Handelsbeziehungen USA-China-Gipfel wird zur fast unmöglichen Mission

Die Regierungen beider Staaten haben zahlreiche Streitthemen.
Berlin, Peking, New York Wenige Tage erst war Joe Biden, der neue US-Präsident, im Amt, da griff sein Außenminister zum Telefon und rief den obersten Diplomaten der chinesischen KP an. Antony Blinken, außenpolitischer Berater von Ex-Präsident Barack Obama und erklärter Anhänger des Multilateralismus, machte Yang Jiechi in wenigen, aber klaren Worten die amerikanische Position klar.
Die USA erwarteten die „Einhaltung der Menschenrechte“ und den „Respekt vor internationalen Regeln“. Zugleich erklärte Blinken, Amerika werde ohne Wenn und Aber „seine nationalen Interessen verteidigen“ und „Peking zur Verantwortung für den Missbrauch des internationalen Systems“ ziehen.
So beschrieb Blinken sein erstes Gespräch auf Twitter. Es entspricht nicht unbedingt den diplomatischen Standards, aus vertraulichen Gesprächen öffentlich zu referieren. Aber es war dem neuen US-Außenminister die Sache wert.
Denn der Kontrast in den Positionen zwischen den USA und China ist nach dem Regierungswechsel in Washington nicht kleiner geworden. Im Gegenteil: Er ist größer denn je, die Konfliktfelder der beiden Supermächte erstrecken sich über viele Bereiche: Handel, Technologie, Geopolitik, Menschenrechte.
Und so kann auch das Treffen der Außenpolitiker der beiden größten Wirtschaftsmächte in Alaska an diesem Donnerstag, an dem neben Blinken und Yang auch Chinas Außenminister Wang Yi und US-Sicherheitsberater Jake Sullivan teilnehmen, vor allem eines sein: ein vorsichtiges Herantasten, ein Ausloten, wo Annäherungen zumindest theoretisch möglich sind. Das ist nicht viel, aber ist womöglich mehr, als man unter den derzeitigen Umständen erwarten kann.
China verbittet sich weiter Einmischung in „interne Angelegenheiten“
Blinken steht wie Biden für eine wertorientierte Außenpolitik, was den Raum für Kompromisse schmälert. Eindämmung der Macht Chinas – das ist das erklärte Ziel der USA. Die Suche nach einem „strategischen Dialog“, getragen von „gegenseitigem Respekt“ und dem Glauben, eine „Win-win-Kooperation“ zu kreieren, wie Yang es formuliert – das ist die Position Pekings. Allerdings immer unter der Voraussetzung: keine Einmischung in sogenannte „interne Angelegenheiten“.
Was ist also möglich unter diesen Umständen bei dem ersten hochrangigen Treffen seit dem Machtwechsel in Washington? Wo sind Annäherungen denkbar in diesem Konflikt, der die Weltwirtschaft in den kommenden Dekaden prägen wird?
Sollten die Chinesen darauf gehofft haben, das Ende der Ära Donald Trump bedeute auch ein Ende der US-Importzölle auf chinesische Importe im Wert von 350 Milliarden Dollar, dann haben sie sich getäuscht. Zwar hält Biden solche Strafzölle nicht für das Mittel der Wahl.
„Immer noch sind circa zwei Drittel des sino-amerikanischen Güterhandels von Zusatzzöllen in der Höhe von 25 Prozent belegt, ohne dass dies irgendetwas gebracht hätte“, sagt Gabriel Felbermayr , Chef des Instituts für Weltwirtschaft. Die US-Konsumenten hätten „am Ende die Zeche durch höhere Preise gezahlt“.
Aber die Auffassung Trumps, dass die Chinesen eine merkantilistische Handelspolitik vor allem zulasten der USA betreiben und dass die Volksrepublik eine ökonomische wie politische Bedrohung darstellt, teilt auch Biden. Er spricht sogar von „erpresserischen Methoden“, die er nicht tolerieren werde.
Chinas unerfüllte Verpflichtungen
Das gigantische Handelsbilanzdefizit der USA – im vergangenen Jahr war es trotz der von Trump verhängten Strafzölle ein neuer Rekordwert von 905 Milliarden Dollar, wovon fast ein Drittel auf das Konto der Chinesen geht – jedenfalls bleibt eines der großen Konfliktthemen. Wegen des Defizits hatte Trump mit den Chinesen den sogenannten „Phase-I-Deal“ abgeschlossen. Ein zweiter sollte folgen, kam aber nie. Und auch jetzt liegt er in weiter Ferne.
Ein Blick auf die Zahlen zeigt zudem, dass China seine Verpflichtungen aus dem Phase-I-Deal in weiten Teilen nicht nachgekommen ist. So hatte sich die chinesische Regierung verpflichtet, innerhalb von zwei Jahren gestaffelt bestimmte Waren, darunter vor allem auch landwirtschaftliche Produkte im Wert von insgesamt rund 200 Milliarden Dollar zu kaufen.
Bis 2020 beliefen sich Chinas Gesamtimporte von den in der Abmachung erfassten Produkten aus den USA allerdings nur auf 99 Milliarden Dollar, heißt es in einer aktuellen Analyse des amerikanischen Peterson Institute for International Economics (PIIE). China hatte jedoch zugesichert, dass es bereits innerhalb des ersten Jahres des Abkommens bestimmte Waren im Wert von 173 Milliarden Dollar kaufen würde.
Diese Art von Deals, also milliardenschwere Einkäufe nach Order aus dem Politbüro zu realisieren, kann nur in einer Kommandowirtschaft wie der chinesischen funktionieren. Aber selbst dort gibt es Grenzen, wie die Zahlen belegen.
Immerhin ist China für die Amerikaner inzwischen Hauptabnehmer für landwirtschaftliche Produkte geworden. 2020 haben US-Landwirte mit 55 Millionen Tonnen so viele Produkte nach China exportiert wie noch nie. Das ist doppelt so viel wie 2019.
Und der Trend hält an: In den ersten acht Wochen dieses Jahres hat China fast dreimal so viel Sojabohnen gekauft wie im gleichen Zeitraum im Jahr zuvor. Da die Landwirtschaft eine starke Lobby in den USA hat und damit für die Washingtoner Politik eine große Relevanz besetzt, könnten sich zumindest hier Spielräume für Verhandlungen über eine Phase II ergeben.
Techstreit hat erst begonnen
Noch wichtiger als der klassische Handelsbereich ist der Technologiekonflikt. Biden will nicht nur wie sein Vorgänger das Thema Diebstahl geistigen Eigentums anpacken. Auch die massive Subventionierung chinesischer Hochtechnologiefirmen, die Repression ausländischer Konzerne durch die Pekinger Behörden sowie die Nutzung chinesischer Techfirmen zu Spionagezwecken sind große Konfliktthemen.
Trump strebte nichts Geringeres als eine technologische Entkoppelung an – und mit ein paar präsidialen Dekreten ist es ihm tatsächlich gelungen, den Chinesen ihre eigene Verwundbarkeit vor Augen zu führen. Der Ex-Präsident schnitt die chinesische Industrie vom Halbleiternachschub ab, er verbannte den chinesischen Netzwerkausrüster Huawei aus den USA und übte auf westliche Staaten enormen Druck aus, es ihm gleichzutun.
Viel spricht dafür, dass Biden diesen Technologiekrieg fortführen wird. Der Huawei-Bann bleibt in Kraft. Und erst kürzlich hatte die US-Telekomaufsicht das Unternehmen und fünf weitere chinesische Firmen als Bedrohung für die nationale Sicherheit eingestuft.
Zeichen der Entspannung gab es zuletzt allenfalls an der juristischen Front. So hatten US-Gerichte einzelne Aktionen der Trump-Regierung gestoppt, etwa die Maßnahmen gegen den chinesischen Smartphone-Produzenten Xiaomi, sowie das Verbot der Tencent-Messenger-App WeChat und des Videodienstes Tiktok.
Fortschritte könnte es durchaus auch beim Streit um „geistiges Eigentum“ geben. Das Thema war eines der zentralen im Phase-I-Deal. China hatte sich verpflichtet, den Schutz zu stärken. Tatsächlich hat die chinesische Regierung zahlreiche neue Regeln und Gesetze zum Schutz geistigen Eigentums installiert.
Auch bei der Öffnung des Finanzsektors – ebenfalls ein wichtiger Teil des Phase-I-Abkommens – hat es Fortschritte gegeben. Allerdings hatte die chinesische Regierung in vielen Bereichen ohnehin schon eine Öffnung angestoßen, und es ist zweifelhaft, wie viel der Anteil des Abkommens tatsächlich noch dazu beigetragen hat. Kritiker bemängeln zudem, dass die Öffnung so spät erfolgt, dass ausländische Finanzinstitute kaum noch eine Chance haben.
Erst Anfang März hatte Außenminister Wang die USA ausdrücklich gewarnt, sich nicht in „innere Angelegenheiten“ Chinas einzumischen. Dazu zählt Peking etwa das international scharf kritisierte menschrechtswidrige Vorgehen gegen die muslimische Minderheit der Uiguren in der Region Xinjiang und der von den USA als Völkerrechtsbruch bezeichnete Umgang mit Hongkong. Doch genau das ist es, was die Regierung Biden nicht zu unterlassen gedenkt.
Neue US-Allianz könnte Konflikt verschärfen
Große Sorgen bereitet in Washington auch die von Peking betriebene Ausweitung der Einflusssphären. Blinken ermahnte China erst am Montag wieder, die angespannte Lage im Südchinesischen Meer nicht eskalieren zu lassen. „Wir werden zurückschlagen, wenn nötig, wenn China Zwang und Aggression einsetzt, um seinen Willen zu bekommen“, drohte Blinken.
Die Chinesen dagegen sehen die Wiederbelebung der „Quad“-Allianz der USA mit Indien, Japan und Australien mit großer Skepsis. „Quad wird den Konflikt zwischen den USA und China verschärfen“, sagt Bala Ramasamy, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der China Europe International Business School in Schanghai.
„Vorher waren es nur die USA und China, die in diesem Konflikt waren, jetzt sind es die USA, Indien, Japan und Australien auf der einen Seite und China auf der anderen Seite“, so Ramasamy. China werde jetzt auch versuchen, Verbündete zu finden. Der politische Konflikt werde unweigerlich Auswirkungen auf die Wirtschaft haben, so Ramasamy.
Auch Felbermayr zieht aus dem Wirtschaftskrieg den Schluss, dass es in beider Interesse „höchste Zeit für eine Neuorientierung“ wäre. „Praktisch hat Biden das Problem, dass einseitiges Nachgeben als Niederlage interpretiert werden würde.
Und China hat das Problem, dass eine Öffnung des Dienstleistungsmarkts, wo viele US-Unternehmen sehr wettbewerbsfähige Angebote machen könnten, aus innenpolitischen Gründen nicht machbar ist“, so der Ökonom. Die Lage sei „verfahren“.
China-Skepsis ist nicht kleiner geworden
Die große Chance dieses Gipfels allerdings besteht darin, dass die Pekinger Führung auf eine Normalisierung der bilateralen Beziehungen drängt. Peking strebe einen „gesunden Wettbewerb auf fairer und gerechter Basis“ – bei allen Systemunterschieden – an, so Wang.
Blinken, sein Gegenüber in Alaska, sagte, die Frage des Umgangs mit Peking sei für Washington „der größte geopolitische Test des 21. Jahrhunderts“. Fakt ist: Die China-Skepsis ist also mit dem Machtwechsel im Weißen Haus nicht kleiner geworden. Die Mittel zur Eindämmung des Rivalen allerdings sind andere, womöglich effizienter als die rabiate Politik Trumps.
Blinkens Ziel ist es, demokratische Allianzen zu bilden – mit Europa und asiatischen Verbündeten. Das Kalkül: So werde der Druck auf China so groß, dass es aus eigenem Interesse Zugeständnisse macht. Erst dann, so die Strategie, könnte man über die Aufhebung der Strafzölle reden.
Denn auch das war eine der Lehren der vier Jahre Trump: Mit dem Handelskrieg schadeten die USA vor allem auch der eigenen Wirtschaft. Es könnte erst einmal kühler zwischen Washington und Peking werden. Vielleicht ist der von Blinken gewählte frostige Ort Anchorage in Alaska, der geografisch ungefähr zwischen Peking und Washington liegt, auch ein Symbol.
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