Golfstaaten Ramadan in der Coronakrise: Volkswirtschaften droht durch Sparmaßnahmen tiefe Rezession

Normalerweise drängen sich Menschen dicht auf dicht auf dem Platz.
Berlin Wenn an diesem Donnerstag die Mondsichel über Mekka zu sehen ist, beginnt der Ramadan. Der heilige Fastenmonat wird für die 1,5 Milliarden Moslems ähnlich durch die Coronakrise beeinflusst, wie das Osterfest für Christen. Und das wurde vor uzwei Wochen in Europa kaum gefeiert – oder sehr eingeschränkt. Jetzt bleiben die weltberühmten Moscheen in den heiligen Stätten Mekka und Medina in Saudi-Arabien ebenso geschlossen, wie die meisten Gebetshäuser für Sunniten und Schiiten.
Auch die weltberühmte Kaaba in Mekka, ein zentraler Wallfahrtsort des Islams, öffnet nicht. Um den schwarzen Würfel pilgern sonst täglich dichte Menschentrauben, doch jetzt ist der Platz leer – das gab es noch nie während des Ramadans.
Vor allem in der arabischen Welt werden die ökonomischen Folgen des coronabedingten Ramadan-Sparprogramms deutlich verheerender ausfallen, als die der deutlich zurückgefahrenen Osterfeste in christlichen Ländern. Viele Rituale fallen nun wegen des Virus aus.
Beim Iftar, dem allabendlichen Fastenbrechen, laden oft reiche Familien am Golf zum noblen Essen in Luxushotels, viele fliegen zu Verwandten und Freunden in deren Residenzen am anderen Ende des Globus. Pilgerreisen in die heiligsten Moscheen, der Hadsch, sind verboten.
Abdul Latif al-Sheikh, Saudi-Arabiens Minister für religiöse Angelegenheiten, gab bekannt, dass alle Muslime in seinem Land auch während des Ramadans ausschließlich zu Hause beten dürfen. Jegliche Versammlungen oder gemeinsame Gebete in den Moscheen des Landes sind während des Fastenmonats untersagt. „Unser Herz weint“, sagte Muezzin Ali Mulla, Gebetsaufrufer der Großen Moschee von Mekka wegen der erzwungenen Schließung.
Großer Umsatz während Ramadan
Dubais Regierung hat unterdessen an diesem Donnerstag bekanntgegeben, die Konsumtempel – die berühmten, weltgrößten Shopping-Malls – jetzt auf „Stand-by“ zur Wiedereröffnung zu setzen. Die Zentren bereiten sich also darauf vor, zu öffnen – unter strengen Auflagen.
Während des Ramadans, wenn die Menschen tagsüber fasten und mehrfach eigentlich in Moscheen beten und nach Sonnenuntergang umso ausgiebiger essen und feiern, ist der Umsatz mit den mit Abstand größten Umsätzen im Jahr in der moslemischen Welt für den Einzelhandel.
Schon in den vorigen Jahren ist ein Großteil des Umsatzes im Einzelhandel in den Onlinehandel geflossen: Allein 2018 und 2019 hatte sich in den Golfstaaten E-Commerce während des Ramadan jeweils verdoppelt.
Seit Ausbruch der Coronakrise sind auch bei Lebenseinzelhandelsketten, wie der am Golf stark vertretenen französischen Carrefour-Gruppe, die Online-Verkäufe drastisch gestiegen. Fahrdienste wie Uber oder das aus Dubai stammende und von dem US-Branchenführer übernommenen Careem transportieren nun verstärkt Lebensmittel- und Medikamentenkäufe zu Privatbestellern statt Fahrgäste.
Im Schatten der Krise hat ein von Scheich Tahnoon Bin Zayed Al Nahyan, Mitglied des Könighauses von Abu Dhabi, dem Hauptemirat der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), geführtes Konsortium am Donnerstag für etwa eine Milliarde US-Dollar rund ein Fünftel der am Golf stark vertretenen Einzelhandelskette Lulu übernommen. Mit Lulu wurde der indische Unternehmer Yusuff Ali zum Milliardär.
Ölpreisschock „hat alles verändert“
Saudi-Arabiens Staatsfonds PIF hat indes eine Einkaufstour bei europäischen und US-Konzernen kurz vor dem Fastenmonat gestartet: Riads milliardenschwerer Fonds hat große Pakete beim Kreuzfahrtkonzern Carnival und bei europäischen Ölkonzernen wie Equinor, Total, Eni und Shell sowie die Mehrheit am britischen Fußballklub Newcastle United gekauft.
Ob das Milliarden-Karussell Konsum in stationären Läden wieder anzieht und wie stark die Umsätze wegen gestrichener Iftar-Fastenbrechenfeste und Reiseverboten einbrechen, hängt vor allem von der weiteren Ausbreitung des Coronavirus ab: Bisher steigt die Zahl der Infizierten und Toten am Golf weiter, liegt aber mit bislang 12.272 Fällen allein in Saudi-Arabien sogar noch hinter der im kleinen Israel und vor allem deutlich hinter den allermeisten europäischen Staaten.
Wirtschaftlich aber leiden die Golfstaaten extrem. Emirates, der aus dem VAE-Emirat Dubai stammende global größte Anbieter von Interkontinentalflügen, hat seine Hoffnung begraben, in Kürze den Flugbetrieb wieder deutlich auszuweiten.
Bisher laufen nur einige Heimhol-Flüge. Der Betrieb mit Linienflügen soll laut dem Magazin „Arabian Business“ frühestens am 1. Juli wieder langsam hochgefahren werden. Etihad, die Airline aus Abu Dhabi, und ihre Beteiligungen wie Alitalia und Virgin Australia, leidet noch heftiger. Auch die Billigflieger flydubai sowie Air Arabia aus dem Emirat Schrjah mussten den Flugbetrieb weitgehend einstellen.
Für Dubai sind Luftfahrt und Handel die wichtigsten Branchen. Abu Dhabi, Iran und Saudi-Arabien sind indes hauptsächlich abhängig vom Ölgeschäft. Und die heftigen Turbulenzen auf den Ölmärkten belasten die größten Volkswirtschaften am Golf erheblich: Saudi-Arabien, der weltgrößte Ölexporteur, dürfte wegen des coronakrisenbedingten Nachfrageschocks sein Haushaltsdefizit auf 15 Prozent des BIP mehr als verdoppeln. Davon geht Mohamed Abu Basha, Chef für makroökonomische Prognosen bei der Kairoer Investment Bank EFG Hermes aus.
Der unerwartet heftige Ölpreisschock „hat alles verändert“, sagt Monica Malik, Chefvolkswirtin der Abu Dhabi Commercial Bank. „Der jüngste Aufschwung beruhte zu einem großen Teil auf der Tatsache, dass der Ölpreis über 50 bis 60 Dollar lag und damit die Wirtschaftstätigkeit unterstützte, und das ist gerade erst dezimiert worden.“
Eigentlich hatten die allermeisten Ökonomen und Unternehmer am Golf mit einer wirtschaftlichen Erholung 2020 gerechnet nach Jahren schwachen Wachstums. Jetzt gehen Prognosen von einer mindestens drei-prozentigen Rezession in Saudi-Arabien aus.
Saudi-Arabien muss mehr Schulden machen
Doch Riads Finanzminister Mohamed Al-Jadaan sieht es offiziell noch locker: „Wir haben schon schlimmeres durchlebt“, sagt Al-Jadaan mit Verweis auf frühere Ölpreisabstürze und ein Haushaltsdefizit von 17 Prozent 2016. Sein Land, das gerade mit milliardenschweren Rettungsschirmen Firmen stützen will, sei finanziell stark genug, die Krise zu meistern.
So könne Saudi-Arabien in diesem Jahr seine Schulden deutlich ausweiten. Bisher hat das Land nur eine Staatsverschuldung von etwa einem Fünftel des BIP. Zum Vergleich: Europas häufig gerissene Maastricht-Kriterien erlauben EU-Staaten 60 Prozent.
Saudi-Arabien könnte 2020 auf die Rekordschuldenaufnahme von umgerechnet 58 Milliarden Dollar kommen. Fast die Hälfte ist bereits über Bonds an heimischen und internationalen Kapitalmärkten aufgenommen worden. Auch die VAE haben zuletzt mehrfach überzeichnete Milliarden-Anleihen platziert.
Ob zumindest das Zuckerfest, das traditionell großzügig begangene Ende des Ramadan, wieder öffentlich und wirtschaftsreibend begangen werden kann, ist offen. Ein wenig Glück haben nur einige Häftlinge in Dubai: Der Emir, Scheich Mohammed, hat 874 Inhaftierte aus Anlass des Ramadan-Beginns frei gelassen.
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