Inflation und Arbeitermangel Britische Wirtschaft sieht anhaltende Wirtschaftsprobleme – Heftiger Streit über Ursachen

Der Arbeitskräftemangel führt zu Verzögerungen und Produktionsstopps in unzähligen Branchen.
London Die Lieferkettenprobleme und der Arbeitskräftemangel in Großbritannien werden wohl noch mindestens bis ins Jahr 2023 andauern. 73 Prozent der britischen Unternehmen erwarten, dass die Lage in einem Jahr ähnlich angespannt sein wird wie heute. Das ergab eine Umfrage der Beratungsfirma Deloitte unter 92 Finanzvorständen britischer Firmen.
Die britische Wirtschaft leidet in besonderem Maße unter den Engpässen. Zu den globalen Lieferproblemen nach der Coronapandemie kommen die schädlichen Folgen des Brexits. Nach dem Ende der Freizügigkeit fehlen unter anderem Lastwagenfahrer, Schlachter, Lagerarbeiter, Technikerinnen und Pflegekräfte.
Mehr als eine Million Stellen im Land sind unbesetzt. Dies führt zu Verzögerungen und Produktionsstopps in unzähligen Branchen. Zuletzt wurden sogar Containerschiffe vom britischen Hafen Felixstowe in andere europäische Häfen umgeleitet, weil die Fahrer fehlten, um die Ladung der Schiffe zu verteilen.
Der Umfrage unter Finanzvorständen zufolge hatte mehr als die Hälfte der Unternehmen im dritten Quartal mit Lieferkettenproblemen zu kämpfen. Ein Viertel der befragten Vorstände gab an, diese seien erheblich oder schwer gewesen. Trotzdem setzten die Unternehmen weiter auf Investitionen und Wachstum, sagte Deloitte-Chefvolkswirt Ian Stewart.
Auch deutsche Firmen in Großbritannien erwarten, dass die britische Wirtschaft noch mindestens neun Monate braucht, um sich von der Krise zu erholen. Das ergab die Herbstumfrage der Deutsch-Britischen Handelskammer. „Die Engpässe werden in Teilen sicher noch bis 2023 anhalten“, sagt Kammerchef Ulrich Hoppe. Der Arbeitskräftemangel werde bleiben. „Die Ausbildung von Fachkräften ist eine Generationenfrage“, sagt Hoppe. „Das geht nicht innerhalb von wenigen Jahren.“
Heftiger Streit über die Ursachen
Über die Ursachen der Engpässe ist ein heftiger Streit zwischen den Wirtschaftsverbänden und der Regierung von Premier Boris Johnson ausgebrochen. Während die Unternehmen mehr Einwanderung fordern, um den Personalmangel zu beheben, lehnt die Regierung Visa-Erleichterungen ab.
Johnson wirft der Wirtschaft vor, sich von Billiglöhnern abhängig gemacht zu haben, und empfiehlt, höhere Löhne zu zahlen und einheimische Arbeitskräfte besser auszubilden. Dies schafft jedoch kurzfristig keine Abhilfe.
Die Unzufriedenheit in der Wirtschaft über die konservative Regierung ist daher groß. In den Unternehmen gebe es das Gefühl, dass die Regierung die Wirtschaft als Feind sehe, sagte der Chef des Industrieverbands Make UK, Stephen Phipson.
Der Chef der Road Haulage Association, dem britischen Gütertransportverband, Richard Burnett, wird Berichten zufolge nicht einmal mehr zu Treffen in der Downing Street eingeladen, weil er die Regierung zu häufig offen kritisiert.

Unternehmensverbände setzen Hoffnung in die Haushaltsvorlage von Finanzminister Rishi Sunak.
Unternehmensverbände setzen nun Hoffnung in die Haushaltsvorlage von Finanzminister Rishi Sunak kommende Woche. Unter anderem solle Sunak mehr Investitionsanreize für digitale und nachhaltige Transformationsprojekte setzen, forderte Make UK.
Frühere Zinswende wegen steigender Inflation erwartet
Die steigenden Löhne und Energiepreise treiben die Inflation. Die Teuerungsrate im August lag bei 3,2 Prozent. Bis Jahresende wird sie Prognosen zufolge vier Prozent übersteigen – doppelt so viel wie der langfristige Zielwert der Bank of England. An den Finanzmärkten wird daher inzwischen erwartet, dass die Notenbank noch in diesem Jahr die Zinswende einleitet. Der Leitzins liegt seit vergangenem Jahr bei 0,1 Prozent.
Notenbankchef Andrew Bailey bekräftigte am Wochenende, dass man handeln müsse. Er hält an seiner Einschätzung fest, dass die Inflation ein vorübergehendes Problem sei. Doch erwartet er nun, dass sie aufgrund der hohen Energiepreise länger auf hohem Niveau bleibt. Nach seinen Äußerungen preisen die Märkte nun eine Zinserhöhung auf 0,25 Prozent bereits für die nächste Sitzung des geldpolitischen Ausschusses Anfang November ein.
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