Griechenland Geisterflughafen Ellinikon: Wichtige Säule von Europas größtem Stadtentwicklungsprojekt wackelt
Athen Wo einst die Jumbojets der legendären Onassis-Airline Olympic zum Abflug rollten, wächst Gestrüpp aus dem Beton der Startbahn. Vor dem Eingang des Terminals, entworfen in den 1960er-Jahren vom finnischen Star-Architekten Eero Saarinen, wuchert wildes Buschwerk. Seit seiner Schließung im Jahr 2001 war der ehemalige Athener Airport Ellinikon ein Sinnbild des politischen Stillstands in Griechenland.
Jetzt erwacht der Geisterflughafen zu neuem Leben. Der griechische Immobilienentwickler Lamda Development will hier in den kommenden Jahren Hotels, Einkaufs- und Kongresszentren, Freizeit- und Sportanlagen, einen Jachthafen, Tausende Wohnungen und ein Kasinoresort bauen.
Der Komplex soll pro Jahr eine Million Touristen anziehen. Den Masterplan hat das Londoner Architekturbüro Foster + Partners entworfen. Mit acht Milliarden Euro Investitionssumme ist Ellinikon das größte urbane Entwicklungsvorhaben Europas.
Von Ellinikon soll ein Signal ausgehen: Das chronische Krisenland lässt das Schuldendebakel und die Corona-Rezession hinter sich. „Dieses Projekt symbolisiert das neue Griechenland, wie wir es uns alle vorstellen“, sagt der konservative Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis. Für Lamda-CEO Odysseas Athanasiou ist es „der wichtigste Schritt zur Entwicklung unseres Landes“
Doch ob die Symbolhaftigkeit gelingt, muss sich erst noch zeigen. Der Anspruch, das Gelände als „Benchmark urbaner Innovation“ umzubauen steht ebenso in Frage wie eine der wirtschaftlichen Säulen des Projekts: ein Kasinokomplex an der Südwestspitze des Areals.
Der Bau der Spielbank steht auf der Kippe - Entscheidung bis Herbst
Hinter Lamda Development steht die Latsis-Group der gleichnamigen griechischen Reeder- und Bankiersfamilie. 915 Millionen Euro lässt sich Lamda die Pacht des früheren Flughafengeländes auf 99 Jahre kosten.

Das ehemalige Gelände des Flughafens. Dieses wurde im vergangenen Jahr abgerissen.
Vergangene Woche überwies Lamda die erste Rate von 300 Millionen Euro an den Staat. Im Gegenzug übertrug die griechische Privatisierungsbehörde die Anteile an dem Flughafengelände an die Firma. Im Sommer sollen die Bagger und Kräne anrücken.
Als Erstes will Lamda den Bau einer großen Shoppingmall im Nordosten des Geländes, den Marina Tower, einen Wohnturm an der Küste, und den Kasinokomplex in Angriff nehmen. Er ist ein wichtiger kommerzieller Anker des Projekts. Doch jetzt ist fraglich, ob die Spielbank jemals gebaut wird.
Im Oktober 2020 hatte das Konsortium Inspire Athens unter Führung des US-Glücksspielkonzerns Mohegan Gaming & Entertainment (MGE) den Zuschlag für den Bau des Kasinoresorts bekommen. MGE wird vom indigenen Volk der Mohikaner kontrolliert und betreibt in den USA acht große Kasinokomplexe, unter anderem in Atlantic City und an den Niagarafällen. MGE hält 65 Prozent der Anteile an Inspire Athens, der griechische Baukonzern GEK Terna die restlichen 35 Prozent.
Das Konsortium will 150 Millionen Euro für die Spielbank-Konzession zahlen, das Fünffache des Mindestgebots. Der Entwurf des Architekturbüros Steelman Partners aus Las Vegas sieht zwei Zwillingstürme vor, die in luftiger Höhe durch ein Pool-Deck verbunden sind, ähnlich wie beim berühmten Marina Bay Sands in Singapur.
Zu dem Komplex sollen neben dem Spielkasino das größte Hotel Griechenlands, Ladenstraßen und Restaurants, zahlreiche Swimmingpools, ein Show-Theater und ein Sportzentrum gehören. In drei Jahren sei alles fertig, versprach MGE im Mai.

Das Gelände wurde im vergangenen Jahr abgerissen. Die Pacht früheren Flughafengeländes kostet 915 Millionen Euro für 99 Jahre.
Aber die Verträge sind immer noch nicht unterschrieben. Das Projekt steht auf der Kippe. MGE will nach Informationen aus Branchenkreisen seinen Anteil deutlich reduzieren oder sogar ganz aussteigen.
Lamda hat dem Kasinokonsortium jetzt eine Frist bis Ende September eingeräumt, sich zu erklären. Lamda-CEO Athanasiou sagte vergangene Woche auf der Hauptversammlung seines Unternehmens gegenüber Aktionären, bis zum 30. September werde man Klarheit haben, ob das Kasino gebaut wird oder nicht.

Zu dem Komplex sollen neben dem Spielkasino das größte Hotel Griechenlands, Ladenstraßen und Restaurants, zahlreiche Swimmingpools, ein Show-Theater und ein Sportzentrum gehören.
Steigt MGE aus, könnte der Staat die Konzession neu ausschreiben. Das würde aber eine große Verzögerung bedeuten. Die Alternative wäre, das Vorhaben fallen zu lassen. Was Lamda dann anstelle des Kasinokomplexes bauen will und welche Auswirkungen das auf den Zeitplan des Ellinikon-Projekts hat, ist unklar. Anfragen des Handelsblatts dazu ließ Lamda Development unbeantwortet.
Es wäre nicht der erste Rückschlag bei dem Projekt. Eine von Lamda Development geführte Investorengruppe hatte zwar schon 2014 den Zuschlag für die Entwicklung des Flughafengeländes bekommen. Aber trotz der bereits vom Parlament gebilligten Vergabe verschleppte die von 2015 bis 2019 amtierende Regierung des radikal-linken Premiers Alexis Tsipras das Privatisierungsvorhaben mit allen Mitteln. Mal erklärten die Behörden das Flughafengelände zur archäologischen Grabungszone, mal zu einem Waldgebiet, das nicht bebaut werden dürfe.

Teil des Projekts ist auch ein Park.
Frustriert stiegen 2019 der chinesische Mischkonzern Fosun und der Immobilienentwickler Eagle Hills aus Abu Dhabi, die bis dahin am Ellinikon-Konsortium beteiligt waren, aus dem Projekt aus. Lamda Development übernahm mit einer Kapitalerhöhung von 650 Millionen Euro ihre Anteile. Erst mit der Regierungsübernahme des konservativen Premiers Kyriakos Mitsotakis im Sommer 2019 kam das festgefahrene Vorhaben wieder in Gang.
Großes Interesse an Wohnimmobilien
Inzwischen beginnt sogar Geld in die Kassen von Lamda zurückzufließen. Noch bevor die Bauarbeiten begonnen haben, übertrifft das Interesse an den Wohnimmobilien in Ellinikon schon alle Erwartungen. Zwei Dutzend Luxusvillen in Strandlage seien bereits verkauft, heißt es in Maklerkreisen. Auch für die Wohnungen im Marina Tower, der mit 150 Metern Griechenlands höchstes Wohnhaus werden soll, interessieren sich viele Käufer.
Für die Luxusappartements werden nach Brancheninformationen Quadratmeterpreise zwischen 7500 und 26.200 Euro aufgerufen, je nach Stockwerk und Ausstattung. Allein mit dem Verkauf der Wohnungen des Marina Towers könnte Lamda nach Schätzungen von Immobilienexperten rund 500 Millionen Euro einnehmen.
Ursprünglich wollte Lamda in der ersten Bauphase bis 2025 etwa 400 Wohnungen fertigstellen. Wegen der großen Nachfrage wird das Unternehmen jetzt den ursprünglich für später geplanten Bau weiterer 1000 Wohnungen vorziehen.

Attraktiv ist die Lage wegen der Nähe zum Meer, aber auch dank des geplanten Metropolitan Parks.
Attraktiv ist die Lage wegen der Nähe zum Meer, aber auch dank des geplanten Metropolitan Parks. Er wird fast ein Drittel der Fläche des ehemaligen Flughafenareals einnehmen und mit zwei Quadratkilometern ein Drittel größer sein als der Londoner Hyde-Park.
Lamda Development bewirbt das Ellinikon-Projekt zwar als „nachhaltig, grün und smart“. Aber viele Anwohner der Nachbargemeinden fürchten, dass der Verkehr in den Stadtteilen zu starken Beeinträchtigungen führen wird. Tatsächlich sind die beiden einzigen Hauptverkehrsstraßen, die Ellinikon mit der Stadt Athen verbinden, die an der Küste verlaufende Poseidon-Avenue im Westen und die Vouliagmenis-Avenue im Osten, schon heute chronisch überlastet.

Attraktiv ist die Lage wegen der Nähe zum Meer, aber auch dank des geplanten Metropolitan Parks.
Das Verkehrsaufkommen dürfte in Zukunft stark wachsen, auch wegen des umstrittenen Nutzungskonzepts: So hat Lamda jetzt einen Teil des Geländes an die griechische Fourlis-Gruppe verpachtet. Dort will Fourlis ein großes Ikea-Möbelhaus und weitere Big-Box-Supercenter hochziehen.
Wie so etwas aussieht, kann man schon jetzt am Retail-Park des Athener Flughafens Eleftherios Venizelos besichtigen. Dort ragen riesige, architektonisch anspruchslose Kästen auf. Neben einem blau-gelben Ikea-Klotz stehen ein Baumarkt, ein Elektro-Hypermarkt und ein Textil-Outlet, umgeben von baumlosen, asphaltierten Kundenparkplätzen und Laderampen für die Lkw-Anlieferung. Zur Frage, wie sich das mit dem Anspruch urbaner Innovation verträgt, wollte sich Lamda ebenfalls nicht äußern.
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