Globalisierungshilfe für Myanmar Eine deutsche IHK soll dem Boom-Land in Asien den Weg in die Zukunft zeigen

Seit anderthalb Jahren ist der Mann von der IHK Reutlingen quasi die Speerspitze der deutschen Wirtschaft in Mandalay.
Mandalay Der Goldgrubenbesitzer im Wickelrock ist gekommen und hat seinen Kumpel von der Jade-Mine mitgebracht. Auch die Hotelbesitzerin ist da, sie leitet nebenbei eine Mangoplantage und wirkt in ihrem Parka, als würde sie dort die Früchte persönlich pflücken. Und irgendwo zwischendrin ist auch der Sohn von Aung Win Khaing, dem mächtigsten Unternehmer Mandalays.
Ihre Fahrer haben sie durch die staubigen Straßen der Stadt kutschiert, ein Lift hat sie in das oberste Stockwerk eines ausgestorbenen Einkaufszentrums getragen. Jetzt stehen sie in einem Saal ohne Fenster, sie wollen den Präsidenten ihrer Handelskammer wählen, unter ihnen die reichsten und mächtigsten Unternehmer aus Mandalay.
Zwischen den Millionären im Wickelrock steht ein Europäer im klassischen Business-Outfit. Freundlich schüttelt er Hände. Ja, er werde sich melden, sagt er. Da werde er schon was machen können. Und ob sie denn vielleicht schon von dem Trainingsprogramm gehört haben? Nein? Dann hier, meine Karte.
Es ist Patrick Jung, 42, der Mann der IHK Reutlingen in Mandalay und damit die Speerspitze der deutschen Industrie im Norden Myanmars. In seinem Büro hat er die Flagge der Bundesrepublik aufgehängt und die für Baden-Württemberg. Sein Chef im Schwabenland hatte das so vorgeschlagen.
Zwei Aufgaben hat Jung aus Deutschland mitbekommen: Zum einen soll er helfen, die lokale Handelskammer Mandalays zu modernisieren. Zum anderen soll er Wirtschaftskontakte zu deutschen Unternehmen aufbauen, am besten nach Reutlingen. Finanziert wird das Projekt vom Bundesministerium für Entwicklungszusammenarbeit. Jung ist Lobbyist und Entwicklungshelfer in Personalunion. Das ist oft genauso widersprüchlich, wie es klingt.
Grund dafür ist ein Strategieschwenk in der deutschen Entwicklungshilfe insgesamt, den Bundesminister Gerd Müller in seinem Marshallplan für Afrika vorgestellt hat, der aber genauso für Asien gilt: „Unsere Entwicklungsgelder allein lösen die Herausforderungen nicht“, heißt es da. „Wir brauchen die Privatwirtschaft!“
Klassische Entwicklungshilfe wie Brunnenbauen hat in dem Strategiepapier kaum noch Bedeutung. „Stattdessen sollen diese Mittel zukünftig stärker Antreiber und Förderer privater Investitionen sein.“ Zu welchen Konflikten das führen kann, zeigt sich in Myanmar.

Die Wirtschaft in der Millionenstadt ist ausbaufähig.
Mandalay – das ist ein glanzvoller Name. Elton John hat darüber gesungen und Frank Sinatra. Tatsächlich ist die Stadt im Zentrum Myanmars mit rund einer Million Menschen ein eher trostloser Ort: Auf den Straßen tuckern altertümliche Traktoren, Apple Stores gibt es nicht, dafür aber einen Laden, der iApple heißt. Nachts ist noch weniger los. Ein deutscher Hotelier vermutet, weil ansonsten die Drogenbosse aus dem Dschungel kämen und die Klubs auseinandernehmen würden.
„Das sind die wilden Jahre hier“
An Mandalay rauschte die Globalisierung bisher vorbei wie ein ICE an einem Ortsbahnhof. Bis jetzt sind hauptsächlich chinesische Firmen hier, aus Deutschland gibt es noch überhaupt keine Direktinvestition. Die wenigen westlichen Firmen, die sich nach Myanmar trauen, wählen Rangun, das wirtschaftliche Zentrum des Landes mit rund sechs Millionen Einwohnern.
Jung ist gekommen, das zu ändern. Und zwar nicht, wie er es nennt, als „Friedensstifter und Demokratisierer“, sondern unternehmerisch. Wirtschaft, sagt er, sei schon immer sein Ding gewesen. Als 18-Jähriger startete er mit einem Kumpel einen Textilhandel, sie importierten Klamotten aus der Türkei, dann wurden dort die Löhne zu hoch. Später studierte er BWL in Dänemark, er benötigte nur zwei Jahre. „Ich war nicht gut, aber schnell.“ Zur Entwicklungshilfe kam er eher zufällig: Weil er Russisch und Türkisch spricht, heuerte er bei einem deutschen Wirtschaftsförderprojekt in Georgien an. Für unterschiedliche Jobs in dem Bereich blieb er im Kaukasus, zuletzt in Armenien.
Jetzt also Mandalay. „Das sind die wilden Jahre hier, wie nach der Sowjetunion“, sagt er. Klassische Entwicklungshilfe ist das nicht, was er macht. „Weniger Kempinski-Hotel, weniger Sitzungen, weniger Personal“, sagt er. „Dafür mehr ,hands-on‘.“ Trotz solcher Sätze ist Jung weit entfernt von einem nadelstreifentragenden CEO-Roboter.
Zu Terminen trägt er lieber T-Shirt. Im Gegensatz zu anderen Expats verzichtet er auf einen Fahrer, kämpft sich lieber selbst hupend durch den Verkehr der Millionenstadt. Er will sich nicht wie ein Snob kutschieren lassen. Aber er glaubt an die positive Kraft des Handels, der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Das Problem ist nur, die richtigen Partner dafür zu finden – wie in den meisten Schwellenländern.
Ein wichtiger Kontakt ist Aung Win Khaing. Heute ist er dort zu Besuch. Aung Win Khaing ist „Patron“, also Ehrenpräsident der regionalen Handelskammer, die Jung beraten soll. Die Audienz spielt sich in einem Besprechungsraum seiner Unternehmenszentrale ab. Der Tycoon empfängt mit seinen zwei Söhnen und mehreren Mitarbeitern. Sie sitzen an einem Tisch, der groß genug für ein Regierungstreffen wäre.
Aung Win Khaing ist legendär in Mandalay. Er selbst nennt sich „Nelson“ – so steht es auch auf seiner Karte. Er ist im Holzhandel tätig, im Zementgeschäft und besitzt einen Industriepark. Doch das reicht ihm nicht. Er lässt seine Assistentin eine Präsentation vortragen. Es geht um ein Projekt der Superlative, etwa zwei Stunden Autofahrt von Mandalay entfernt: Der Myotha Industrial Park, eine Industriezone von rund 40 Quadratkilometern. Das sind mehr als 1 000 Fußballfelder. Es könnte die ICE-Haltestelle für Mandalay werden.

Seine Felder liegen genau in dem Gebiet, in dem ein riesiger Industriepark entsteht.
Myanmar befindet sich in einem dramatischen Wandel: Nachdem die Junta 2012 schrittweise demokratische Reformen eingeführt hatte, beendete der Westen seine Sanktionen gegen das Land. Noch vor fünf Jahren waren Sim-Karten praktisch unerschwinglich. Heute betreibt der norwegische Telekommunikationskonzern Telenor eines von vier Handynetzen. Die Wirtschaft wächst mit rund sieben Prozent.
Edelsteine, Gas, Gold – Myanmar ist reich an Rohstoffen und hat dazu noch mehr als 50 Millionen Einwohner. Für Unternehmen interessant ist Myanmar aber auch wegen seiner strategischen Lage zwischen Indien und China. Fährt man von Mandalay 200 Kilometer nach Nordosten, landet man in der Volksrepublik. 200 Kilometer nordwestlich ist die indische Grenze.
40 Prozent der Weltbevölkerung leben in der Nachbarschaft, sagt die Assistentin. Auf der Präsentation zeigen Pfeile auf einen Punkt, etwa 70 Kilometer südwestlich von Mandalay entfernt. In der Grafik sieht es so aus, als wäre hier der neue Nabel der Weltwirtschaft.
Doch wo die Pfeile sich kreuzen, wohnt auch Koo Win Oo. Im Januar 2016, jenem Monat, als die Kooperation zwischen der IHK Reutlingen und der Handelskammer Mandalay begann, baute er gerade einen Brunnen. Maschinen hat er keine, er trieb das Loch mit einfachen Werkzeugen in den Boden.
Als er eine Pause machen wollte, fuhr ein Lastwagen vor. Polizisten sprangen ab und zerrten ihn auf die Ladefläche. „Sie haben mich gefangen genommen wie ein Tier“, sagt Koo Win Oo. Drei Monate saß der Bauer neben Mördern und Vergewaltigern im Gefängnis, 50 Männer auf engstem Raum.
Sein Vergehen: Koo Win Oo hatte dagegen protestiert, dass er sein Land verliert. Seine Felder liegen genau in dem Gebiet, in dem der Industriepark entsteht. Statt ihm und anderen Bauern eine angemessene Kompensation zu bezahlen, sagt er, wurde er von Polizisten und den Männern Nelsons bedroht.
Umstrittener Tycoon
Laut der Menschenrechtsorganisation FIDH haben wegen des Industrieparks etwa 1 000 Familien ihre Heimat verloren. Die Organisation wirft Nelson vor, dies den Bauern nur mit einem Bruchteil der Marktpreise kompensiert zu haben. Neues Land haben sie nicht erhalten. Viele, die bereits wegmussten, haben sich an einer anderen Stelle in der riesigen Industriezone neue Hütten gezimmert und können dort wohl bleiben, bis sich auch dort eine Fabrik ansiedelt.
Auch Koo Win Oo kann seine Felder derzeit noch bestellen. Doch das wird sich ändern, wenn sich mehr Unternehmen ansiedeln. Vielleicht noch ein oder zwei Jahre, dann muss er wohl weg – ohne zu wissen, wohin. Seine Meinung ist darum deutlich: „Deutsche Firmen sollten mit Nelson keine Geschäfte machen.“
Doch Jung und die IHK Reutlingen haben genau das vor. Jung stellt für Nelson Kontakte zu deutschen Unternehmen her, hilft bei der Vermarktung des Industrieparks. Zum Beispiel wollte er einen deutschen Zigarillo-Hersteller anlocken. Probleme sieht Jung in der Kooperation nicht. Den Konflikt über das Land habe er nur am Rande mitbekommen, aber das sei Vergangenheit. Man müsse nach vorne schauen. „Nelson ist vielleicht ein profitgetriebener Halunke“, sagt er. „Aber er ist der Einzige, der wirklich viele Arbeitsplätze in dieser Region schaffen kann.“ Außerdem: Die Weltbank baue mit Nelson gerade einen Hafen. Auf einer Sanktionsliste habe er auch noch nie gestanden. Jung sagt sich: Solange es das Land wirtschaftlich voranbringt, wird es schon gut sein. „Egal, ob schwarze oder weiße Katze – Hauptsache, sie fängt Mäuse.“ Das Zitat stammt vom früheren KP-Chef Deng Xiaoping, der China für die Marktwirtschaft öffnete.
Der Tycoon selbst streitet die Vorwürfe der Aktivisten ab und geriert sich als Heilsbringer: „Früher herrschten in dieser Gegend Gewalt und Armut“, sagt er. „Ich bringe die dringend notwendige Entwicklung.“ Dabei ist er auch innerhalb der Geschäftswelt Mandalays umstritten. Mehr als zwei Jahrzehnte war Nelson Präsident oder Vizepräsident der regionalen Handelskammer. Das war zu einer Zeit, als diese Positionen noch nicht per Wahl besetzt wurden, sondern durch Anordnung der Junta. „Wir nennen diese Leute Cronies“, sagt der Bauunternehmer Tun Win. „Es geht ihnen nur um das eigene Interesse. Sie nutzen die Kammer, um den Industriepark international zu vermarkten.“
In diesen Umbruchjahren ist Myanmar unüberschaubar. Wer oder was seriös ist oder nicht – alles verschwimmt. In den anderthalb Jahren in Mandalay hat sich Jung reingehängt: Er kennt sogar die Ecke auf dem Markt für Hülsenfrüchte, wo jeden Tag ein Chinese sitzt, der tonnenweise in die Volksrepublik exportiert. Er ist bestens vernetzt und sagt dennoch: „Ich verstehe nur zehn Prozent von dem, was hinter den Kulissen abgeht.“
Es scheint ihm auch nicht so wichtig, er macht einfach seinen Job. Er vermittelt deutsche Experten an die lokale Berufsschule und Firmen, er versucht, lokalen Unternehmen zu helfen, die Mangos oder Hülsenfrüchte exportieren wollen, und erklärt ihnen, was Globalisierung bedeutet. In Mandalays Handelskammer hat er ein EDV-System aufgebaut, das künftig die Kommunikation und Transparenz der Organisation verbessern soll.
Sein Wagen stoppt vor dem Büro der Keksfabrik der Eheleute Ko Aung Soe Win und Ma Lin Lin Myat. Das Familienunternehmen will die neue Freiheit im Land nutzen, um Kekse nach Japan zu exportieren. Dafür will es in die Produktion investieren, zumindest ein bisschen, aber so ganz klar ist das alles noch nicht. Derzeit kostet eine Packung Kekse der Marke Thazin Biscuits etwa drei Cent und schmeckt auch so.
Industriepark ohne Firmen
Das Büro des Keks-Unternehmens liegt direkt neben dem quirligen Markt in Mandalay. Wie eine Garage ist es zur Straße hin offen, an den Wänden hängen Familienfotos. Einen Computer gibt es nicht, eine junge Frau pflegt die Bücher per Hand.
Jung hat Stefan Bonin mitgebracht. Er ist Geschäftsführer des Hamburger Industrieanlagenanbieters Riekermann in Myanmar. Vor einem Jahr hat er das Büro in Rangun eröffnet, dort laufe es bereits ganz gut, sagt er. Aber in den Norden des Landes wolle er sich eben auch vortasten. IHK-Mann Jung hilft ihm dabei.
Das Ehepaar interessiert sich für Produktionszertifikate. Eine Skizze der Fabrik hat es nicht, was eine Beratung ziemlich erschwert, zumal alles übersetzt werden muss. In einer Ecke des Raums entdeckt Bonin eine für ihn mysteriöse Maschine. Wie er später erfährt, wird mit ihr das Ablaufdatum aufgedruckt. Warum das nicht in der Fabrik passiert, wird eines der vielen Rätsel dieses Besuchs bleiben. Man vereinbart, in Kontakt zu bleiben. Jung ist ernüchtert – eine Erfahrung, die er häufig macht. „Mit solchen Familienbetrieben können viele deutsche Firmen noch nicht viel anfangen“, sagt er. Das Keksunternehmen Thazin ist eine Katze, die keine Mäuse fängt.
Bei Leuten wie Nelson ist die Zusammenarbeit einfacher. Wer also vorankommen will in der Gegend, hört bei Geschichten über seinen Ruf lieber nicht so genau hin. Denn: „Er hat junge, Englisch sprechende Mitarbeiter und Kapital, mit denen du den Wandel vorantreiben kannst“, sagt Jung.
Noch haben sich in Nelsons Industriepark nur wenige Firmen angesiedelt. Von einem Aussichtsturm mittendrin eröffnet sich der Blick auf eine hügelige Landschaft, nahezu unbebaut. Gelegentlich treibt ein Bauer eine Kuhherde vorbei. Bislang sieht es aus wie ein Nationalpark, nicht wie ein Industriegebiet.
Doch langsam ändert sich das: Wöchentlich fahren Managerdelegationen über die bereits angelegten breiten Straßen. In wenigen Monaten ist Baubeginn für ein chinesisches Autowerk, am anderen Ende des Parks ziehen Arbeiter Dutzende Fabriken für einen chinesischen Staatskonzern hoch. Nelson rechnet mit Zehntausenden Arbeitsplätzen.
So gut wie fertig ist bereits der Golfplatz. Einige Pflanzenarten ließ Nelson aus Arizona anliefern. Dort, wo einst die Felder Dutzender Bauern lagen, stehen jetzt Kakteen, die aussehen wie in einem Lucky-Luke-Comic. Hunderte Arbeiter sind gerade noch mit den letzten Feinheiten beschäftigt. Sie verdienen rund 5 000 Kyat pro Tag, etwa drei Euro und etwas mehr als der Mindestlohn von 4 800 Kyat. Nelson sagt, es solle einer der fünf schönsten Golfplätze in Asien werden. „Wir haben ihn extra für die Europäer gebaut.“
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