Benachrichtigung aktivieren Dürfen wir Sie in Ihrem Browser über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts informieren? Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Fast geschafft Erlauben Sie handelsblatt.com Ihnen Benachrichtigungen zu schicken. Dies können Sie in der Meldung Ihres Browsers bestätigen.
Benachrichtigungen erfolgreich aktiviert Wir halten Sie ab sofort über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts auf dem Laufenden. Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Jetzt Aktivieren
Nein, danke

Hannah Neumann im Interview Konfliktforscherin zur Nahost-Krise: „Die EU muss als Vermittler auftreten“

Die Grünen-Europaparlamentarierin Neumann spricht über die Ohnmacht der EU im USA-Iran-Konflikt und fordert, dass sich der Staatenverbund nun im Irak beweisen muss.
08.01.2020 - 15:36 Uhr Kommentieren
Die Europapolitikerin der Grünen befürchtet, dass sich die Lage im Nahen Osten noch weiter zuspitzt. Quelle: Pressefoto EU
Hannah Neumann

Die Europapolitikerin der Grünen befürchtet, dass sich die Lage im Nahen Osten noch weiter zuspitzt.

(Foto: Pressefoto EU)

Brüssel Die Außenpolitikern der Grünen im Europaparlament, Hannah Neumann, bezeichnet die Konflikte im Nahen und Mittleren Osten bereits als Krieg. Nach den Geschehnissen der Nacht – die Iraner griffen US-Militärstützpunkte im Irak an – hofft sie auf Gespräche, die die Lage entspannen.

Damit der Konflikt in der Region nicht völlig eskaliert, müsse die EU als Vermittler auftreten. „Sie kann aber nur glaubwürdig sein, wenn sie sowohl von iranischer als auch von US-amerikanischer Seite als verlässlicher Akteur wahrgenommen wird – und das ist im Moment leider nicht der Fall“, so Neumann.

Sie bemängelt die einseitige Kritik der EU: „Wenn die EU eine Vermittlerrolle auf Basis des Völkerrechts einnehmen und die Regeln verteidigen will, die ein friedliches Zusammenleben ermöglichen, dann funktioniert das nur, wenn sie alle Akteure kritisiert, die dagegen verstoßen. Und ja, das sind im Moment auch ganz deutlich die USA.“

Ebenfalls fordert sie, dass die EU eine aktive Rolle im Irak einnimmt und hilft, das Land zu reformieren und den iranischen Einfluss zu mildern. „Andernfalls läuft auch der Irak Gefahr, im Bürgerkrieg zu versinken, wie das in Syrien passiert ist“, so die promovierte Friedens- und Konfliktforscherin.

Lesen Sie hier das gesamte Interview:

Frau Neumann, für wie wahrscheinlich halten Sie einen aufkommenden Krieg?
Es gibt bereits sehr gewaltsame, teils kriegerische Auseinandersetzungen in vielen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens, in denen sowohl die USA als auch der Iran sowie andere Akteure eine Rolle spielen. Ich befürchte, dass sich die Lage noch weiter zuspitzt, aber auch für den Moment würde ich sagen: Wir haben den Krieg schon.

Ist das Bombardement des Irans auf US-Militärstationen im Irak nun eine eher abgewogene, gesichtswahrende Antwort oder die große Eskalation?
Wenn es auf beiden Seiten dabei bleibt, vielleicht sogar Gespräche folgen, dann könnte sich die Lage entspannen. Aber ob es so kommt, das bleibt abzuwarten. In jedem Fall sind diese Angriffe der Iraner im Irak ein klarer Völkerrechtsbruch. Der Irak darf in diesen Konflikt nicht noch weiter reingezogen werden. Und die irakische Regierung wäre gut beraten, den iranischen Einfluss im Land zurückzudrängen, so wie es ja von den demonstrierenden Reformkräften seit Monaten gefordert wird.

Bei einem Bombardement im Irak soll es nach iranischen Angaben 80 Tote gegeben haben – der Irak widerspricht. Quelle: AFP
Gegenschlag des Irans auf einen US-Militärstützpunkt

Bei einem Bombardement im Irak soll es nach iranischen Angaben 80 Tote gegeben haben – der Irak widerspricht.

(Foto: AFP)

Was sollten die Europäer jetzt tun, um zu verhindern, dass die Konflikte vor ihrer Haustür völlig eskalieren?
Ich halte es für richtig, dass sowohl die E3 (Deutschland, Frankreich, Großbritannien) als auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Montag plädiert haben, dass die EU eine Vermittlerrolle spielen muss. Die EU kann aber nur ein glaubwürdiger Vermittler sein, wenn sie sowohl von iranischer als auch von US-amerikanischer Seite als verlässlicher Akteur wahrgenommen wird – und das ist im Moment leider nicht der Fall. Tatsächlich haben wir so wenig Einfluss in der Region wie noch nie.

Woran liegt das?
Zum einen daran, dass die EU das Atomabkommen nach dem Austritt der USA nicht auffangen konnte. Der Iran hatte der EU ein Jahr Schonfrist gegeben, um entweder die USA zurück an den Verhandlungstisch zu bekommen oder die Sanktionen der USA selber aufzufangen. Beides hat die EU nicht geschafft und dadurch gezeigt, dass sie nicht verlässlich ist.

Zum anderen liegt es an der einseitigen Kritik der EU: Am Iran kritisiert sie zu Recht schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen im Inneren und Angriffe in anderen Ländern. Bei den USA jedoch hält sie sich zurück. Dabei war die Tötung Soleimanis im Irak höchstwahrscheinlich völkerrechtswidrig. Zudem hat Donald Trump gedroht, gezielt kulturelle Stätten im Iran anzugreifen. Dieses Niveau kennen wir sonst nur von den Taliban oder vom IS. Aber: Wenn die EU eine Vermittlerrolle auf Basis des Völkerrechts einnehmen und die Regeln verteidigen will, die ein friedliches Zusammenleben ermöglichen, dann funktioniert das nur, wenn sie alle Akteure kritisiert, die dagegen verstoßen. Und ja, das sind im Moment auch ganz deutlich die USA.

In Brüssel und in den Hauptstädten herrscht große Verärgerung über die US-amerikanische Iran-Politik, laut auszusprechen traut sich das aber keiner.
Die Beobachtung ist richtig und sehr frustrierend. Am Montag hat sich der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell vormittags geäußert und sowohl den Iran als auch die USA zur Mäßigung aufgerufen. Die Erklärung aus Berlin, Paris und London kam gegen Mittag, in der die USA nicht erwähnt wurden. Auch in von der Leyens Erklärung am Nachmittag wurden die Amerikaner nicht genannt. Wer eine Vermittlerrolle will, darf nicht so einseitig agieren. Jetzt scheint der iranische Außenminister Zarif die am Wochenende ausgesprochene Gesprächseinladung Borrells angenommen zu haben. In einigen Hauptstädten und Teilen der Kommission sorgt das für Unbehagen. Dabei wäre es für die EU gerade jetzt wichtig, Geschlossenheit und ein gemeinsames Handeln zu demonstrieren.

Die USA zu maßregeln ist eben ein politisch sehr heikles Unterfangen.
Genau. Die USA sind militärisch sehr stark, außerdem der Nato-Verbündete von 22 EU-Staaten und unsere Schutzmacht. Das wird sich kurzfristig auch nicht ändern. Zwar gibt es immer wieder die Rufe, dass wir als EU souverän werden müssen – und auch militärisch autonom agieren können müssen. Doch da die Visegrad-Staaten nicht glauben, dass die EU sie bei einem Konflikt mit Russland alleine verteidigen kann – was auch stimmt –, scheuen sie Auseinandersetzungen mit Washington. Ich bin trotzdem der Meinung, dass wir unser diplomatisches und ökonomisches Gewicht nutzen können, um unsere außenpolitischen Interessen durchzusetzen.

Dennoch ist es den Europäern mit ihrem wirtschaftlichen Einfluss nicht gelungen, den Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen zu kompensieren. Nach dem gezielten Töten Soleimanis hat der Iran angekündigt, nun unbegrenzt Uran anzureichern. Dies ist besonders für die europäische Sicherheitsarchitektur fatal. Gibt es jetzt noch eine Möglichkeit für die Europäer, den Deal zu retten?
Ja, es gibt noch einen Hoffnungsschimmer. Denn der Iran hat das Atomabkommen noch nicht vollständig aufgekündigt. Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA), die die Einhaltung des Atomabkommens kontrolliert, darf weiter im Land bleiben und beobachten. Da ist also noch ein Fenster offen. Aber natürlich wird der Iran die weitere Urananreicherung nur dann unterlassen, wenn die Sanktionen aufseiten der USA zurückgenommen werden oder die EU eine Lösung gefunden hat, diese zu kompensieren. Interessanterweise hat China gesagt, dass es sich nicht von den Sekundärsanktionen beeindrucken lässt, die die USA auch gegen Europa angedroht haben. Das zeigt auch wieder, wie schwach die EU im Vergleich zu anderen Akteuren der Weltpolitik ist – obwohl wir das nicht sein müssten.

Das Atomabkommen war auch im Interesse Irans: Die Wirtschaft des Landes ist nach dem Fallen der Sanktionen erheblich gewachsen. Warum hat Teheran die USA denn überhaupt so sehr provoziert, sodass diese letztlich ausgestiegen sind und die Sanktionen wieder in Kraft traten?
Die Geschichte der Rivalität zwischen diesen beiden Ländern ist eine sehr, sehr lange Geschichte, die sich auch durch ein Atomabkommen nicht so einfach beilegen lässt. Auch im Iran gibt es unterschiedliche Interessensgruppen: Einmal die Reformorientierten, die eine Öffnung des Landes gegenüber dem Westen anstreben und die uralte USA-Feindschaft beilegen wollen. Für sie war das Atomabkommen ein großer Erfolg. Und dann gibt es die Hardliner, die gar kein Interesse daran haben, dass die Reformorientierten Erfolge verzeichnen und dementsprechend wollen, dass das Atomabkommen fällt. Zu ihnen gehörte auch Soleimani. Aufseiten der USA gab es bei den Republikanern von Anfang an Angriffe auf den Iran-Deal, der noch aus Obama-Zeiten stammt.

Die ganze Situation wurde nun durch die vom Iran angezettelte Idee der Erstürmung der US-amerikanischen Botschaft in Bagdad noch einmal explosiv aufgeladen. Wie fatal ist es für den Irak, zur Spielwiese des iranisch-US-amerikanischen Konflikts zu werden?
Wir haben im Irak eine Öffnung der politischen Öffentlichkeit gesehen, die durchaus im Interesse der USA gewesen wäre. Das Spannende bei den Protesten war, dass dort auch viele Angehörige der schiitischen Bevölkerungsmehrheit auf die Straße gegangen sind, um gegen die schiitisch dominierte Regierung und den starken Einfluss des Irans in ihrem Land zu kämpfen. Ihr Antrieb war die Souveränität als Iraker – sie wollten keine Einmischung der Iraner oder der US-Amerikaner mehr. Diese Proteste wurden immer wieder gewaltsam niedergeschlagen, wofür auch Soleimanis Truppen mitverantwortlich waren. Deswegen wurde sein Tod im Irak zunächst auch sehr bejubelt. Doch nun ist die schiitische Front gegen den Erzfeind USA wieder erstarkt. Zusätzlich wird der Iran durch einen Rückzug der US-amerikanischen Truppen im Irak noch einmal deutlich mehr an Einfluss gewinnen. Im Grunde genommen haben die USA mit dem Tod Soleimanis die Rolle des Irans im Irak gestärkt und das zarte Pflänzchen des Kampfes für mehr Demokratie und gegen Korruption zerstört.

Wie sollte sich die EU nun zum Irak verhalten?
Ich fände es wichtig, dass sich die EU immerhin dafür starkmacht, dass dieser Konflikt zwischen den USA und Iran nicht in dem ohnehin sehr fragilen Irak ausgetragen wird. Außerdem hat die EU nun die Chance, mit politischem Druck, administrativer Hilfe und Beratungen dafür zu sorgen, dass es die dringend notwendige Reform des Sicherheitssektors im Irak geben kann. Dafür muss sich die EU aber deutlich stärker engagieren, als sie es derzeit tut. Außerdem sollte sie die Vermittlerrolle zwischen Protestbewegung und Regierung einnehmen. Andernfalls läuft auch der Irak Gefahr, im Bürgerkrieg zu versinken, wie das in Syrien passiert ist.
Frau Neumann, vielen Dank für das Interview.

Mehr: Die aktuellen Entwicklungen im Nahostkonflikt im Newsblog.

Startseite
Mehr zu: Hannah Neumann im Interview - Konfliktforscherin zur Nahost-Krise: „Die EU muss als Vermittler auftreten“
0 Kommentare zu "Hannah Neumann im Interview: Konfliktforscherin zur Nahost-Krise: „Die EU muss als Vermittler auftreten“"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%