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Global Risk Iran Die Präsidentschaftswahl im Iran entscheidet über das Schicksal des Landes – und das westlicher Firmen

Ausgerechnet ein Wirtschaftsprofessor könnte den Hardlinern den sichergeglaubten Sieg rauben. Dann könnte der Iran für die westliche Wirtschaft wieder richtig interessant werden.
17.06.2021 - 18:27 Uhr Kommentieren
Raisi war einst höchst umstrittener Generalstaatsanwalt und dann Chef der auf 14 Milliarden Dollar Jahresumsatz geschätzten religiösen Stiftung Astan Quds Razavi in Mashad Quelle: AP
Befürworterinnen von Ebrahim Raisi

Raisi war einst höchst umstrittener Generalstaatsanwalt und dann Chef der auf 14 Milliarden Dollar Jahresumsatz geschätzten religiösen Stiftung Astan Quds Razavi in Mashad

(Foto: AP)

Berlin, Teheran Wen die Hardliner im Iran – Militärs, Manager maroder Staatskonzerne und mediokre Theokraten – sich als neuen Präsidenten wünschen, daran lassen die vom Staat kontrollierten Medien keinen Zweifel: Ebrahim Raisi.

Seit fast drei Jahren ist der 60-Jährige mit dem schwarzen Turban oberster Justizchef des Landes und somit vor allem verantwortlich für das Niederschlagen von Protesten und das Hinrichten von Oppositionellen. Nach seiner unerwarteten Niederlage im Jahr 2017 will das Iraner Establishment es nun wissen – und ihn am Freitag endgültig zum Präsidenten wählen lassen.

Wenn eine Wahl den Titel Schicksalswahl verdient hat, dann ist das diese 13. Wahl seit der Islamischen Revolution 1979. Die ökonomische Lage ist nach der Verschärfung der Sanktionen durch den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump, der im Mai 2018 einseitig aus dem internationalen Atomabkommen ausstieg, ohnehin prekär.

Schon 2018 und 2019 war die Wirtschaft jeweils um sechs und 6,8 Prozent eingebrochen. Die Corona-Pandemie 2020 verhinderte die erwartete Erholung. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei mehr als 40 Prozent, die Inflation – das größte Problem der Volkswirtschaft – stieg zuletzt auf Werte von weit mehr als 30 Prozent.

Sollte Raisi sich tatsächlich durchsetzen, droht alles noch schlimmer zu werden. Vieles spricht für seinen Sieg. Reformer und alle Frauen hat der mächtige erzkonservative Wächterrat ohnehin von einer Kandidatur ausgeschlossen. Und eine Mischung aus Frust und Ausweglosigkeit könnte zu einer geringen Wahlbeteiligung führen, wovon Raisi profitieren würde.

Hoffnungen des Landes ruhen auf einem Professor

Nach einer Umfrage des Staatsfernsehens Irib wollen 51 Prozent der Iraner ihre Stimme diesmal nicht abgeben. 2017, bei der Wiederwahl des moderaten Reformers Hassan Ruhani gegen Raisi, stimmten noch 73 Prozent der Wahlberechtigten ab.

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Dennoch: Es ist nicht ausgeschlossen, dass es am Ende doch anders kommt, als die Hardliner es sich wünschen. Die große Hoffnung der Reformkräfte des Landes ruht auf einem Mann, den vor Kurzem noch niemand auf dem Zettel hatte: Abdolnasser Hemmati. Der moderate Wirtschaftsprofessor leitete bis zu seiner Kandidatur fast drei Jahre die Zentralbank.

In einer dreistündigen Fernsehdebatte mit den sechs anderen Bewerbern gab sich der Banker angriffslustig und schlagfertig: Uferlose Versprechen der Hardliner wies er als „unbezahlbar“ zurück. Stattdessen schlug der Banker, dessen Wahlspots der Staatssender Irib nicht ausstrahlt, ein Mindesteinkommen für die ärmsten Schichten von 40 Dollar monatlich vor.

Zudem fordert der 65-Jährige ein Ende der finanziell fatalen, vom Revolutionsführer ausgerufenen „Widerstandsökonomie“, in der ohne Rücksicht auf Verluste die heimische Wirtschaft subventioniert wird. Diese faktische Kriegswirtschaft soll ein Ende haben, der Wettbewerb wieder Einzug halten in die Volkswirtschaft. Fakt ist: Hemmatis Popularität nimmt zu. Sollte er am Ende tatsächlich siegen, könnte das eine Wende bedeuten – ökonomisch wie politisch.

Dabei geht es auch für europäische Firmen um viel: Wie gleich nach dem Abschluss des Nuklearabkommens 2015 könnten sich auch jetzt wieder die Schleusen öffnen für Milliardenaufträge. Denn unter Trumps Nachfolger Joe Biden steht das Wiederinkrafttreten des Atomabkommens kurz bevor. Der Iran bekäme eingefrorene Milliarden frei und könnte seine Ölexporte wieder hochfahren. Der Atomdeal sah vor, dass der Iran im Gegenzug zum Aufheben internationaler Sanktionen für intensive Handelsbeziehungen seine Atomanreicherung deutlich reduziert.

Raisi ist das Gegenteil eines Reformers

Der Iran könnte eines der reichsten Länder der Welt sein, sitzt er doch auf den größten Öl- und Gasreserven der Welt. Und das Land bräuchte nach Ansicht westlicher Unternehmensvertreter, von denen sich wegen der unklaren Lage momentan niemand zitieren lassen will, vor allem weiterhin eine reformorientierte Regierung.

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Hardliner Raisi allerdings ist das Gegenteil eines Reformers. Er war einst höchst umstrittener Generalstaatsanwalt und dann Chef der auf 14 Milliarden Dollar Jahresumsatz geschätzten religiösen Stiftung Astan Quds Razavi in Mashad. Die Unterstützung des ultrakonservativen Wächterrats gilt als sicher.

Mitte Mai ließ der Rat von 592 Kandidaten nur sieben zu. Ruhani darf nach zwei Amtszeiten nicht wieder antreten. Alle Frauen wurden wieder einmal von den Listen gestrichen, und auch bewährte Kräfte wie Ruhanis bisheriger Vizepräsident Eshaq Jahangiri und Ex-Parlamentschef und Atomunterhändler Ali Larijani.

Dem Wirtschaftsprofessor wird ein Überraschungssieg gegen die Hardliner zugetraut –  das würde Irans Wirtschaft nach der Wahl am kommenden Freitag beflügeln. Quelle: AP
Unterstützer von Ex-Zentralbankchef Abdolnasser Hemmati in Teheran

Dem Wirtschaftsprofessor wird ein Überraschungssieg gegen die Hardliner zugetraut – das würde Irans Wirtschaft nach der Wahl am kommenden Freitag beflügeln.

(Foto: AP)

Trotz seiner mächtigen Gegner – Hemmati gibt sich siegesgewiss. Tatsächlich konnte er zuletzt auffällig oft punkten. Seine Frau Sepideh Shabestar trat kürzlich an seiner Stelle in einer TV-Debatte auf – statt mit dem für mögliche First Ladys vorgeschriebenen schwarzen Tschador mit einem buntem Kopftuch. Ein klares Signal an die frustrierten Frauen des Landes.

Dann verlangte Hemmati, der viel über die „Clubhouse“-App mit Wählern chattet, das Ende des Verbots von Twitter und anderen von den Klerikern gesperrten Social-Media-Kanälen. Ein Signal an die vielen jungen Wähler – 40 Prozent der Perser sind jünger als 25 Jahre.

Und zuletzt fragte er nach der Forderung eines anderen Kandidaten, alle Gefolgsleute der Ruhani-Regierung anzuklagen, an Justizchef Raisi gerichtet: „Darf ich gleich frei das Studio verlassen?“ Ein mutiges Signal an liberale und reformorientierte Wähler.

Wirtschaftskrise im Iran endet nicht

Denn in den letzten Tagen erinnerten Eltern der in den jüngsten Aufständen 2017 und 2019 sowie 1988 durch Polizeigewalt Ermordeten an die Taten Raisis: Vor drei Jahrzehnten war Raisi als Staatsanwalt einer von vier Justizbeamten, die Tausende Oppositionelle gegen Ende des Iran-Irak-Kriegs brutal töten ließen und Abgeurteilte über Minenfelder schickten, um so das Vorrücken der Armee zu ermöglichen.

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Auch die Massenproteste der letzten Jahre wegen der Wirtschaftskrise Ende 2017 und die Verdreifachung des Benzinpreises 2019 ließen die Machthaber blutig niederschlagen. Hunderte starben, viele wurden auf offener Straße hingerichtet. An der Spitze der Strafverfolgungsbehörden: Raisi, der seither auf der US-Sanktionsliste steht.

Das iranische Volk ist leidgeprüft. Bereits vor der Pandemie erlebte die nach Saudi-Arabien zweitgrößte Volkswirtschaft am Golf seit 2018 eine bittere, sanktionsbedingte Rezession. Trotz aller Reichtümer will die Wirtschaftskrise nicht enden.

Iran ist einer der größten Petrochemie-, Stahl- und Metallexporteure weltweit. Konnte das Land vor Trumps Atomdeal-Ausstieg im Mai 2018 seine Erdölausfuhren auf täglich 2,6 Millionen Barrel hochfahren, waren es zuletzt nicht einmal mehr eine Million Fass pro Tag. Statt 53 Milliarden Dollar für Öl sowie 20 Milliarden Dollar für den Export petrochemischer Produkte zu kassieren, tröpfeln die Erlöse.

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Die Zahl der Slumbewohner stieg laut offiziellen Angaben auf 19 der gut 80 Millionen Einwohner. „Die Bevölkerung leidet unter Misswirtschaft und Korruption sowie hoher Arbeitslosigkeit und anhaltender staatlicher Repression“, sagt Azadeh Zamiridad, Iran-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik. Die einst stolze Mittelschicht ist extrem geschrumpft.

Rückkehr zum Atomdeal würde auch westlichen Konzernen Chancen bieten

„Die Wiederbelebung des Atomdeals könnte dem Regime helfen, die Wirtschaft ein wenig zu beruhigen und finanzielle Mittel zu erlangen, um wichtige Güter wie Mehl, Fleisch, Strom und Benzin zu subventionieren“, sagt Ali Fathollah-Nejad, Iran-Experte der Freien Universität Berlin. Hinzu kommt als wirtschaftliche Perspektive ein Abkommen über 400 Milliarden Dollar, das der Iran im Schatten der US-Sanktionen gerade mit China geschlossen hat.

Doch die Rückkehr zum Atomdeal böte auch westlichen Konzernen große Chancen, sagt Maciej Wojtal: Die wegen Trump auf Eis gelegten Milliardenbestellungen bei Airbus und Boeing „dürften wieder aufgenommen werden“, sagt der Ex-JP-Morgan-Fondsmanager, der nun selbstständiger Iran-Fondsmanager von Amleton Capital ist. Nach einem neuerlichen Atomdeal „könnte der Iran bereits in drei Monaten zu einer Ölproduktion von vier Millionen Barrel täglich zurückkehren“, so Wojtal.

Das würde den Ölpreisanstieg, der im Westen sehr inflationstreibend war, deutlich abmildern, und die gewaltigen Einnahmen wären ein Milliarden-Dollar-Schub für Irans neuen Präsidenten.

Hemmati jedenfalls kann mit Geld umgehen: Von einem „nachweislichen Erfolg von Hemmatis Management der iranischen Wirtschaftskrise“ spricht Esfandyar Batmanghelidj vom Wirtschaftsinstitut Bourse & Bazaar Foundation. Er habe als Notenbank-Gouverneur den Bankensektor stabilisiert und trotz Doppelkrise aus Sanktionen und Pandemie die Währungsverfall einigermaßen unter Kontrolle gehalten.

Mehr: Im Iran herrscht wirtschaftliche Wendestimmung - deutsche Unternehmen stehen in den Startlöchern

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