kleine AWZ. Als die Regierungen Griechenlands, Zyperns und Israels im Jahr 2011 ein Memorandum zur gemeinsamen Ausbeutung der möglichen Erdgasvorkommen in der Region unterzeichneten, forderte das türkische Außenministerium Verhandlungen. Allein, damals fand sich niemand für solche Verhandlungen. Es zeichnete sich aber schon ab, dass die Aufteilung der Seegrenzen in der Region für größere Spannungen sorgen könnte.

Alle Anrainer des östlichen Mittelmeers sind in den Konflikt involviert.
Wie wird das Thema inzwischen in der Türkei diskutiert?
Bei dieser Frage gibt es eine rationale und eine emotionsgeladene Debatte. Die türkische Regierung will einerseits ihre Abhängigkeit von Öl- und Gasimporten verringern. Die beiden Posten sind hauptverantwortlich für das Leistungsbilanzdefizit der türkischen Volkswirtschaft. Je weniger Rohstoffe die Türkei importieren muss, desto ausgeglichener wird der angeschlagene türkische Staatshaushalt. Hinzu kommt, dass die Regierung in Ankara unter Staatspräsident Erdogan spätestens seit einem vereitelten Putschversuch im Sommer 2016 einen unilateralen und teils aggressiven außenpolitischen Kurs eingeschlagen hat. Statt Kooperation setzt die Administration in Ankara immer häufiger auf Konfrontation, wobei es der türkischen Regierung darum geht, den eigenen Einfluss zu vergrößern und den Einfluss anderer Regionalmächte zu verringern.
Droht ein Krieg zwischen der Türkei und Griechenland?
Die Gefahr besteht. Bereits im August ließen die beiden verfeindeten Nachbarn im östlichen Mittelmeer Dutzende ihrer Kriegsschiffe auffahren. Dabei kam es zur Kollision einer griechischen und einer türkischen Fregatte. Auf Initiative der Nato, der beide Länder angehören, vereinbarten Athen und Ankara zwar im September die Einrichtung einer Hotline, um eine militärische Konfrontation abzuwenden. Aber rund um das türkische Forschungsschiff „Oruc Reis“, das zwischen den griechischen Inseln Rhodos und Kastelorizo kreuzt, sind jetzt wieder starke Flottenverbände aufgefahren. Wo so viel Militär konzentriert ist, kann eine Konfrontation schnell zu einer kriegerischen Auseinandersetzung eskalieren.
Auf welcher Seite steht die EU?
Die EU hat keine einheitliche Linie. Die Staats- und Regierungschefs versichern zwar den Mitgliedstaaten Griechenland und Zypern ihre Solidarität und drohen der Türkei mit Sanktionen, wenn sie ihre, wie es heißt, „illegalen“ Erkundungen fortsetzt. Darüber könnte im Dezember entschieden werden. Aber während, neben Griechenland und Zypern, auch Frankreich und Österreich Strafmaßnahmen gegen die Türkei fordern, bremst vor allem Deutschland. Kanzlerin Angela Merkel setzt auf Dialog mit der Türkei, auch aus Angst vor neuen Konflikten mit Erdogan in der Migrationspolitik. Mit ihren Versuchen, Griechen und Türken zu Verhandlungen über die Abgrenzung der Wirtschaftszonen zu bewegen, ist die Kanzlerin allerdings bisher gescheitert.
Wer hätte vor Gericht die bessere Verhandlungsposition?
Beide Seiten müssten Zugeständnisse machen. Beispiel Griechenland: Für die kleine Insel Kastelorizo, die nur zwölf Quadratkilometer groß ist und zwei Kilometer vor der türkischen Südküste liegt, beansprucht Athen eine AWZ von 40.000 Quadratkilometern. Dass Griechenland mit dieser Maximalforderung vor dem IGH durchkommt, ist sehr unwahrscheinlich. Umgekehrt ist fraglich, ob das Gericht der Türkei das Recht zuspricht, südlich der Insel Kreta Bodenschätze auszubeuten. In jedem Fall müssten beide Länder den IGH gemeinsam als Schlichter anrufen und sich vorab verpflichten, seinen Spruch umzusetzen. Griechenland geht diesen Weg jetzt gemeinsam mit Albanien, um die Wirtschaftszonen im Ionischen Meer abzugrenzen. Die Türkei hat bisher nicht gesagt, ob sie ein solches Schiedsverfahren akzeptieren würde.

Die griechische Regierung hat erklärt, dass sie erst dann zu Gesprächen bereit ist, wenn die Türkei ihre Schiffe aus den strittigen Seegebieten zurückzieht.
Warum setzen beide Länder Militär ein, anstatt zu verhandeln?
Es ist ein Teufelskreis: Wenn die Türkei, wie jetzt im Fall „Oruc Reis“, ihre Erkundungsschiffe in den umstrittenen Gewässern von Einheiten ihrer Kriegsmarine eskortieren lässt, setzt auch Griechenland seine Kriegsschiffe in Marsch. Die griechische Regierung hat erklärt, dass sie erst dann zu Gesprächen bereit ist, wenn die Türkei ihre Schiffe aus den strittigen Seegebieten zurückzieht. Ein solches Moratorium schien Mitte September mit dem Rückzug der „Oruc Reis“ in greifbarer Nähe. Aber vier Wochen später stach das Forschungsschiff wieder in See.
Warum sind Merkels Vermittlungsversuche bisher gescheitert?
Oberflächlich betrachtet scheiterten die Vermittlungsversuche daran, dass es mehrfach Störfeuer aus Athen und Ankara gab. Als Griechenland sich Anfang August mit Ägypten auf die teilweise Abgrenzung der Wirtschaftszonen einigte, kündigte Erdogan neue Bohrungen an. Anfang Oktober einigten sich zwar beide Regierungen unter Merkels Vermittlung auf Sondierungsgespräche. Sie platzten aber, weil die Türkei überraschend am 12. Oktober die „Oruc Reis“ wieder in die umstrittenen Seegebiete entsandte.
Was macht eine Einigung so schwierig?
Die eigentlichen Schwierigkeiten liegen in den Gesprächen selbst. Schon die Agenda ist strittig: Während Griechenland von „Sondierungen“ spricht, die einzig und allein den Wirtschaftszonen gelten sollen, will die Türkei Verhandlungen über ein ganzes Bündel bilateraler Themen. Dazu gehört vor allem der militärische Status von 23 griechischen Inseln, die nach türkischer Auffassung demilitarisiert werden müssen – worüber Griechenland jede Diskussion strikt ablehnt.
Wie kann es weitergehen?
Die Abgrenzung von Wirtschaftszonen ist schon kompliziert genug. So brauchten Frankreich und Großbritannien Jahrzehnte, um sich über die Aufteilung im Bereich der Kanalinseln zu einigen. Athen und Ankara verhandelten schon zwischen 2002 und 2016 über die Abgrenzung der AWZ in verschiedenen Gebieten. In 61 Gesprächsrunden kam aber keine Einigung zustande. Erschwert wird eine Lösung nicht nur durch die komplexe Geografie. Auch die „Erbfeindschaft“ der beiden Völker spielt in den Streit hinein. Erdogans Bestreben, die Türkei zur Hegemonialmacht im östlichen Mittelmeer zu machen, weckt in Griechenland alte Ängste vor türkischen Gebietsansprüchen auf griechische Ägäisinseln.
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