Indien Protestaktion auf der Autobahn: Widerstand gegen Premier Modi

Kritiker sehen das Gesetz als Verstoß gegen die säkulare Verfassung Indiens an, weil es Rechte an die Religion bindet.
Delhi Das Gesicht des Widerstandes gegen Indiens Premierminister Narendra Modi gehört in Delhi einer alten Dame. Sie heißt Bilkis und ist bereits 82. Sie hat tiefe Falten rund um den Mund und schon länger keine Zähne mehr. Seit Wochen lebt die mehrfache Großmutter aus Protest auf der Straße – in einem provisorischen Camp, das Aktivisten auf einer Stadtautobahn errichtet haben.
Seit Mitte Dezember ist die wichtige Verkehrsader von Regierungsgegnern rund um die Uhr blockiert. Rund um das Camp sind Fotos und Zeichnungen von Bilkis, die wie viele Inder keinen Nachnamen hat, auf Protestplakaten zu sehen. Sie wurde hier zur Ikone, weil sie mit markigen Sprüchen nicht zurückhält. „Ich habe in meinem Leben schon viele Premierminister erlebt“, sagt sie. „Aber so miserabel wie Modi war noch keiner.“
Die Protestaktion im Stadtteil Shaheen Bagh ist der bisher längste Aufstand gegen Modis Regierung – und auch einer der auffälligsten, weil er für viele Pendler in der Metropole zu teils stundenlangen Umwegen führt. Vor der wichtigen Regionalwahl in Delhi, die an diesem Samstag stattfindet, ist die Kundgebung zum zentralen Wahlkampfthema geworden.
Sie startete aus Protest gegen das umstrittene neue Staatsbürgerschaftsrecht von Modis hindu-nationalistischer Regierung, in dem Kritiker eine Diskriminierung von Muslimen sehen. Inzwischen ist es aber auch zunehmend der Ärger über die wirtschaftliche Bilanz des Premierministers, der seine Gegner auf die Straße treibt.
Es vor allem Frauen wie Bilkis, die den Protest in Delhi rund um die Uhr aufrechterhalten. Sie haben sich auf der zur Fußgängerzone umfunktionierten Autobahn ein kleines Lager errichtet. Plastikplanen schützen hier vor dem Regen, ein paar Decken vor der Winterkälte. Aus einem Lautsprecher kommen Musik und Parolen. „Wir unterstützen uns hier gegenseitig und haben kein Problem damit, hier noch lange auszuharren“, sagt Bilkis.
Streitpunkt Staatsbürgerschaftsrecht
Immer wieder treten Demonstranten an sie heran, die mit ihr ein Foto schießen wollen. Tausende Menschen haben sich dem Protest der Damen angeschlossen, auch viele Männer. An Wochenenden ist es so voll, dass man sich kaum noch über die Fahrbahn bewegen kann.
Kernforderung der Demonstranten ist die Rücknahme des Staatsbürgerschaftsrechts, das in den vergangenen Wochen landesweit für teils gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Regierungsgegnern und staatlichen Einsatzkräften gesorgt hat. Es soll die Einbürgerung von Hindus, Sikhs, Buddhisten und Christen aus Nachbarländern erleichtern, schließt aber Muslime aus. Kritiker sehen das nicht nur als Verstoß gegen Indiens säkulare Verfassung.
Sie fürchten auch, dass das Gesetz eine Vorstufe ist, um in Indien lebende Muslime staatenlos zu machen. Geschehen ist das de facto bereits im Bundesstaat Assam, wo sich die Behörden weigerten zwei Millionen Menschen – vorwiegend Muslime – in ein neues Staatsbürgerschaftsregister aufzunehmen.
„Wir sind wütend und wir haben Angst“, sagt eine 47 Jahre alte Frau, die sich als Sultana vorstellt, kurz vor dem Freitagsgebet. Mit der Blockade wolle sie aber auch die Botschaft an die Regierung senden, wie schlecht es Teilen der Bevölkerung angesichts der wirtschaftlichen Flaute in dem Land inzwischen gehe. „Es wird immer schwerer, Jobs zu finden, gleichzeitig steigen die Lebensmittelpreise“, sagt sie. „Es gibt immer mehr Familien, die sich keine zwei Mahlzeiten am Tag mehr leisten können.“
Indiens Wirtschaftswachstum ist zuletzt auf den niedrigsten Stand seit elf Jahren eingebrochen. Die Arbeitslosenrate war im vergangenen Jahr so hoch wie seit mehr als vier Jahrzehnten nicht mehr. Modis Gegner geben dem Premierminister die Verantwortung für den Abwärtstrend. Sie werfen ihm vor, unter anderem mit einer chaotischen Bargeldreform und der überstürzten Einführung einer landesweiten Mehrwertsteuer den Einbruch mitverursacht zu haben.
Modis Partei polarisiert
Im Protestlager in Shaheen Bagh machen die Aktivisten gleich am Eingang auf ihre wirtschaftlichen Sorgen aufmerksam. Sie haben dort eine mehrere Meter hohe weiße Tafel mit der Überschrift „Unemployment Mirror of India“ angebracht. Wer keinen Job findet, soll hier seinen Lebenslauf aufkleben – um die persönlichen Auswirkungen der Krise zu veranschaulichen. Ein Marketing-Experte hat sich hier verewigt, daneben ein Ingenieur und auch ein junger Mann mit einem MBA-Abschluss.
Für Modis Partei BJP spielten die Sorgen um die wirtschaftliche Entwicklung Indiens im Wahlkampf in der Hauptstadtregion in den vergangenen Wochen aber höchstens eine untergeordnete Rolle. Vor der Wahl an diesem Samstag fielen die Parteifreunde Modis vor allem mit Stimmungsmache gegen ihre Kritiker auf: „Diese Leute werden in eure Häuser einbrechen und eure Schwestern und Mütter vergewaltigen“, sagte ein BJP-Abgeordneter über die Protestbewegung in Shaheen Bagh. Ein Ministerpräsident aus Modis Partei sprach mit Blick auf die Demonstranten von Terroristen, die sich gegen Indien wenden.
Meinungsumfragen zufolge könnten die polarisierenden Botschaften aus Modis Partei bei der Delhi-Wahl durchaus helfen, zusätzliche Mandate zu erringen. Erwartet wird aber, dass die Regionalpartei AAP wieder stärkste Kraft wird. Sie positioniert sich in Delhi vor allem mit vergleichsweise unideologischer Politik.
Im Zentrum stehen bessere Bildungs- und Gesundheitsangebote. Die BJP verspricht unterdessen, das Protestlager in Shaheen Bagh im Fall eines Wahlsiegs räumen zu lassen. Die Frauen, die zum Teil seit Mitte Dezember dort sind, haben aber nicht vor zu weichen. Aktivistin Sultana sagt: „Wir bleiben hier, bis Modi uns endlich zuhört.“
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