Großbritannien Boris Johnson setzt in der Causa Cummings weiter auf Ablenkungsmanöver
Johnson möchte Berateraffäre hinter sich lassen
London Der Auftritt war ein Novum: Zum ersten Mal stellte sich der britische Premierminister Boris Johnson am Mittwochnachmittag den Fragen des sogenannten „Liaison-Committee“. Nur vor diesem Ausschuss, in dem drei Dutzend Abgeordnete des Londoner Parlaments vertreten sind, muss der Regierungschef regelmäßig Rechenschaft ablegen – eigentlich. Dreimal hatte man den Premier seit seiner Amtsübernahme im Juli um Erscheinen gebeten, aber all diese „Einladungen“ hatte Boris Johnson ausgeschlagen.
Nun durften die Abgeordneten ihn endlich zur Rede stellen. Themen gibt es genug: das Vorgehen der Regierung in der Corona-Pandemie, die Großbritannien schwer getroffen hat. Die Folgen der daraus resultierenden Einschränkungen, die tiefe Spuren in der britischen Wirtschaft hinterlassen dürften. Und natürlich die Rolle Dominic Cummings, Johnsons Top-Regierungsberater, dessen Auslegung der offiziellen Lockdown-Regeln seit Tagen die britische Öffentlichkeit beschäftigt. Besonders viel Neues erfuhren die Abgeordneten von Boris Johnson nicht.
Wortgewandt wie eh und je blockte der Regierungschef eine Frage nach der anderen ab. Cummings habe sich zu dem Thema geäußert, Johnson selbst auch, und deswegen wolle er nicht viel mehr hinzufügen, wich der Premierminister aus: „Wir hatten schon eine ausreichende Exegese des Geschehens.“
Boris Johnson ließ sich auch nicht durch weitere Nachfragen der Abgeordneten aus der Reserve locken – sosehr diese es auch versuchten. „Er sei wirklich mutig“, dass er seine Glaubwürdigkeit und seine Würde für seinen Berater opfere, kritisierte etwa Pete Wishart von der schottischen Oppositionspartei SNP. Der Regierungschef müsse doch nur einmal in sein Postfach blicken, um zu sehen, wie groß die Empörung vieler Briten über den Vorfall sei und dass der Premier ihm dennoch den Rücken stärkt.
Das Vorgehen des Regierungsberaters, der trotz Ausgangsbeschränkungen und Covid-19-Erkrankung mit seiner Frau eine fünfstündige Reise in den Nordosten Englands machte und im Laufe seines Aufenthalts dort noch einen Ausflug unternahm, verstärkt die Wut all derjenigen, die schon immer der Meinung waren, dass „für die da oben“ andere Regeln gelten als für sie.
Die Folge: Die Zustimmung zur Konservativen Partei ist drastisch gesunken. Hatte die Partei in der vergangenen Woche noch 15 Prozentpunkte vor der zweitplatzierten Labour-Partei gelegen, sind es nun nur noch sechs. Doch Boris Johnson zeigte sich auch angesichts dieses Einwurfs unbeeindruckt. „Vieles, was gesagt und geschrieben wurde, war falsch“, betonte Johnson, er verstehe, dass manche so empört seien, aber wichtig sei nun, dass man in die Zukunft blicke und dass man auch mit dem politischen Hickhack aufhöre.
Wichtige Entscheidungen stehen an
Dass Boris Johnson so vehement an seinem Berater festhielt, wirkt nur auf den ersten Blick verwunderlich. Der Premier, der nicht eben als Arbeitstier gilt, hat sich so abhängig von Cummings gemacht, dass dessen Rücktritt nun schwere Folgen hätte. Der 48-Jährige gilt unter anderem als Architekt der erfolgreichen Brexit-Kampagne, ist selbst aber nicht Mitglied der Konservativen Partei. Zuletzt forderten daher auch Abgeordnete der Torys dessen Rücktritt.
Doch ohne sein „Mastermind“ Entscheidungen zu treffen, wäre für den britischen Regierungschef vermutlich schon in normalen Zeiten ein Problem – aber die Zeiten sind derzeit alles andere als normal.
So hat die Corona-Pandemie Großbritannien stärker als viele andere Länder getroffen. Mit 37.460 Toten ist die bisherige Corona-Bilanz des Landes katastrophal. Solange der Kampf gegen das Virus nicht gewonnen ist, halten sich viele Kritiker mit Zweifeln an der Vorgehensweise der Regierung zurück. Doch das wird nicht mehr lange so bleiben.
Zudem hat die Coronakrise die Kluft zwischen den USA und China vergrößert. Auf der Suche nach Partnern nach dem Brexit hatte die britische Regierung gehofft, mit beiden Seiten gute Handelsverträge zu schließen. Das ist nun unwahrscheinlich: Großbritannien muss sich für die USA oder China entscheiden, trotz der offensichtlichen Gefahr, die andere Seite zu verärgern.
Und schließlich gehen in wenigen Tagen die Brexit-Verhandlungen mit der EU in eine wichtige Phase: Bis Ende Juni müssen die zwei Verhandlungspartner beschließen, ob sie eine Verlängerung der Übergangsfrist wollen oder nicht. Auch diese Entscheidung hat weitreichende Folgen.
Die Aussicht, bei solch heiklen Themen nicht seinen vertrauten Berater an der Seite zu wissen, hat Boris Johnson offensichtlich zu dem Entschluss gebracht, Dominic Cummings gegen alle Kritik zu verteidigen.
Mehr: Johnson-Berater Cummings soll Coronaregeln mehrfach missachtet haben.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.