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Gasvorkommen Erneute Eskalation im Mittelmeer: Die Türkei fordert Griechenland und das Seerecht heraus

Ankara sucht im Mittelmeer erneut nach Erdgas. Griechenland beordert in der Folge einen Großteil seiner Kriegsflotte in das Krisengebiet.
12.08.2020 Update: 12.08.2020 - 19:31 Uhr 3 Kommentare
Der Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei spitzt sich immer weiter zu. Quelle: AP
Forschungsschiff Oruc Reis in Begleitung von Marineschiffen

Der Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei spitzt sich immer weiter zu.

(Foto: AP)

Istanbul, Athen Das Gebiet ist kleiner als ein gewöhnliches deutsches Bundesland. Und es ist nicht einmal hundertprozentig bewiesen, ob sich unter dem Wasser Öl oder Gas verbergen. Doch die Erkundungsfahrten eines türkischen Spezialschiffs sorgen für ein geopolitisches Spektakel im östlichen Mittelmeer mit weitreichenden Folgen.

Die Außenminister der EU-Staaten werden am Freitagnachmittag in einer außerplanmäßigen Videokonferenz unter anderem über den Streit um Erdgas im östlichen Mittelmeer beraten. Griechenland hatte die außerordentliche Sitzung wegen der Spannungen mit der Türkei gefordert. Hintergrund sind neue Erdgaserkundungen der Türkei in einem Seegebiet, das Griechenland als Teil seiner ausschließlichen Wirtschaftszone sieht. Nach türkischer Lesart haben Inseln wie Kreta zwar Hoheitsgewässer, aber keine Ausschließliche Wirtschaftszone.

Der Konflikt zwischen den beiden Erzfeinden ist mehr als ein diplomatischer Schlagabtausch. Die Türkei lässt ihr Forschungsschiff von mindestens fünf Marineschiffen begleiten. Athen hat im Gegenzug die eigene Marine in die Region geschickt und Soldaten in höchste Alarmbereitschaft versetzt.

Nachdem das türkische Forschungsschiff den östlichsten Zipfel des Gebietes erreichte, das Ankara für Forschungen freigegeben hatte, änderte es seinen Kurs um 180 Grad und fuhr am Mittwochmorgen in nordöstlicher Richtung; parallel, aber entgegengesetzt zu dem Kurs, den es am Vortag hatte. Die griechische Marine gehe davon aus, dass die „Oruc Reis“ die Region systematisch absuche und mit Ultraschallwellen den Boden des Mittelmeeres erforsche, hieß es.

Ein historisch gewachsener Konflikt

Der griechisch-türkische Streit um die Wirtschaftszonen schwelt seit 1973. Damals erteilte die türkische Regierung der staatlichen Mineralölgesellschaft Konzessionen für die Öl- und Gassuche zwischen den griechischen Inseln in der östlichen Ägäis.

Im Kern geht es bei der Kontroverse darum, dass Griechenland für seine Inseln eigene Wirtschaftszonen beansprucht. Athen beruft sich dabei auf die Seerechtskonvention der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1982. Die Türkei erkennt die Konvention nicht an. Nach ihrer Auffassung haben Inseln keine eigenen Wirtschaftszonen.

Die EU und die USA unterstützen die Position Griechenlands. Sie betrachten deshalb auch ein Abkommen, mit dem die Türkei und Libyen Ende 2019 einen Korridor im östlichen Mittelmeer untereinander aufteilten, ohne Rücksicht auf die darin gelegenen griechischen Inseln, als völkerrechtswidrig.

Die Türkei will weitere Erdgas-Erkundungsfahrten im östlichen Mittelmeer durchführen. Quelle: dpa
Auf der Suche nach Erdgasvorkommen

Die EU und die USA unterstützen die Position Griechenlands.

(Foto: dpa)

Der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags kommt in einem Gutachten ebenfalls zu dem Schluss, das türkisch-libysche Abkommen verstoße gegen das internationale Recht.

2002 nahmen Griechenland und die Türkei Sondierungsgespräche über eine Abgrenzung der beiderseitigen Wirtschaftszonen auf. Die Türkei brach diese Sondierungen im März 2016 nach der 60. Gesprächsrunde ab. Nach Merkels Intervention hatten sich Athen und Ankara vor zwei Wochen darauf verständigt, diese Gespräche am 28. August wiederaufzunehmen.

Dazu wird es jedoch wohl nicht kommen, nachdem der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan die Teilnahme seines Landes abgesagt hat. Er reagierte damit auf ein Abkommen, mit dem Griechenland und Ägypten vergangene Woche ihre Wirtschaftszonen im östlichen Meer abgrenzten.

Das türkische Außenministerium sprach von einem „Piratenabkommen“, das die Rechte der Türkei verletze. Erdogan ordnete die sofortige Wiederaufnahme der zuvor auf Merkels Intervention zurückgestellten Erdgassuche südlich der griechischen Insel Kastelorizo an.

Türkei kündigt weitere Erkundungen an

Das Forschungsschiff „Oruc Reis“ kreuzt nun in dem umstrittenen Seegebiet. Das türkische Verteidigungsministerium veröffentlichte am Montag eine Luftaufnahme, die die „Oruc Reis“ in Begleitung von fünf Kriegsschiffen zeigt. Zeit und Ort der Aufnahme sind aber unklar. Nach Angaben aus griechischen Militärkreisen wird die „Oruc Reis“ inzwischen von etwa 25 türkischen Kriegsschiffen eskortiert.

Griechenland hat ebenfalls einen Großteil seiner Kriegsflotte in das Krisengebiet beordert. Die griechische Marine forderte das türkische Forschungsschiff alle 15 Minuten über Funk auf, die Region zu verlassen. Die Besatzung der „Oruc Reis“ ignorierte diese Funksprüche aber. Griechenland hat seine Streitkräfte in höchste Alarmbereitschaft versetzt.

Am Montag kündigte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu weitere Erdgaserkundungen in einem Seegebiet an, das zum umstrittenen türkisch-libyschen Korridor gehört und bis an die griechischen Inseln Kreta, Kasos, Karpathos und Rhodos heranreicht.

Griechenlands Außenminister Nikos Dendias warf der Türkei vor, sie gefährde „Frieden und Sicherheit im östlichen Mittelmeer“. Ankara betreibe eine „Kanonenbootpolitik im Geist des 19. Jahrhunderts“. Die Türkei stelle sich damit außerhalb des Völkerrechts und versuche, „vollendete Tatsachen zu schaffen“, sagte Dendias.

Athen ist zu Verhandlungen bereit

Die EU-Kommission sprach von einer „besorgniserregenden Entwicklung“. Das US-State-Department äußerte sich „zutiefst besorgt“ und forderte die Türkei auf, ihre Aktivitäten in der Wirtschaftszone Griechenlands einzustellen. Der griechische Außenminister Dendias will seinen amerikanischen Kollegen Mike Pompeo am Freitag in Wien treffen.

In der Türkei ist die Aktion in eine größere Kampagne eingebettet. Unter dem Stichwort „Blaues Vaterland“ (türk. „Mavi Vatan“) betreibt die Regierung in Ankara seit rund einem Jahr eine Doktrin, wonach sie eine deutlich größere Seefläche rund um die Küste des Landes beansprucht.

Vor allem im Mittelmeer fordert die Administration um Staatschef Erdogan einen größeren Einflussbereich. Der ist durch die griechische Insel Kastellorizo (türk. Meis), die zwei Kilometer vor der türkischen Küste liegt, limitiert.

Die Regierung in Athen beansprucht für die Insel nicht nur einen Festlandsockel, sondern auch eine weit ins Meer reichende exklusive Wirtschaftszone. Die fehlt der Türkei an der Stelle.

Der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis unterstrich die Bereitschaft seines Landes, mit der Türkei über die Abgrenzung der beiderseitigen Wirtschaftszonen zu verhandeln. Die türkischen Drohungen ließen aber zweifeln, dass Ankara wirklich bereit sei, mit Verhandlungen das Problem im Rahmen des internationalen Rechts zu lösen, sagte er am Mittwochabend im Staatsfernsehen. Wenn die Gespräche nicht zu einer Einigung führten, sei Griechenland bereit, den Streit vom Internationalen Gerichtshof (ICJ) in Den Haag entscheiden zu lassen.

Einen solchen Versuch machte Griechenland bereits 1976. Er scheiterte aber, weil die Türkei die Gerichtsbarkeit des ICJ nicht anerkennt.

Mehr: Corona-Infektionen in Griechenland auf neuem Höchststand

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3 Kommentare zu "Gasvorkommen: Erneute Eskalation im Mittelmeer: Die Türkei fordert Griechenland und das Seerecht heraus"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • Ich würde niemals in einem Land Urlaub machen , dass die Menschenrechte u. Demokratie mit Füßen tritt.

  • Das ist einer der Kommentare von Ihnen, die ich für sachlich richtig und fundiert halte (sonst wird es ja auch schon mal etwas polemisch)
    Was den Tourismus betrifft, fahren weiterhin viele Deutsche wg. der Preise sehr gerne in die Türkei. Ich persönlich würde mich schon bei der Einreise nicht "wohl" fühlen. Was die Wirtschaftszone zwischen der Türkei und Griechenland betrifft, denke ich, dass man aufgrund der "engen" Verhältnisse im Mittelmeer nicht jedes Land einfach eine riesige Wirtschaftszone beanspruchen kann, wenn griechische Inseln z.B. nur 2 Seemeilen vom türkischen Festland entfernt sind; das wäre zu einfach! Die Türkei muss man da einfach mit einbinden; die Frage ist nur, ob sich auf Dauer bei evtl. Übereinkünften Herr Erdogan daran hält. Ich denke: er wird bei neuen Problemen einfach wieder aggressiv vorgehen, um in der Innenpolitik von seinen eigenen Problemen abzulenken.

  • Die Türkei hat gleich drei gewaltige wirtschaftliche Probleme:
    Das erste ist der drastische Einbruch des wichtigsten Wirtschaftszweiges und Devisenbringers, nämlich des Tourismus´. Der begann schon nach dem fehlgeschlagenen Putsch vor vier Jahren, als Erdogan als Konsequenz daraus zunehemend diktatorisch agierte (und sich die Nachrichten von Verhaftungen bei der Einreise in die Türkei häuften).
    Das zweite ist die Türkische Lira, die nun wohl bald endgültig crashen dürfte.
    Das dritte, das gerne vergessen wird (obwohl es eigentlich das entscheidende ist), ist das katastrophale Leistungsbilanzdefizit, was das fünftschlechteste aller Staaten überhaupt ist:
    https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/rankorder/2187rank.html
    Das Leistungsbilanzdefizit des UK ist noch schlechter, was auch die aktuellen enormen wirtschaftlichen Probleme durch die Corona-Lockdown-Krise erklärt (siehe HB-Artikel von heute), am schlechtesten ist das der USA. Aber das ganz Entscheidende ist nun: die Vereinigten Staaten sind überwiegend in eigener Währung (!!) verschuldet, die zudem die WeltleiDwährung ist. Die Fed kann also nahezu beliebig USD nachdrucken, und die Vereinigten Staaten können trotzdem (!!) weiter importieren. Die BoE kann jedoch nur Britsches Pfund drucken, was jedoch nichts bringt, wenn etwa die Auslandsschulden in USD zu entrichten sind. Und entsprechend kann die türkische Zentralbank nur Lira drucken und eben keine USD (bzw. Devisen allgemein), die man jedoch unbedingt benötigt, um weiterhin importieren zu können!
    Erdogan braucht also dringend, dringender, am dringendsten neue Devisenbringer - und das ist der wichtigste Grund dafür, dass er so scharf auf diese Erdgasvorkommen ist.

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