Geldpolitik Venezuela streicht sechs Nullen beim Bolívar – aber an der Inflation ändert das nichts

Der neue Bolívar ist die kleinste Banknote.
Salvador Die Ankündigung der venezolanischen Zentralbank, dass ab dem 1. Oktober bei der Währung Bolívar sechs Nullen gestrichen werden, registrierten die Bürger gleichgültig. Sie sind die Umstellungen gewohnt und haben zudem inmitten einer grassierenden Pandemie und anhaltenden Rezession andere Probleme.
Zudem hat die Zentralbank des einstmals reichen Öllandes seit 2008 in drei Abwertungsrunden bereits 14 Nullen gestrichen. Aus dem „starken“ wurde 2018 der „souveräne“ und jetzt der „digitale“ Bolívar. „Die Regierung schafft eine Illusion“, sagt der oppositionelle Abgeordnete Gilmar Márquez. „Nach unseren bisherigen Erfahrungen treibt die Regierung mit ihren Maßnahmen die Inflation noch weiter an.“
So spricht die Zentralbank auch nicht von Abwertung, sondern nebulös von der „Umwandlung“ des Bolívars in eine digitale Währung. Damit will die Regierung des Diktators Nicolás Maduro den versprochenen Wandel zur digitalen Zahlungswirtschaft vollziehen.
Doch wie die angekündigten Überweisungen in Echtzeit funktionieren sollen – das weiß noch niemand. Angesichts der Stromausfälle und des schwachen Internets ist das auch gar nicht so einfach, Geldbewegungen per Smartphone oder Kartenmaschine zu vollziehen. „Vermutlich will die Regierung vor allem das Kalkulieren erleichtern, weil sich die Menschen so oft verrechnen bei den Millionenbeträgen“, sagt der Ökonom Henkel Garcia vom Institut Econometrica. „Mittelfristig will die Regierung zudem das Bargeld endgültig abschaffen.“
Doch noch gibt es das Papiergeld: Aus der bisher höchsten Note von einer Million BsF (F für fuerte, stark) wird jetzt 1 BsD (D für digital). Umgerechnet sind das 25 Dollarcent auf dem offiziell tolerierten Schwarzmarkt. Mit einem digitalen Bolívar können die Venezolaner in Caracas gerade mal zwei Bustickets bezahlen.
Und das zeigt das Ausmaß des Problems der Hyperinflation, in der Venezuela nun seit vier Jahren steckt: Umgerechnet rund 300 Dollar sind notwendig für einen Lebensmittelkorb, von dem eine fünfköpfige Familie sich ernähren kann.
Das entspricht 162 Mindestlöhnen – und ist damit für die meisten Familien aus der Mittelschicht nicht mehr zu bezahlen, von den Armen Venezuelas ganz zu schweigen. Sie überleben durch die staatlichen Lebensmittelprogramme. Mit politischem Wohlverhalten und Glück hoffen sie, dabei berücksichtigt zu werden und so über die Runden zu kommen.
Staatliche Eingriffe in vielen Bereichen
Diese unmenschlichen Preisverhältnisse sind das Resultat jahrelanger staatlicher Eingriffe in den Devisenhandel, die Geldpolitik und die Preise fast aller Güter und Dienstleistungen. Und natürlich die Produktion, wo ganze Branchen verstaatlicht wurden.
Weil das Ölland immer weniger Öl exportiert, dafür aber fast alles importiert, fehlen Dollar. Deswegen lässt die Regierung die Notenpresse immer schneller laufen. Die Inflation war in den vergangenen zwei Jahrzehnten meist zweistellig.
Im Jahr 2017 wurde sie mit 438 Prozent erstmals dreistellig – und ist seitdem durch die Decke gegangen: Der bisherige Höhepunkt der Geldentwertung fand 2018 mit 130.000 Prozent Entwertung statt, so die venezolanische Zentralbank. In den letzten zwölf Monaten hat die Währung 1984 Prozent verloren, so das unabhängige Wirtschaftsinstitut Oberservatorio Venezolanao de Finanzas.

Menschen stehen für eine Suppenküche in Caracas an.
Die Folge der nun vierjährigen Hyperinflation ist, dass die nationale Währung immer weniger benutzt wird. So hat die Regierung Ende 2019 den Dollar als Zweitwährung zugelassen. Es sei ein großes Glück, dass es den Dollar gebe, erklärte Maduro damals.
Der Dollar hat seitdem schnell den Bolívar verdrängt. Das Institut Econanalítica schätzt, dass heute zwischen 60 und 70 Prozent der Transaktionen in Dollar stattfinden. Die Bezahlungen in Bolívar sind auch zu umständlich geworden: Das Geld wird gewogen, nicht gezählt, wenn man ein paar Eier oder ein Huhn kaufen will.
Die maroden Geldautomaten spucken nur noch daumendicke Geldbündel aus, die umgerechnet nur ein paar Dollarcent wert sind. „Die Regierung zieht jetzt sechs Nullen von einer Währung ab, die eigentlich kaum noch benutzt wird“, sagt der oppositionelle Abgeordnete Juan Pablo Guanipa.
Bitcoin sind beliebt für Transaktionen
Doch auch die parallele Dollarökonomie hat ihre Nachteile: Seit Mitte 2019 sind die Preise in Dollar um rund zwei Drittel gestiegen. Venezuela ist auch für diejenigen, die über Dollar verfügen – weil sie die aus dem Ausland von Verwandten geschickt bekommen oder weil sie Zugang zu den subventionierten Dollar aus dem korrupten Staatsapparat haben –, zu einem teuren Land geworden.
Beliebt für Transaktionen sind auch Bitcoin, zum Teil auch in Venezuela gewonnen: Das Ölland war zeitweise ein Paradies für Schürfer von Kryptowährungen. Der Strompreis ist staatlich gedeckelt und erlaubt billiges Schürfen der digitalen Währungen – trotz der vielen Ausfälle im Stromnetz.
Dennoch wird der digitale Bolívar nicht eines der Probleme lösen, welches viele Venezolaner täglich lösen müssen. Der neue Bolívar ist die kleinste Banknote. Wie sollen die Busfahrer Geld rausgeben, wenn ein einfaches Busticket einen halben Bolívar kostet?
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