Handelskonflikt Unfairer Welthandel – EU und USA nehmen China ins Visier

Internationaler Handel: Staatliche Eingriffe verzerren die Regeln des Welthandels.
Brüssel/Berlin Dass Jean-Claude Juncker Ende Juli Donald Trump zu einem Waffenstillstand im transatlantischen Handelsstreit bewegen konnte, hat viele überrascht. Allein mit seinem Versprechen, mehr Sojabohnen aus den USA nach Europa zu importieren dürfte der EU-Kommissionschef den Handelskrieger im Weißen Haus kaum besänftigt haben.
Der Burgfrieden ist wohl auch dem Umstand zu verdanken, dass Trump und Juncker mit China einen Übeltäter im internationalen Handel ausgemacht haben, der Europa und Amerika gleichermaßen ärgert. Mit einer Reform der Welthandelsorganisation WTO wollen Brüssel und Washington China in die Schranken weisen.
Auf diese Weise, so hofft man in Brüssel, lassen sich gleich drei Ziele auf einmal erreichen: Eine Eskalation zu einem globalen Handelskrieg wird abgewendet, der Poltergeist Trump gezähmt und China gezwungen, sich an die Spielregeln im internationalen Handel zu halten.
Auch wenn Trumps Strafzollexpeditionen in der Handelspolitik der EU ein Gräuel sind, die Kritik des US-Präsidenten an den unfairen Handelspraktiken Chinas wird in Brüssel durchaus geteilt.
Jetzt die besten Jobs finden und
per E-Mail benachrichtigt werden.
Das Handelssystem sei auf offene und transparente Volkswirtschaften ausgelegt, sagt Handelskommissarin Cecilia Malmström. „Wir dürfen nicht zulassen, dass Länder dies ausnutzen.“ Jeder weiß, wer damit gemeint ist: China. Die EU betrachtet den oft versteckten staatlichen Einfluss Pekings auf die Industrie und damit einhergehende Subventionen mit Sorge. So redeten auch in privaten Unternehmen Zellen der Kommunistischen Partei mit.
Gestützt werden diese Beobachtungen durch den jüngsten Bericht der EU-Handelskammer in China. Die Kammer kommt nach einer Umfrage unter mehr als 500 Mitgliedsfirmen zu dem ernüchternden Ergebnis: „Es ist dringend notwendig, den überwältigenden Einfluss staatlicher Firmen zu begrenzen, Regulierungen zu verbessern, der Ungleichbehandlung zu begegnen und rechtsstaatliche Verfahren stärker zu verankern.“
Die Amerikaner sind in ihrer Kritik noch deutlicher: China sei „die größte protektionistische, merkantilistische Volkswirtschaft der Welt“, polterte kürzlich Dennis Shea, US-Botschafter bei der WTO.
Malmström hat bereits Vorschläge zur Reform der WTO erarbeiten lassen. Ihre Strategie: Die Genfer Organisation soll bessere Antworten auf Chinas Staatskapitalismus geben. Europa müsse „um jeden Preis verhindern“, dass das Welthandelssystem weiter geschwächt werde, warnte die EU-Kommission kürzlich in einem vertraulichen Dokument für die Mitgliedstaaten.
Brüssel erhöht Druckt auf Regierungen
Die Behörde fordert daher – wie Washington – schärfere Regeln für staatlich gelenkte Unternehmen und Staatshilfen für die Industrie. Das Subventionsübereinkommen aus dem Jahr 1994 setzt den Hilfen zwar bereits Grenzen, aber es hapert an der Umsetzung: Viele Länder kommen ihrer Pflicht nicht nach, die anderen Mitglieder über neue Subventionen zu informieren.
Brüssel will daher den Druck auf die Regierungen erhöhen: Wenn WTO-Mitglieder Hilfen in einem Land melden, sollen diese bis zur Prüfung als regelwidrig gewertet werden. Für besonders marktverzerrende Subventionen sollen schärfere Regeln gelten.
Hinzu kommt, dass in China die Grenze zwischen privaten und staatlichen Unternehmen oft verschwimmt.
So wirft Dan Blumenthal vom konservativen American Enterprise Institute der Führung in Peking vor, sich mithilfe von staatlich dominierten Unternehmen gezielt unfaire Vorteile auf den Weltmärkten zu verschaffen. „Der chinesische Präsident Xi Jinping betreibt keine Marktreformen, sondern das Gegenteil“, sagte Blumenthal bei einer Anhörung im US-Senat.
Dass Amerikaner und Europäer erst jetzt beim Thema Staatshilfen den Druck erhöhen, hat allerdings auch damit zu tun, dass beide jahrelang selbst gesündigt haben – zum Beispiel durch massive Staatshilfen für ihre Flugzeugbauer Boeing und Airbus.
Bisherige Vorschriften reichen nicht aus
Gemeinsam drängen Brüssel und Washington auch darauf, dass die WTO härter gegen den erzwungenen Technologietransfer und die Diskriminierung ausländischer Investoren vorgeht. Die bisherigen Vorschriften reichten nicht aus, um Praktiken wie Chinas Joint-Venture-Zwang für ausländische Unternehmen zu begegnen, schreibt die Kommission in ihrem Dokument.
Ausländische Investoren müssen ihr technisches Know-how oft als Eintrittsgeld für den chinesischen Markt abliefern. Neue Regeln müssten festschreiben, dass Geschäftsgeheimnisse ausländischer Unternehmen wirksam geschützt und diese bei der Lizenzierung neuer Technologien nicht gegenüber chinesischen benachteiligt werden dürften, heißt es in Brüssel.
So einig sich EU und USA in ihrer Analyse des Problemfalls China sind, so weit gehen die Meinungen aber darüber auseinander, wie Peking dazu gebracht werden soll, die nötigen WTO-Reformen mitzutragen. Die Europäer halten Trumps WTO-widrige Strafzölle auf chinesische Exporte für den falschen Weg, da er die Autorität der Genfer Organisation untergräbt.
Die EU setzt darauf, zusammen mit den USA und Japan den Druck auf China zu erhöhen, um Xi Jinping Zugeständnisse abzuringen. Die EU hat Mitte Juli mit China eine Arbeitsgruppe gegründet, die Vorschläge für eine WTO-Reform erarbeiten soll. Das Kalkül dabei: Xi ist auf eine florierende Wirtschaft angewiesen, will er seine politische Alleinherrschaft sichern. China braucht daher einen funktionierenden Welthandel und kann sich eine Isolierung nicht leisten.
„Kompromisse sind am ehesten beim Streit über staatliche Subventionen denkbar“, sagt Manfred Elsig, Handelsexperte beim World Trade Institute in Bern. „Schnelle Reformschritte sollte man allerdings nicht erwarten.“ Um das lähmende Konsens‧prinzip zu umgehen, will die EU zunächst die wichtigsten unter den 164 Mitgliedern überzeugen.
Wenn Länder wie die USA, China, Indien oder Japan mit an Bord seien, könnten sich diese in plurilateralen Verhandlungen zu strengeren Regeln verpflichten, heißt es in Brüssel. Beim G20-Gipfel Ende November wollen die Europäer ein gemeinsames Bekenntnis zu einer Reform erreichen. Aber China könnte sich zusammen mit anderen Schwellenländern wie Indien und Brasilien querlegen.
Das größere Restrisiko für den Freihandel sieht Handelsexperte Elsig jedoch nach wie vor beim Unsicherheitsfaktor Trump: „Vermutlich wird der US-Präsident in drei Monaten die Geduld verlieren und den Handelskrieg wieder aufnehmen.“
Tatsächlich geht von der US-Regierung die unmittelbarste Gefahr für das Welthandelssystem aus: die Blockade des Streitschlichtungsmechanismus. Washington blockiert seit Längerem die Berufung neuer Richter für die Berufungsinstanz, inzwischen sind nur noch vier der sieben Stellen besetzt. Spätestens Ende 2019 droht die Handlungsunfähigkeit – dann werden nicht mehr die drei für eine Anhörung nötigen Richter übrig sein. Die wichtigste Funktion der WTO sei daher „in großer Gefahr“, warnt die Kommission.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.