Handelsblatt vor Ort Nordkorea – Innenansichten einer Diktatur
Pjöngjang Beim Taschenhersteller Sonamu wird die Zukunft Nordkoreas erprobt. Daran lässt die Fabrikmanagerin Go Un Huk keinen Zweifel aufkommen, als sie mich auf das Gelände des Unternehmens führt. Die Wände sind frisch gestrichen, die Hecken akkurat gestutzt. Es riecht nach frisch gemähtem Rasen. „Wir sind das Vorbild für die Hightech-Produktion in Nordkorea“, sagt Sonamu-Managerin Go.
Sie geleitet sie mich in die makellos saubere Eingangshalle, schreitet über den kühlen Steinboden, bleibt vor einem Bild stehen. Mit gleißenden Scheinwerfern wird ein überlebensgroßes Foto von Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un angestrahlt.
Darauf hält er einen pinken Schulranzen in den Händen, der mit bunten Zeichentrickfiguren bedruckt ist. „Wir sind so stolz, dass uns der große Führer, Marschall Kim Jong Un, besucht hat“, sagt sie. „Dank seiner weisen Führung können wir dem ganzen Land als Modell dienen.“
Während Frau Go zu den nächsten Lobpreisungen ansetzt, gehen plötzlich die Lampen aus. Frau Go wirkt verärgert. „Stromausfall“, sagt sie knapp. Dann zückt sie ihr Handy. „Wir können das klären“, sagt sie. Wenige Minuten später geht das Licht wieder an. Mit einem zufriedenen Lächeln führt Frau Go in die erste Etage. „Hier werden die Stoffe für unsere Taschen zurechtgeschnitten.
Dafür haben wir eine Hightech-Lasermaschine“, sagt sie und schiebt die Türen zum Produktionsraum auf. Es riecht beißend nach Plastik. Auf dem Boden des Raums hocken Männer und Frauen mit Scheren in der Hand vor großen Stoffstücken. Doch Frau Go beachtet sie kaum. Sie läuft zielstrebig zum anderen Ende des Raums und bleibt vor einer grau-orangefarbenen Maschine stehen.
„Das ist sie“, verkündet sie stolz. Die nordkoreanische Akademie der Wissenschaftler habe das moderne Lasergerät entwickelt, damit mit höchster Präzision und in rasender Geschwindigkeit hochwertige Rucksäcke und Taschen für das Volk produziert werden können. Mit einem stolzen Lächeln streicht sie mit der Hand über die metallene Oberfläche des Apparats. „Und?“, sagt sie und schaut mit einem fragenden Blick zu mir.
Es entsteht ein peinlicher Moment des Schweigens, während ich fieberhaft nach einer Antwort suche. Die vermeintliche Hightech-Maschine wirkt auf mich wie ein Relikt aus einem Technikmuseum. „Interessant“, bringe ich nach längerem Zögern hervor. Später erfahre ich von deutschen Industrieexperten, denen ich Fotos von der angeblichen Wundermaschine zeige, dass es sich vermutlich um eine 20 bis 30 Jahre alte Maschine chinesischer Fertigung handelt. Die Nordkoreaner scheinen sie frisch angemalt und mit ihren eigenen Logos versehen zu haben. Technologischer Fortschritt wird hier nicht praktiziert, sondern simuliert.
Ich bin eingeladen, um mir als Journalist einen Eindruck von Nordkorea zu verschaffen. Das abgeschottete Land lässt nur selten Reporter einreisen. Als einziger Deutscher gehöre ich zu einer Gruppe von sechs Berichterstattern aus vier Ländern, die Nordkorea für eine Recherchetour ins Land gelassen hat. Schon lange hatte ich mich um ein Visum bemüht. Warum es gerade jetzt genehmigt wurde, weiß ich nicht. Vermutlich will sich das Land kurz vor dem historischen Gipfeltreffen zwischen Machthaber Kim und US-Präsident Donald Trump noch einmal von seiner besten Seite zeigen – oder was es dafür hält.
Mit einer Topolev der nordkoreanischen Staatsairline Koryo bin ich in Peking Richtung Pjöngjang gestartet. Die Airline trägt beim Ratingdienst Skytraxx den Titel als schlechteste Fluggesellschaft der Welt. Während ich in den kalten Hamburger beiße, den es als Bordverpflegung gibt, kann ich genau erkennen, wie die voll besetzte Tupolev den Grenzfluss Yalu überfliegt, der China von Nordkorea trennt. Auf der chinesischen Seite säumen Hochhäuser das Ufer, in Nordkorea sind außer Ackerflächen nur vereinzelte Dächer zu erkennen.
Ich frage mich, was mich nach der Landung erwarten wird. In meine Vorfreude, dieses für Journalisten kaum zugängliche Land erleben zu dürfen, mischt sich Sorge. Ich habe fünf Jahre lang als Korrespondent in China gearbeitet. Das Schlimmste, was mir dort drohte, war die Ausweisung. Aber in Nordkorea? Ich fühle mich ausgeliefert.
Meine Befürchtungen scheinen sich nach der Landung in Pjöngjang zu bestätigen. Ein Sicherheitsbeamter winkt mich beiseite. Ich muss ihm mein Smartphone geben, das er erst einmal wegträgt. Dann fordert er mich auf, meinen Laptop zu starten und mein Passwort einzutippen. Die Technikabteilung des Handelsblatts hatte den Computer zwar speziell verschlüsselt. Doch mit meinem Passwort hat der Soldat vollen Zugriff. Er klickt sich durch die gespeicherten Fotos und ruft Dokumente auf.
Nach einigen Momenten nickt er mir zu und gibt mir den Laptop zurück. Wenig später bringt mir ein anderer Mann mein Smartphone. Ich verstaue beides in meinen Rucksack. Dabei frage ich mich, ob in der Zwischenzeit wohl Spionageprogramme auf Computer und Handy installiert worden sein könnten. Eine Unsicherheit befällt mich, die mich während der gesamten Zeit in Nordkorea nicht verlassen wird.
Dann werde ich von den beiden Aufpassern Ri Chung Il und Kim Jong Hun in Empfang genommen, die mich während der gesamten Reise begleiten. Sie sind es, die bestimmen, an welche Orte ich gehen und mit welchen Menschen ich sprechen darf.
Seit Jahren erzählt die nordkoreanische Führung ihrem Volk, dass sich der Lebensstandard schrittweise verbessern werde. Als Machthaber Kim Jong Un im Dezember 2011 nach dem Tod seines Vaters die Staatsführung übernahm, versprach er seinem Volk einen besseren Alltag. Während bis dahin die militärische Entwicklung an erster Stelle stand, rief Kim Jong Un die „Byungjin“-Politik aus, mit der er einen gleichzeitigen Fokus auf wirtschaftlichen Fortschritt und den Bau von Atomwaffen propagierte.

Stephan Scheuer (M.) mit seinen Aufpassern Ri Chung Il (l.) und Kim Jong Hun.
Von der Bevölkerung verlangt Kim bedingungslose Unterordnung. Dafür verspricht er einen steigenden Lebensstandard. Auf diesem Prinzip baut die kommunistische Führung in China seit Jahren ihre Macht. Doch anders als im großen Nachbarland droht Kims Kalkül nicht aufzugehen. Als Reaktion auf die nordkoreanischen Atomwaffentests verschärften die Vereinten Nationen (Uno) Schritt für Schritt ihr Sanktionsregime. Besonders Öllieferungen werden stark beschränkt. Das droht Kims Pläne zu gefährden. Doch bislang unternimmt das Regime alles, damit das in der Bevölkerung niemand spürt, vor allem nicht in der Hauptstadt.
In einem Konferenzraum im Potonggang Hotel bittet mich Wirtschaftsprofessor Ri Gi Song zum Interview. Draußen strahlt die Sonne, drinnen verhängen Gardinen die Fenster. Alles ist in dunklen, erdigen Farben gehalten: der lange Holztisch, der Teppichboden und die klobigen Sessel. Plastikblumen, drapiert in der Mitte des riesigen Tisches, bilden den einzigen Farbpunkt in dem dämmrigen Saal.
Flankiert von zwei Mitarbeitern nimmt Professor Ri an der Längsseite Platz. Der Ökonom von der Akademie der Sozialwissenschaften gilt als einer der Chefarchitekten der nordkoreanischen Wirtschaftspolitik. An der anderen Seite des Tisches, gegenüber von Ri Gi Song und seinen zwei Kollegen, sitze ich neben meinen Aufpassern und den anderen Reportern. „Sanktionen können uns nichts anhaben. Sie bestärken uns nur in unserem Kurs, unabhängig vom Rest der Welt zu werden“, sagt der Professor.
Ob er das mit Zahlen belegen könne, will ich wissen. Professor Ri schaut ernst: „Weil wir uns einer direkten Konfrontation ausgesetzt sehen, können wir keine konkreten Wirtschaftsdaten bekanntgeben.“ Aber er könnte versichern: „Wir sind komplett unabhängig. Die Juche-Idee unseres großen Führers Präsident Kim Il Sung hat uns Autarkie gelehrt.“ Es gebe nichts, was Nordkorea nicht allein herstellen könne. „Wir entwickeln auch unser eigenes Benzin aus Kohle.“
Benzin aus Kohle? Ich muss an die Propaganda der Nationalsozialisten in Deutschland denken. Mit der Verflüssigung von Kohle wollte sich das Deutsche Reich unabhängig von Rohstoffimporten machen. Doch die Qualität und Energieeffizienz reichte nie an andere Kraftstoffe heran, sodass das Verfahren nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgegeben wurde.
In Nordkorea lebt die Idee fort. Unter dem Dogma der Juche-Ideologie sind auch ineffiziente Kraftstoffe erstrebenswert, wenn sie den Anschein von Unabhängigkeit fördern. Doch von Ineffizienz will Professor Ri nichts wissen. Ganz im Gegenteil: „Sogar der deutsche Botschafter in Pjöngjang hat uns öffentlich bescheinigt, dass unser Land gewaltige wirtschaftliche Erfolge erreicht hat.“
„Behauptungen sind frei erfunden“
Was Professor Ri nicht weiß: Wenig später habe ich ein Treffen mit dem deutschen Botschafter.
In einem abgeriegelten Stadtteil Pjöngjangs liegen viele der Botschaftsgebäude, auch das Deutsche. Zäune mit Stacheldraht schirmen das Areal ab. An den Eingängen stehen Soldaten mit Waffen im Anschlag. Sie kontrollieren jeden, der in das Viertel hinein oder aus ihm heraus will.
Normalen Nordkoreanern ist es nicht einmal gestattet, in die Nähe der Botschaftsgebäude zu kommen. Ich werde durchgewunken. Wenig später betrete ich das Gelände der deutschen Vertretung. Mit einem freundlichen Lächeln empfängt mich Botschafter Thomas Schäfer.

Besucher stehen vor dem Zoo in Pjöngjang.
Beige Büromöbel und graue Wände bestimmen das Innere, die Bundesrepublik hat in Pjöngjang das frühere Botschaftsgebäude der DDR übernommen. Erst seit 2001 unterhält die Bundesrepublik diplomatische Beziehungen zu Nordkorea. Auf die Aussagen des Wirtschaftsprofessors Ri hat Schäfer eine klare Antwort: „Die Behauptungen des Wirtschaftsprofessors sind frei erfunden. Ich habe keinerlei derartige Erklärungen abgegeben.“
Die Einschätzung der Lage Nordkoreas durch die deutschen Diplomaten fällt ernüchternd aus. Das Auswärtige Amt bescheinigt Nordkorea Probleme in der Lebensmittelversorgung der Bevölkerung und: „Die Infrastruktur ist marode, zahlreiche Industrieanlagen sind seit Jahren nicht mehr in Betrieb oder werden notdürftig in Betrieb gehalten. Es bestehen große Probleme bei der Energieversorgung.“
Dennoch – oder gerade deswegen – gibt es deutsche Unternehmer, die Nordkorea nicht ganz aus dem Fokus verloren haben. Georg Dückinghaus ist so einer. Der Inhaber des Anlagenbauers Trubatec aus Ahlen in Westfahlen lieferte vor 14 Jahren die ersten Geräte nach Nordkorea. „Der Kontakt kam über den Wirtschaftsattaché der nordkoreanischen Botschaft in Berlin zustande“, sagt Dückinghaus, der sich für seine Geschäfte auch in andere schwierige Länder etwa in Zentralasien traut.
Mittlerweile hat Trubatec zwei Molkereien, eine Brauerei, zwei Produktionsanlagen für Fenster und eine Buchdruckerei an Nordkorea geliefert. „Wir haben generalüberholte alte Anlagen geliefert. Neugeräte wären für die Nordkoreaner zu teuer gewesen“, sagt Dückinghaus. Den Käufern sei eines besonders wichtig gewesen: „Die Geräte mussten aussehen wie neu. Wir mussten sie sehr gut aufbereiten lassen.“
Mittlerweile ist das Geschäft fast zum Erliegen gekommen. „Die Nordkoreaner würden die Anlagen gerne erweitern, aber ihnen fehlt das Geld“, sagt Dückinghaus. Deshalb liefert er nur noch Ersatzteile. Doch selbst hier wird die Abwicklung schwierig.
Aufgrund der Sanktionen wickeln deutsche Banken keine Geldtransaktionen mit Nordkorea ab. Selbst das Logistikunternehmen, mit dem Dückinghaus bislang zusammengearbeitet hat, kann keine Produkte mehr nach Pjöngjang schicken. Trotzdem hält Dückinghaus an den Kontakten fest: „Wenn sich das Land irgendwann öffnen sollte, dann habe ich schon einen Fuß in der Tür.“
Der Überlegung stimmt auch Wolfgang Nowak zu. „Es gibt ein unglaubliches Potenzial, dass sich dieses Land wirtschaftlich entfalten kann“, sagt der ehemalige Planungschef im Kanzleramt unter Gerhard Schröder. Nowak reist seit 2012 regelmäßig nach Nordkorea. Das Land verfüge über viele Rohstoffe, es gebe gut ausgebildete Menschen, sagt er, und sei günstig gelegen nahe den Wirtschaftsmächten China und Japan. Schlummern in Nordkorea etwa unentdeckte geschäftliche Chancen?

Jungen schießen im Spielbereich des Definariums mit Laserpistolen auf eine Leinwand.
Vor drei Jahren reiste zum letzten Mal eine Delegation deutscher Unternehmen nach Nordkorea. Norman Langbecker vom Ostasien-Verein der deutschen Wirtschaft (OAV) in Hamburg organisierte die Tour. „Wir wurden zu einem Acker geführt.
Die Nordkoreaner wollten, dass wir dort eine deutsche Sonderwirtschaftszone eröffnen. Der Plan war aus unserer Sicht zu diesem Zeitpunkt unrealistisch“, erinnert sich Langbecker. Mehrere deutsche Unternehmer versuchten seitdem, Geschäfte anzubahnen, doch das stellte sich als schwierig heraus. Oft musste die Kommunikation über die nordkoreanische Botschaft in Berlin ablaufen. Antworten dauerten lange. Bis heute ist nichts aus den Projekten geworden.
Deutsche Marken sind in Nordkorea präsent. Wenn auch nicht auf den ersten Blick. Das merke ich im Straßenverkehr von Pjöngjang. Viele Autos tragen das charakteristische Logo der nordkoreanischen Automarke Pyeonghwa mit zwei Friedenstauben. Doch die Modelle kommen mir verdächtig bekannt vor.
An einem großen Parkplatz inspiziere ich einige der Autos genauer. Am Kühlergrill der Fahrzeuge prangt zwar das Pyeonghwa-Logo. Doch als ich durch die Windschutzscheibe schaue, sehe ich auf dem Lenkrad einen bekannten Schriftzug: VW. Bei vielen der Fahrzeuge aus vermeintlich nordkoreanischer Produktion handelt es sich offenbar um importierte Fahrzeuge von Volkswagen.
Eigentlich sollten im einzigen Werk von Pyeonghwa südlich von Pjöngjang jedes Jahr 10.000 Autos vom Band laufen. Aber nach der Auswertung von Satellitenaufnahmen gehen Experten davon aus, dass die Produktion schon seit längerer Zeit stillsteht.
Ich will es genauer wissen und bitte meine Aufpasser um einen Besuch in der Fabrik. Der Wunsch wird zwar abgelehnt, dafür werde ich zum einzigen Autohaus Nordkoreas gefahren: der zentralen Ausstellungsfläche von Pyeonghwa in Pjöngjang.
Granitboden, Neuwagengeruch, hinterm Tresen gelangweilte Verkäufer: Alles wirkt hier wie ein Autohaus in der deutschen Provinz. Auf Hochglanzprospekten werden die verschiedenen Fahrzeugmodelle beworben. Im Ausstellungsraum stehen sie zum Probesitzen bereit. Die Luxusvariante kommt mir bekannt vor. „Steigen sie ruhig ein“, fordert mich Verkäufer Ri Song Jun auf.
Ich mache die Türe auf lasse mich auf den Fahrersitz fallen. Und da fällt es mir auf: Nicht nur auf dem Lenker, sondern auch auf den Amateuren und sogar an den Türrahmen steht der chinesische Markenname Haval. Bei dem Fahrzeug scheint es sich um den in China beliebten SUV Haval H6 zu handeln.

Keine Autos, wenig Menschen, Häuserreihen grau in grau.
Ich frage Verkäufer Ri nach den Logos. „Das ist ein Fahrzeug von Pyeonghwa. Aber es kann schon sein, dass wir einzelne Teile aus China bekommen haben“, sagt er. Einzelne Teile? Das Fahrzeug scheint mir ziemlich offensichtlich einfach aus China importiert worden zu sein. Selbst die Beschreibungen am Türrahmen sind auf Chinesisch. Lediglich an Front und Heck wurde das Haval-Logo durch die Friedenstauben von Pyeonghwa ersetzt. Herr Ri will davon jedoch nichts wissen. „Nein, nein, das ist ein Auto von Pyeonghwa“, behauptet er.
Der Schein zählt mehr als das Sein. Nordkoreas Entwicklung wird gespielt und nicht vollzogen. Und alle machen mit. Selbst die internationalen Nordkorea-Experten wissen nicht wirklich, wie es um den Staat steht. Nähert sich Pjöngjang wegen der Sanktionen einem Kollaps, oder liefern die Chinesen als wichtigste Handelspartner weiter genug Öl und andere Güter, damit das Land noch lange durchhalten kann? Niemand scheint mir diese Frage wirklich beantworten zu können.
Alexander Hirschle ist Korea-Direktor bei Germany Trade & Invest (GTAI), der Außenwirtschaftsagentur der Bundesrepublik Deutschland. Von Seoul aus beschäftigt er sich intensiv mit dem Norden der Halbinsel. Er räumt ein: „Es ist sehr schwer, belastbare Informationen über die Lage in Nordkorea zu bekommen.“ Offizielle Daten aus Pjöngjang sind notorisch unzuverlässig.
Verstörende Normalität im Spaßbad
Es dominiert die gespielte Normalität. Dafür werde ich von meinen Aufpassern von einem Megaprojekt zum nächsten geführt. Da gibt es den riesigen Freizeitpark, das Delfinarium, das Naturkundemuseum und schließlich den Wasservergnügungspark Munsu.
Im Eingangsbereich werden wir von der lebensgroßen Figur des 2011 gestorbenen Machthabers Kim Jong Il begrüßt. Seine beigefarbene Jacke und Hose entsprechen fast dem gelben Kunstsand, auf dem er vor dem Foto einer Küstenlandschaft posiert. „Nicht fotografieren“, fordert uns Parkmanagerin Choe Un Hwa auf. Dann begleitet sie uns in den ersten Stock des Spaßbades, von dem aus wir einen Überblick über die verschiedenen Becken haben.
Fröhlich kreischend toben Kinder in einem Wellenbereich. In einem lang gezogenen Schwimmerbecken ziehen Erwachsene ihre Bahnen. Eine bunte Rutsche führt durch das Innere der Halle und spuckt lachende Schimmer in ein kleines Bassin. An einem Eisstand hat sich eine Menschentraube gebildet. Ein Mann nimmt ein Eis entgegen und reicht es einem Kind, das er auf dem Arm trägt.
Wenig hat mich bei meinem Besuch in Nordkorea so verstört wie der Blick auf diese friedliche Szenerie. Sicher, ich weiß, dass es auf der Welt noch gewaltigere Spaßbäder gibt, aber ich war noch nie in einer Anlage von annähernd vergleichbarer Größe. Wie kann es sein, dass ein Staat, in dem noch in den 1990er-Jahren Hunderttausende Menschen verhungerten, so etwas hervorbringt?
Das Badeparadies ist eines der wichtigsten Vorzeigeprojekte von Kim Jong Un. Nordkoreas staatliche Nachrichtenagentur KCNA verlautbarte, dass Kim sich persönlich 13 Entwürfe des 150.000 Quadratmeter großen Geländes zeigen ließ, bevor er sich für einen entschied. Soldaten wurden für den Bau abkommandiert. „Dank der weisen Führung des großen Führers, Marschall Kim Jong Un, können wir heute diese Anlage genießen“, sagt Parkmanagerin Choe Un Hwa. Nordkorea könne eben alles, so Choe, Atomwaffen bauen und Spaßbäder errichten.
Kim Jong Un nutzt die Atombomben als Lebensversicherung. Nicht mal die US-Armee traut sich, einen Diktator anzugreifen, der die Welt in einen Atomkrieg stürzen könnte. Gleichzeitig will Kim die hauptstädtische Elite des Landes bei Laune halten, indem er ihr einen hohen Lebensstandard ermöglicht. Doch dafür müssen andere Menschen einen hohen Preis zahlen. Das wird mir eindrucksvoll klar, als ich eine Szene am Straßenrand in einem Außenbezirk von Pjöngjang beobachte.
Neben den Straßen sind kleine Beete mit Rasen angelegt. Doch an vielen Stellen ist das Gras verdorrt. Saftig grüne Flächen wechseln sich mit dunkelbrauen Stellen ab. An diesem Tag sind hier Hunderte älterer Frauen im Einsatz. Über mehrere Kilometer sitzen sie am Straßenrand.

Die Elite des Landes wird bei Laune gehalten.
Mit Händen und einfachem Werkzeug sind sie damit beschäftigt, kleine Teile der Grasnarbe zu versetzen. Von den grünen Stellen werden die Pflanzen an die brauen Flächen umgebettet, sodass eine gleichmäßig spärlich bewachsene Rasenfläche entsteht. Es ist eines der Massenprogramme, mit denen Kim sein Volk beschäftigt hält. Im totalitären Nordkorea wird von jedem Bürger Unterordnung verlangt. Zu viel Freizeit ist da gefährlich.
Und wieder dieses Unverständnis: Wie kann ein Land, das Hunderte Rentnerinnen Grashalme ausbuddeln lässt, Atomwaffen entwickeln? Die Frage geht mir einfach nicht aus dem Kopf.
An der Kim-Il-Sung-Universität erzählt mir der Hochschulvertreter stolz, dass genau dort die Atomwissenschaftler des Landes ausgebildet würden. Doch bei Nachfragen an die Studierenden hat noch keiner von ihnen jemals das Internet benutzt. Ein Student, den ich im Computersaal der Hochschule treffe, erzählt mir stolz, dass er Informatik studiere. „Das Internet brauche ich nicht. In unserem nordkoreanischen Intranet gibt es alles, was wir benötigen“, behauptet er.
Angst und Verblendung
Atomwissenschaftler ohne Internet? Ich werde den Eindruck nicht los, dass sich die Nordkoreaner über die Leistungen ihres Landes ständig selbst täuschen. Nirgendwo ist mir das so klar geworden wie bei der Führung durch die Taschenfabrik mit Frau Go und ihrer Begeisterung für die angeblich hochmoderne Lasermaschine.
Die Sanktionen seien keine Bedrohung, sagt sie mir immer wieder. Sie seien nur eine Bestätigung, dass ihr Land auch ohne den Rest der Welt auskommen kann. Die Lasermaschine zum Beispiel: „Das ist Hightech ‚made in Nordkorea‘.“ Ob ich denn die Maschine im Einsatz beobachten dürfte, frage ich. Frau Go schaut zu einem Arbeiter. Der zuckt mit den Schultern. „Die heutige Produktion ist schon abgeschlossen“, sagt Frau Go. Aber es sei doch erst Mittagszeit, wende ich ein. „Wir sind eben schnell“, entgegnet Frau Go. „Aber wir geben ihnen einen kleinen Vorgeschmack, was das Gerät so leistet.“
Der Arbeiter macht sich an einem Computer zu schaffen, der neben der Anlage steht. Mehrere Minuten dauert es, bis das Gerät hochgefahren ist. Dann beginnt sich die Maschine mit einem tiefen Brummen in Bewegung zu setzen. Doch bevor das Gerät die ersten Stoffstücke schneiden kann, schaltet sich wieder Frau Go ein. „So, das reicht. Jetzt haben Sie das Prinzip gesehen.“
Noch bevor sie die letzten Worte ausgesprochen hat, führt sie in den nächsten Raum der Produktionsanlage. Rund drei Dutzend Frauen sitzen an alten Modellen elektrischer Nähmaschinen des US-Marktführers Singer. An jedem Arbeitsplatz hängt ein Heft mit Propaganda-Texten.

Das Badeparadies ist ein wichtiges Vorzeigeprojekt.
„In den Pausen kann ich mich dank der Papiere über die Leistungen unseres großen Führers, Marschall Kim Jong Un, informieren“, sagt Näherin Ri Myong Sun. Die 44-Jährige mit dem breiten Lächeln trägt wie die anderen Näherinnen eine pinkfarbene Haarhaube. „Ich war sehr froh, dass diese Hightech-Fabrik vor gut einem Jahr eröffnet wurde“, sagt Ri. Bevor sie angefangen habe, für Sonamu zu arbeiten, sei sie Hausfrau gewesen. Jetzt könnte sie auch Taschen für ihre Söhne im Alter von 15 und elf Jahren anfertigen. Bevor Frau Ri fertig erzählt hat, drängt Go bereits zum Weitergehen.
Ihr Ziel: der zentrale Kontrollraum. Vor einem etwa fünf Meter breiten Display steht Netzwerkmanager Ri Hyon Chol. „Von hier aus können wir die gesamte Produktion überwachen. In unserer Hightech-Fabrik wird jeder Schritt kontrolliert“, sagt Netzwerkmanager Ri.
Allerdings zeigt die Darstellung auf dem Monitor nur ein Schema der Fabrik, aber keine Zahlen oder andere Daten. Ich frage nach. Daraufhin gerät Herr Ri Hyon Chol ins Stocken. „Die Daten sind nicht so einfach darzustellen“, erklärt er und beginnt, sich durch Einstellungen am Computer zu klicken. Der Rechner stürzt ab. Ri startet neu, das Gerät stürzt wieder ab. Nach einigen Minuten präsentiert der Netzwerkmanager schließlich eine Excel-Tabelle mit Zahlenreihen. Allerdings sind die Daten aus dem vergangenen Monat.

Arbeiterinnen fertigen in der Sonamu-Fabrik Taschen für Nordkorea.
„Haben Sie nicht gesagt, die Informationen über die Produktion würden in Echtzeit erfasst?“, will ich wissen. „Ja, das werden sie. Aber erst mit einiger Verzögerung“, entgegnet Herr Ri mit verlegenem Lächeln.
Echtzeit, aber mit Verzögerung: Am Einfachsten ließen sich solche offensichtlichen Widersprüche mit der Angst vor meinen Aufpassern erklären. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International geht davon aus, dass jedes Jahr Tausende politische Gefangene in Straflagern sterben. Und in denen landet man schnell.
Doch im Verlauf meiner Reise bekomme ich zunehmend einen anderen Eindruck. Es gibt sie bestimmt, die Zweifler, die ihre Erkenntnisse nur nicht offen aussprechen wollen. Erschreckend oft indes habe ich den Eindruck, vor überzeugten Menschen zu stehen, die jede noch so abstruse Aussage einfach glauben oder zumindest unter dem ideologischen Dauerfeuer das kritische Hinterfragen aufgegeben haben.
Als die Tour endet, verabschiedet mich Manager Go mit den Worten: „Jetzt haben Sie gesehen, wie modern unsere Produktion ist. Das müssen Sie der Welt mitteilen.“ In ihrer Stimme liegt kein Anflug von Angst oder Zweifel. Sondern einfach nur Stolz.
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