GovTech Was Deutschland von Digital-Initiativen in Japan, Singapur und Taiwan lernen kann

In Asien geht nicht nur Japan bei der Digitalisierung in die Offensive.
Tokio, Bangkok Der erste Arbeitstag von Japans Digitalagentur begann mit einer Entschuldigung. Kaum ging ihr Internetauftritt am 1. September online, brach er schon wieder zusammen. Die Website sei in „instabilem Betrieb“, meldete das Amt prompt über Twitter. „Wir bitten um Entschuldigung für die Unannehmlichkeit, bitte warten Sie ein wenig.“
Doch die Panne bremst die Ambitionen der Agentur nicht, die künftig Landes- wie Regionalregierungen anleiten soll. Sie startet mit rund 600 Mitarbeitern, darunter ein Drittel Digitalexpertinnen und -experten aus der Privatwirtschaft. Während im deutschen Wahlkampf noch über ein Digitalministerium gesprochen wird, hat Japan Fakten geschaffen.
Die Regierung sieht in der beschleunigten Digitalisierung von Verwaltung und Wirtschaft einen wichtigen Pfeiler ihrer Wachstumsstrategie, erklärte Digitalisierungsminister Takuya Hirai. Japan müsse anerkennen, dass die bisherigen IT-Strategien gescheitert seien und es weiter hinter der Weltspitze zurückliege, so der Minister. „Das bedeutet, dass wir sehr viel aufholen müssen.“
In Asien geht aber nicht nur Japan bei der Digitalisierung in die Offensive. Der südostasiatische Stadtstaat Singapur, der bereits seit Jahren als Vorreiter in der Online-Verwaltung gilt, experimentiert mit neuen Regulierungsansätzen, um digitale Innovationen anzuschieben.
Und Taiwan gewann mit seiner raschen digitalen Reaktion auf die Pandemie Lob und probiert neue Wege aus, um die demokratische Beteiligung der Bürger zu digitalisieren. Von der Herangehensweise der drei Länder kann Deutschland aus Sicht von Politikberatern einiges lernen.
Deutschland hinkt in der digitalen Verwaltung hinterher
Christian Echle leitet in Singapur die Abteilung Politikdialog Asien der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). Die Arbeitsweise der dortigen Behörden fand er bereits kurz nach der Ankunft vor vier Jahren beeindruckend.
„Bei den Ämtern in Berlin war es mir vor dem Umzug nicht einmal möglich, innerhalb von sechs Wochen einen internationalen Führerschein ausgestellt zu bekommen“, sagt er. „In Singapur lief alles viel effizienter“, sagt er. „Von der Anmeldung bis zur Beantragung meiner Arbeitserlaubnis klappte alles online.“
Zusammen mit Kollegen und Forschern lokaler Universitäten hat Echle die Digitalisierungsbemühungen mehrerer führender asiatischer Volkswirtschaften untersucht. „In der digitalen Verwaltung hinken wir in Deutschland Ländern wie Singapur um fünf bis zehn Jahre hinterher“, sagt er. „Wir brauchen gezielte Anstrengungen, um nicht noch weiter zurückzufallen.“
Vorbildfunktionen haben die asiatischen Volkswirtschaften aus Echles Sicht in unterschiedlichen Bereichen: Singapur führt vor, wie Staaten Privatunternehmen zum Testen neuer Technologien gezielt Freiräume bieten können. Taiwan zeigt die Vorteile einer Open-Data-Politik. Und auch eine Digitalagentur wie in Japan hält Echle für nachahmenswert: „In mehreren asiatischen Ländern zeigt sich, dass es weniger wichtig ist, Digitalministerien aufzubauen“, sagt er. „Stattdessen sind aber starke staatliche Digitalagenturen nötig, die die Transformation in der Praxis mit eigenen Apps und Online-Anwendungen umsetzen.“
Japan setzt auf die digitale Aufholjagd
In Japan gab erst die Pandemie den Anstoß zum Handeln. Im Ranking zur digitalen Wettbewerbskraft des schweizerischen Institute for Management Development (IMD) lag das Land 2020 sogar neun Plätze hinter Deutschland auf dem 27. Platz. Online-Anträge und Telearbeit wurden kaum genutzt. Doch mit der Pandemie wurden drastische Reformen notwendig, erklärte Japans Minister für Verwaltungsreform Taro Kono auf dem GovTech-Gipfel des Handelsblatts. Er wurde 2020 mit dem Aufbau einer Digital-Agentur betraut.
„Die Digital-Agentur soll keine normale Behörde sein“, sagte Kono. Stattdessen schwebt ihm eine Art Über-Ministerium für die Digitalisierung aller Regierungsebenen vor. „Die Agentur wird die IT-Budgets und -Systeme von Behörden kontrollieren und ihre eigenen IT-Ingenieure einstellen.“ Doch die Fachleute sind nicht nur für Wissenstransfer zuständig. „Wir hoffen, dass sie eine neue Kultur in die Verwaltung bringen werden.“
Vorbildhaft sei dabei das Tempo, mit dem Japan seinen jahrelangen Reformstau bei der Digitalisierung angeht, meint Pierre Gaulis, Gründer und Chef des Tokioter Digitalberaters Cream, der Unternehmen in Japan bei der Umsetzung digitaler Transformation unterstützt. Die Regierung versuche wirklich, gemeinsam mit der Privatwirtschaft die Digitalisierung zu beschleunigen.
So hat Kono schon vor der Gründung der Agentur dafür gesorgt, dass die meisten Anträge nicht mehr wie bisher per Hand mit Namensstempeln versehen werden müssen. Das Beschaffungswesen wurde so reformiert, dass die Behörden Aufträge auch direkt an Kleinunternehmen und Start-ups vergeben dürfen – und nicht mehr nur an Großunternehmen.
Die Digital-Agentur hat bereits kleinere IT-Startups angeheuert, die beispielsweise gemeinsame Regeln für die Internetauftritte von Ministerien und Behörden erstellen. Zum anderen soll die Behörde die 1741 Gemeinden, die alle ihre oft nicht kompatiblen IT-Systeme aufgebaut haben, zu einer stärkeren Zusammenarbeit bewegen und den Einkauf zentralisieren. Eine große Herausforderung, aber Japan geht sie an.
Singapur: Der Vorreiter in digitaler Regierung
In Singapur ist bereits seit fünf Jahren die staatliche Technologieagentur GovTech dafür zuständig, die „Smart Nation“-Strategie des Stadtstaates umzusetzen. Sie hat seither Hunderte Apps und Online-Dienste entwickelt, mit denen Bürger etwa Parktickets bezahlen oder einen neuen Pass beantragen können.
GovTech brachte im vergangenen Jahr auch die weltweit erste Corona-Warn-App heraus, die mithilfe von Bluetooth-Verbindungen mögliche Kontakte zu positiv getesteten Personen aufzeigen konnte. Deutschland brauchte zweieinhalb Monate länger, um ein ähnliches System zu starten.
Ein Grund für die lange Entwicklungszeit waren hohe Datenschutzanforderungen. „Am Ende haben wir gesehen, dass wegen des Datenschutzes zahlreiche Daten in Deutschland gar nicht effektiv verwendet werden konnten, um die Pandemie stärker zu bekämpfen“, sagt KAS-Experte Echle. Er findet: „Deutschland muss die Balance zwischen Datenschutz und öffentlichen Interessen besser hinkriegen.“
Dabei ist Datenschutz auch in Asien ein wichtiges Thema. Eine repräsentative Umfrage der KAS in Japan, Taiwan und Singapur ergab, dass sich in allen Ländern eine klare Mehrheit Sorgen über Datenmissbrauch macht. Gleichzeitig zeigt sich aber auch eine große Offenheit gegenüber neuen Technologien: In Singapur und Taiwan stimmten rund 80 Prozent der Aussage zu, dass digitale Innovationen mehr Nutzen brächten, als sie Probleme verursachten. In Japan lag dieser Wert bei rund 70 Prozent.
In Singapur versucht die Regierung das Vertrauen der Bevölkerung mit einer Regulierung aufrechtzuerhalten, die Neuerungen einerseits frühzeitig zulässt, aber auch schnell reagieren kann, sobald Schwierigkeiten auftreten.
Das sogenannte Sandbox-Lizenzsystem ermöglicht Start-ups eine Betriebserlaubnis auf Probe. Es wurde zuletzt etwa bei Anbietern von Leihfahrrädern angewandt, die per App gemietet werden können. Eine Volllizenz wird erst erteilt, wenn sich nach der Probezeit herausgestellt hat, dass die Dienstleistung tatsächlich überwiegend positiv aufgenommen wird – und nicht etwa durch chaotisch abgestellte Räder für Ärger sorgt.
Auch im Fintech-Bereich setzt Singapur auf solche Probelizenzen. Dieser Ansatz unterscheide sich von der oftmals in Deutschland vorherrschenden Herangehensweise, alle Eventualitäten bereits im Vorfeld zu bedenken und auszuschließen, heißt es in der KAS-Analyse.
Taiwan will die digitale Demokratie erfinden
Unter Demokratieforschern hat sich Taiwan zum Vorzeigefall dafür entwickelt, dass digitale Technik nicht nur zur Kontrolle der Bevölkerung genutzt werden kann. „Taiwan ist es gelungen, die Informationstechnologie und die Bürgerbeteiligung zu einem einzigartig erfolgreichen System der ‚digitalen Demokratie‘ zu nutzen“, urteilte jüngst das amerikanische Consilience Project in einem Bericht.
Vordenker dieses Versuchs ist die ehemalige Hackerin Audrey Tang. Als Digitalministerin will sie die Idee einer digitalisierten „Hochfrequenzdemokratie“ umsetzen, in der die Regierung quasi im Internettakt schnell auf Trends im Internet und der Welt reagieren und Transparenz vermitteln kann.

„In der digitalen Verwaltung hinken wir in Deutschland Ländern wie Singapur um fünf bis zehn Jahre hinterher“, sagt Christian Echle.
In der Pandemie bewährten sich die Arbeiten an neuer „CivicTech“ bereits, also von Technologien zur Unterstützung der Zivilgesellschaft. Als zu Beginn der Pandemie die Masken knapp wurden, erstellte Tangs Team innerhalb weniger Tage eine App, die die Verfügbarkeit von Masken anzeigen konnte. Als es einen weiteren Covid-19-Ausbruch gab, wartete sie ebenfalls sofort mit einem Check-in-System für Restaurants auf.
Die Ambitionen reichen allerdings weiter. Im derzeitigen Fünfjahresplan der Digitalisierung will die Regierung ein smartes System schaffen, in dem dank Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz die Macht auch zwischen den Wahlen vom Volk ausgeht. Die Regierung hat beispielsweise die Plattform „Polis“ eingerichtet, in der Beamte die Bürger bei bestimmten Themen um Rat und Vorschläge fragen können, erklärte Tang auf dem GovTech-Summit des Handelsblatts.
Dort werden die Diskussionen mithilfe Künstlicher Intelligenz moderiert, sodass rasch eine Art Konsens entsteht. „Wenn wir die Idee der Zusammenarbeit anstatt der politischen Konfrontation betonen, können wir Taiwan schnell, fair und freudvoll verändern“, glaubt Tang.
Besonders die Datensammlungen über Bürger werden auch in Taiwan kontrovers diskutiert. Aber in ihrer Analyse glaubt die KAS, dass Taiwans Zivilgesellschaft die digitalen Technologien für eine stärkere Beteiligung an politischen und öffentlichen Angelegenheiten, für die Überwachung der Regierung und für die Durchsetzung öffentlicher Interessen einsetzen werde.
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