Benachrichtigung aktivieren Dürfen wir Sie in Ihrem Browser über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts informieren? Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Fast geschafft Erlauben Sie handelsblatt.com Ihnen Benachrichtigungen zu schicken. Dies können Sie in der Meldung Ihres Browsers bestätigen.
Benachrichtigungen erfolgreich aktiviert Wir halten Sie ab sofort über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts auf dem Laufenden. Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Jetzt Aktivieren
Nein, danke

Global Risk Ist Japans Wohlstand in Gefahr? Der neue Regierungschef Fumio Kishida steht für das Weiter-so

Dekarbonisierung, Digitalisierung, Strukturreformen – Japans neue Regierung muss einen großen Reformstau auflösen. Aber der künftige Ministerpräsident gilt nicht als Reformer.
29.09.2021 - 17:33 Uhr Kommentieren
Der langjährige japanische Außenminister steigt zum Ministerpräsidenten auf. Quelle: Reuters
Fumio Kishida

Der langjährige japanische Außenminister steigt zum Ministerpräsidenten auf.

(Foto: Reuters)

Tokio Er ist der neue starke Mann Japans. Fumio Kishida wird voraussichtlich kommenden Montag als Ministerpräsident vereidigt und damit Nachfolger von Yoshihide Suga. Der 64-Jährige setzte sich am Mittwoch in der Wahl zum Vorsitzenden der regierenden Liberaldemokratischen Partei (LDP) durch, die über die Mehrheit im Unterhaus verfügt.

Kishida ist kein Mann, der die Massen bewegt. Steif stand er nach seiner Kür auf dem Podium, beide Arme fest am Körper. Nur kurz erhob er die Stimme. „Es gibt keine Lager“, rief er seiner Partei und seinen unterlegenen Gegenkandidaten zu. Gemeinsam wolle man nun Wahlkampf führen. Das Unterhaus als entscheidende Kammer wird voraussichtlich im November neu gewählt.

Er wolle dem Volk eine neue Partei präsentieren, fuhr Kishida fort, eine Partei, die zuhören könne. Das Publikum applaudierte, die Börse nicht. Der Leitindex Nikkei 225 gab fast ein Prozent nach. Das zeugt von der Krux Kishidas.

Wie Deutschland steht Japan vor historischen Aufgaben wie Dekarbonisierung, also dem CO2-freien Wirtschaften, Digitalisierung, Strukturreformen und Verschuldung. Nur ist der Reformstau noch größer, die Staatsverschuldung mit geschätzten 270 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) enorm.

Doch mit der Wahl Kishidas scheinen besonders die ausländischen Anleger die Hoffnung auf durchgreifende Reformen zu verlieren. Denn, so lässt es sich auf den Punkt bringen, die LDP hat statt seines Rivalen im zweiten Wahlgang, des populären Reformers und Atomkraftgegners Taro Kono, den Kandidaten des Weiter-so gewählt. Der sanft sprechende Kishida entstammt einer Politikerdynastie und war der am längsten amtierende Außenminister Japans. Schon lange galt er als Wunschkandidat des Partei-Establishments.

Mit Kono hätte es die Chance auf unternehmensfreundliche Reformen gegeben, meint Jesper Koll, ein in Tokio ansässiger Ökonom und Berater von Investmentfonds. „Aber Kishida steht für Stabilität, für jemanden, der keinen Ärger macht, und vor allem dafür, dass er tut, was ihm die Technokraten der Elite vorschreiben.“

Japan wird seine Verschuldung nicht bremsen

Japans Verschuldung dürfte unter Kishida weiter stark steigen. Nach Schätzung der Ökonomin Sayuri Shirai, eines ehemaligen Mitglieds des geldpolitischen Ausschusses der Notenbank, ist die Schuldenquote durch die massiven Coronahilfen um 20 Prozentpunkte in die Höhe geschnellt. Denn bei seiner kurzen Antrittsrede deutete Kishida an, dass er sich tatsächlich in den altbekannten Bahnen der LDP bewegen wird, die seit 1955 mit zwei kurzen Unterbrechungen regiert.

Konjunkturprogramme sind in der LDP schon immer wichtiger gewesen als Sparsamkeit und drastische Reformen, wie der Schuldenstand zeigt. Kishida ist da keine Ausnahme. Als Erstes wolle er in diesem Jahr ein mehrere Hundert Milliarden Euro großes Konjunkturprogramm gegen die Auswirkungen der Coronakrise auf den Weg bringen, versprach Kishida gleich am Mittwoch.

Grafik

Danach will er seine Prioritätenliste angehen, mit der er für sich geworben hatte. Ganz oben steht ein „neuer Kapitalismus“: Kishida will die „Abenomics“ aus hohen Staatsausgaben, massiver Geldschwemme und Anleihekäufen der Notenbank fortsetzen, die sein Vorvorgänger Shinzo Abe 2012 geprägt hatte, allerdings mit einem neuen Dreh.

Kishida verspricht eine Umverteilung zugunsten der ärmeren Japaner und zugunsten der ländlichen Regionen, die wegen Landflucht und Alterung stark unter Bevölkerungsschwund leiden. „Wirtschaftspolitisch bedeutet das, dass Kishida weniger auf Geldpolitik und mehr auf Fiskalpolitik setzen wird“, sagt Martin Schulz, Chefvolkswirt des Technikkonzerns Fujitsu.

Die Notenbank-Expertin Shirai schätzt, dass solche Ausgaben auf Pump noch mindestens zehn Jahre funktionieren könnten. Denn Japan profitiert nicht nur von den hohen Transfers seiner starken Exportwirtschaft. Vor allem stabilisiert die Notenbank den wachsenden Schuldenturm. Rund die Hälfte der japanischen Staatsanleihen lagern schon in den Depots der Bank von Japan.

Nur stellt sich die Frage, ob Kishida das Geld nutzen wird, um Japans Grundproblem, das niedrige Wachstumspotenzial, zu lösen. „Damit die Löhne steigen, müssten die Firmen profitabler werden. Und um dafür die Produktivität von Land und Firmen zu steigern, müssten eigentlich Klima- und Energiepolitik sowie die Digitalisierung oben stehen“, meint Ökonom Schulz. Doch dies sind nicht die Prioritäten in Kishidas Programm.

Klima- und Energiepolitik: Die Chancen für Atomkraft steigen

Weltweit weitreichende Folgen könnte die Energiepolitik der neuen Regierung haben. Ende Oktober beginnt in Großbritannien die globale Klimaschutzkonferenz COP26. Jahrelang galt Japan als Bremser der Emissionsreduzierung. Erst der scheidende Regierungschef Suga verordnete der Exportnation vor einem Jahr das Ziel, bis 2050 klimaneutral zu wirtschaften. Allerdings sucht das Land im Gegensatz zu Deutschland noch heute nach einem klaren Weg zu diesem Ziel.

Daher müsse Japan nach dem Regierungswechsel aufpassen, in der globalen Klimapolitik nicht abgehängt zu werden, warnt Ökonomin Shirai. „Wenn die Regierung nicht wirklich die Null-CO2-Politik unterstützt, könnten wir unsere Wettbewerbsfähigkeit bei grünen Technologien verlieren.“

Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt das Wiederhochfahren der Atommeiler ab – im Gegensatz zur Regierung. Quelle: dpa
Anti-Atomkraft-Protest in Tokio

Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt das Wiederhochfahren der Atommeiler ab – im Gegensatz zur Regierung.

(Foto: dpa)

Als Exportnation und einer der führenden Hersteller von Autos, Baumaschinen, Schiffen, Robotern und Produktionsanlagen wäre ein technologischer Rückstand für Japans Wohlstand fatal. Toyota-Chef Akio Toyoda hatte dieses Jahr bereits gewarnt, dass Japans große Abhängigkeit von Kohlestrom den Industriestandort in Gefahr bringen könnte. „Doch in der Energiewende hat Japan extrem hohe Defizite, weil sich die Regierung bisher kaum auf erneuerbare Energien konzentriert hat“, urteilt Ökonom Schulz.

Unter Kishida könnte dieser Trend fortgeschrieben werden. Er will zwar die Emissionsziele von Suga weiterverfolgen. Aber er hat sich klar für eine Wiederbelebung der Atomkraft eingesetzt, die seit der Atomkatastrophe von 2011 nur noch ein Schattendasein führt.

Grafik

Bis zum GAU in Fukushima vor rund zehn Jahren hatte Japan auf einen massiven Ausbau von Atomstrom gesetzt, um die Kohlendioxidemissionen zu senken. Doch während Deutschland sich nach der fernen Reaktorkatastrophe rasch für einen Atomausstieg entschieden hatte, hielt Japans Regierung unter Abe gegen den stillen, aber zähen Widerstand einer Mehrheit der Bevölkerung an der Atomkraft fest.

Japans Energiestrategie erscheint damit bis heute wenig nachhaltig. Erneuerbare Energien werden zwar gefördert, aber nur halbherzig. Umweltminister Shinjiro Koizumi und Kono als Minister für Verwaltungsreform setzten zwar in der derzeitigen Energiestrategie den für 2030 angepeilten Anteil von Sonnen-, Wind- und Wasserkraft auf das Doppelte, auf 36 bis 38 Prozent, herauf. Aber der Anteil von Atomstrom soll für 2030 fix bei 20 bis 22 Prozent bleiben.

Das Problem: Dafür müsste Japan nahezu alle 30 von ursprünglich 54 Meilern wieder einschalten. Nur sind erst neun wieder am Netz, das Schicksal der anderen ist ungewiss. Um Atomstrom langfristig in der geplanten Menge zu erzeugen, müsste Japan sogar bald neue Reaktoren bauen.

Bei der Stärke des Widerstands läuft Japan aber bisher Gefahr, Geld und bürokratischen Aufwand für eine umstrittene Technologie zu verschwenden. Klimaschützer und Unternehmen mit grüner Technik hatten daher auf den Wahlsieg Konos gehofft.

Digitalisierung und Deregulierung gehen Hand in Hand

Ein weiteres wichtiges Feld ist die Digitalisierung von Verwaltung und Wirtschaft. Nach technischen Aspekten wie festem und mobilem Breitbandinternet und der Smartphonepräsenz ist Japan gut dabei. Aber im Alltag hinkt das Land weit hinterher.

Im Ranking zur digitalen Wettbewerbskraft des schweizerischen Institute for Management Development (IMD) lag das Land 2020 sogar neun Plätze hinter Deutschland auf dem 27. Platz, Tendenz fallend.

Bei Online-Dienstleistungen war Japan in der OECD, einer Organisation alter Industrienationen, bislang Letzter. Auch in den Betrieben wurde bisher oft noch sehr analog mit Faxgeräten und Namensstempeln gearbeitet – und Telearbeit bis zum Corona-Ausbruch kaum genutzt.

Doch mit der Pandemie wurde dieser Rückstand zu einem wirklichen Problem. Der scheidende Regierungschef Suga machte daher eine Digitalisierungsoffensive zu einem Pfeiler seiner Reformpolitik in der erklärten Hoffnung, Japans Produktivität zu erhöhen. Kishidas Rivale Kono gründete daher eine Digitalisierungsagentur, die eine Art Super-Behörde werden soll, um den Staat in die Onlinewelt zu befördern. Doch die kann nur so gut sein wie die Strategie.

Grafik

Und Kishida redet vor allem von einer Digitalisierung des Finanzsektors und wenig von weitreichenden Strukturreformen. Ob das reicht, um Japan wieder an die Weltspitze zu bringen, muss sich zeigen.

Japans Angst vor der rotierenden Regierungsspitze

Japan kann mit Kishida trotz enttäuschter Reformhoffnungen leben. Immerhin hat das Land über Jahrzehnte mit seiner starken Verwaltung die Kunst perfektioniert, auch bei den oft jährlich rotierenden LDP- und damit Regierungsspitzen eine stabile Politik und schrittweise Reformen zu schaffen. Für die großen Wendepunkte sind allerdings starke Politiker notwendig gewesen.

Ob Kishida so einer ist? Bisher gilt er als umgänglicher fürs Establishment als der leicht aufbrausende Kono. Kishida sei „sehr stabil, freundlich, hebt niemals die Hand oder seine Stimme“, erklärt der LDP-Politiker Yoshimasa Hayashi, der Kishidas Wahlkampf mitentworfen hat.

Grafik

Außerdem kämpfen die Parteiflügel nach neun Jahren an der Regierung wieder stärker um Pfründe. Vor allem muss sich Kishida mit dem bisherigen Finanzminister Taro Aso und dem Ex-Regierungschef Abe sowie dessen – unterlegener – Überraschungskandidatin für das Amt des LDP-Chefs, Sanae Takaichi, arrangieren. Seine erste Bewährungsprobe steht für Kishida am Montag nach seiner Vereidigung an, und zwar mit seiner Personalpolitik.

Der Politologe Koichi Nakano von der Sophia-Universität will den neuen Regierungschef aber nicht gleich abschreiben. „Kishida könnte sich im Laufe der Zeit als sein eigener Mann etablieren, aber zunächst muss er die Unterhauswahl im November und die Oberhauswahlen im nächsten Sommer gewinnen.“

Eine Verteidigung der absoluten Mehrheit der LDP wäre ein wichtiger Schritt, so Nakano. „Andernfalls könnte er am Ende nur eine weicher aussehende und weicher klingende Version von Suga sein – und ebenso kurzlebig.“ Suga war nur ein Jahr im Amt.

Mehr: Das bessere Wachstum: Indonesien – wie der größte Kohleexporteur gegen den Ruf als Klimasünder kämpft

Startseite
Mehr zu: Global Risk - Ist Japans Wohlstand in Gefahr? Der neue Regierungschef Fumio Kishida steht für das Weiter-so
0 Kommentare zu "Global Risk: Ist Japans Wohlstand in Gefahr? Der neue Regierungschef Fumio Kishida steht für das Weiter-so"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%