Hochschulen Elite-Unis fürchten durch Coronakrise Einbruch bei lukrativen Auslandsstudenten

Die britische Elitehochschule ist stolz auf ihre Internationalität. 43 Prozent der Studierenden kommen aus dem Ausland.
London, New York Angelsächsische Elite-Unis wie Oxford und Harvard sind stolz auf ihre Weltoffenheit. „Oxford ist eine der internationalsten Universitäten der Welt“, wirbt die britische Hochschule auf ihrer Webseite. 43 Prozent der Studierenden kommen aus dem Ausland, bei den Graduierten-Programmen sind es sogar 63 Prozent.
In der Coronakrise wird die Abhängigkeit von ausländischen Studierenden nun jedoch zum Nachteil. Nach der Verhängung der Ausgangsbeschränkungen im März wurden alle Studierenden in den USA und Großbritannien nach Hause geschickt – und es ist unklar, ob und wann sie zurückkommen. Noch größer ist die Sorge vor einem Einbruch bei den Erstsemestern im Herbst: Ein ganzer Jahrgang könnte seine Auslandspläne aufschieben.
Den Universitäten drohen Einnahmeverluste in Milliardenhöhe. In Großbritannien wird befürchtet, dass die Zahl der ausländischen Studierenden im kommenden akademischen Jahr um mindestens die Hälfte einbricht. Das würde ein großes Loch in die Kasse reißen: Vergangenes Jahr haben die Gäste aus Übersee rund sieben Milliarden Pfund allein an Studiengebühren gezahlt – 17 Prozent der Gesamteinnahmen der Hochschulen. Dazu kommen die Wohn- und Lebenshaltungskosten.
Die amerikanischen Universitäten halten sich mit Schätzungen zu Studierendenzahlen noch bedeckt. Doch schon ein Rückgang der ausländischen Studierenden um 30 Prozent würde sie 6,1 Milliarden Dollar an entgangenen Studiengebühren kosten, kalkuliert Jonathan Law, Partner bei der Unternehmensberatung McKinsey.
In den USA studieren mehr als eine Million ausländische Studierende, in Großbritannien sind es rund 500.000. Die meisten kommen aus China, gefolgt von Indien.
Für die Universitäten sind internationale Studenten sehr lukrativ: Während Briten und EU-Bürger in Oxford maximal 9250 Pfund Studiengebühren im Jahr zahlen müssen, fallen für Nicht-Europäer bis zu 44.000 Pfund im Jahr an. In den USA zahlen internationale Studenten im Schnitt anderthalb bis zweimal so hohe Studiengebühren wie die einheimischen Kommilitonen.
Studenten könnten wieder näher an der Heimat studieren
Dass diese Einnahmequelle nun vorerst zu versiegen droht, alarmiert kundige Beobachter. „Diese Wende in einer der Boombranchen der globalisierten Wirtschaft wird katastrophale Folgen für die Finanzen der Universitäten haben“, warnt Jo Johnson, ehemaliger britischer Bildungsstaatssekretär und Bruder des Premierministers, in einem Gastbeitrag in der „Financial Times“.
Die Coronakrise werde dazu führen, dass Studenten weltweit wieder näher an der Heimat studieren – auf Kosten der Hochschulen in den USA und Europa.
In diesen Tagen haben die meisten Studenten ihre Antwort erhalten, ob und wo sie angenommen wurden. Nun müssen sie zusagen und sich den Studienplatz mit einer Kaution sichern. Doch viele sind verunsichert.
Laut einer Umfrage des British Council unter chinesischen Studenten, die Auslandspläne hatten, wollen nur noch 27 Prozent daran festhalten. 22 Prozent gaben an, sie würden wahrscheinlich doch nicht ins Ausland gehen. 39 Prozent sagten, sie wüssten es noch nicht.
Erschwerend kommt hinzu, dass in vielen Ländern die nötigen Englischtests und Eignungsprüfungen auf unbestimmte Zeit abgesagt wurden. Auch Studentenvisa werden vielerorts nicht bearbeitet. Das wirft den normalen Ablauf der Immatrikulation in diesem Jahr durcheinander.
Obendrein ist unklar, ob die Universitäten im Herbst überhaupt schon wieder öffnen können. Möglicherweise müsse das Wintersemester zunächst mit Online-Lehrveranstaltungen beginnen, sagt Clare Marchant, Chefin der britischen Zulassungsbehörde. Für Erstsemester wird an einigen Universitäten intern bereits erwogen, den Studienstart von September 2020 auf Januar 2021 zu verschieben.
London School of Economic und New York University vermutlich stark betroffen
Um sich internationale Studenten für das Wintersemester zu sichern, müssten die Universitäten sich flexibel bei ihren Anforderungen und Fristen zeigen, rät McKinsey-Berater Law. Neben Online-Kursen könnten sie auch Partnerschaften mit Hochschulen an den Heimatorten der ausländischen Studenten eingehen und auf diese Weise Präsenzunterricht anbieten.
Die meisten ausländischen Studenten gehen traditionell an Universitäten, die in den Ranglisten weit oben stehen und in begehrten Städten liegen. Die London School of Economics (LSE) und die New York University (NYU) dürften daher von der Krise mit am stärksten betroffen sein.
Sollte sich im Wintersemester kein einziger neuer Student aus dem Ausland einschreiben, würde die LSE 49 Prozent ihrer Studiengebühren und 22 Prozent ihrer Gesamteinnahmen verlieren, kalkuliert der Thinktank Institute for Fiscal Studies. Die rein hypothetische Rechnung illustriert das Ausmaß des Risikos.
Dennoch wären es nicht die prestigeträchtigen Universitäten, die unter dem Wegbleiben der ausländischen Studenten am meisten litten. Denn der Großteil ihrer Einnahmen stammt aus Forschung, Spenden und Stiftungen. Insgesamt sind sie also weniger abhängig von Studiengebühren als die Universitäten der zweiten und dritten Reihe.
Auch könnten die gefragtesten Hochschulen jeglichen Rückgang an internationalen Bewerbern wohl leicht mit einheimischen Studierenden ausgleichen. Aufgrund des geringeren Tarifs hätten sie dann zwar immer noch Mindereinnahmen, aber zumindest wäre ihr Verlust minimiert.
Verteilungskampf zwischen den Universitäten
Das renommierte Massachusetts Institute of Technology (MIT) etwa erwartet keinen Rückgang der Studierendenzahl. Stu Schmill, Leiter des Immatrikulationsbüros, weist außerdem darauf hin, dass beim MIT viele ausländische Studenten hohe finanzielle Hilfen bekommen, weil die finanzielle Situation der Bewerber bei der Auswahl keine Rolle spiele. „Wir geben mehr dafür aus, die Studenten auszubilden, als wir von ihnen einnehmen“, sagt er. „Und das trifft bei den internationalen Studenten besonders zu.“
Wenn die wohlhabenden Top-Hochschulen mehr einheimische Studenten aufsaugen, verstärkt sich der Verteilungskampf zwischen den Unis im Land. Der Studentenmangel würde also von Harvard und Oxford nur weitergereicht – an die weniger prestigeträchtigen und ärmeren staatlichen Unis.
„Die Mehrheit der Gebührenverluste wird bei den öffentlichen Universitäten zu Buche schlagen“, schreibt Dick Startz, Wirtschaftsprofessor der University of California in Santa Barbara, in einem Blog für die Denkfabrik Brookings. Er fordert deshalb staatliche Unterstützung für den Sektor.
Auch der britische Branchenverband Universities UK appelliert an die Regierung, die staatlichen Forschungsgelder aufzustocken, um Gebührenverluste zu kompensieren. Wenn die Regierung nicht tätig werde, würden einige Universitäten die Krise nicht überleben, warnt Verbandschef Alistair Jarvis.
Tatsächlich stellt schon das laufende akademische Jahr die Universitäten vor eine schwerwiegende finanzielle Frage: Dürfen Studenten einen Teil ihrer Studiengebühren zurückfordern, nachdem sie Mitte März nach Hause geschickt wurden und nur noch online unterrichtet werden?
Die meisten Colleges werden wohl die Zahlungen für Wohnheim und Essen zurückerstatten, aber nicht die Gebühren für das Studium an sich.
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