„Ich erwarte einen zusätzlichen Impf-Ruck in der Gesellschaft, weil wir nun auch Kindern deutlich mehr Schutz und Sicherheit durch eine Impfung bieten können“, fügte er hinzu. Ab dem 20. Dezember stehen Deutschland laut Bundesgesundheitsministerium 2,4 Millionen Impfdosen des Mittels zur Verfügung.
Bis dahin solle die Ständige Impfkommission (Stiko) allerdings auf keinen Fall warten. „Die Daten, auf die die Stiko zurückgreift, sind da – darauf haben auch die Experten in den USA und in Israel zurückgegriffen“, sagte Lucha. „Ich denke deshalb, dass die Stiko-Entscheidung zeitnah fallen sollte. Wir müssen jetzt die deutliche Botschaft senden, dass die Kinderimpfung einen wirksamen Schutz bringt. Darauf werden wir unsere Kampagne aufbauen.“
Tempo forderte Lucha auch von der möglichen Ampelregierung mit einer Impfpflicht. „Ich persönlich gehöre gar zu denen, die eine berufsbezogene Impfpflicht sogar überspringen möchte“, sagte er. „Viele Beschäftigte in der Pflege sagen mir, dass sie die berufsbezogene Impfpflicht als diskriminierend empfinden – und fordern, diese schnell und konsequent auf die Allgemeinheit auszuweiten.“
Lesen Sie hier das ganze Interview:
Herr Lucha, mehr als 100.000 Menschen sind in Deutschland an einer Coronainfektion gestorben, die Zahlen steigen. Wie konnte es dazu kommen?
Die Impfquote reicht leider derzeit nicht aus, um die vierte Welle zu brechen. Es gibt auf den Intensivstationen überwiegend Ungeimpfte – also Menschen, die dort nicht liegen müssten. Impfen, impfen, impfen, das ist der Weg aus der Pandemie.
Diese Erkenntnis gibt es seit Beginn der Coronakrise, sie zündet aber offenbar nicht.
Bis in den September hinein mussten wir Impfstoff vernichten, weil die Angebote von den Bürgerinnen und Bürgern nicht wahrgenommen wurden. In den Impfzentren herrschte gähnende Leere. Durch die beschlossenen Verschärfungen – insbesondere für Ungeimpfte – entscheiden sich nun wieder deutlich mehr für eine Impfung. Allein unsere mobilen Impfteams und die niedergelassenen Ärzte haben am Mittwoch landesweit knapp 88.000 Menschen geimpft.
Auch die Auffrischimpfungen sind nur schleppend in den Bundesländern angelaufen. Warum?
Die Wissenschaft – etwa Professor Christian Drosten – hat uns noch im Sommer gesagt, dass im Herbst noch keine flächendeckenden Boosterimpfungen nötig seien. Erst im Oktober haben uns Studien aus Israel das Gegenteil nahegelegt. In Baden-Württemberg haben wir sehr frühzeitig Angebote für die Auffrischimpfung gemacht. Eine Lehre aus der Pandemie ist offensichtlich, dass die viel beschworene Selbstverantwortung der Bürgerinnen und Bürger manchmal eben doch stärkere und strengere äußere Regeln braucht. Das ist für einen auf Freiheit basierenden Staat eine nicht ganz einfache, aber leider notwendige Erkenntnis.
Die EU-Arzneimittelbehörde hat Impfstoff von Biontech für Kinder genehmigt. Was muss geschehen, dass zumindest diese Altersgruppe schnell und effizient geimpft wird?
Ich erwarte durch die Zulassung einen zusätzlichen Impfruck in der Gesellschaft, weil wir nun auch Kindern deutlich mehr Schutz und Sicherheit durch eine Impfung bieten können. In Baden-Württemberg gründen wir noch in dieser Woche ein Bündnis Kinder-Impfen. Damit werden wir bis zur Auslieferung des Impfstoffs am 20. Dezember mit allen zur Verfügung stehenden Kräften in der Lage sein, tatsächlich möglichst viele Kinder schnell zu impfen. Wir binden die Kinder- und Jugendärzte ein, außerdem greifen wir auf die bestehenden Strukturen aus Impfteams, Impfstützpunkten und Hausärzten zurück. Ich möchte mit der Kinderimpfung auch nicht bis Neujahr warten, sondern sofort loslegen, wenn der Impfstoff da ist.
Wünschen Sie sich Tempo von der Stiko, den Impfstoff bis spätestens zum 20. Dezember zu empfehlen?
Ja. Die Stiko sollte nicht bis zum 20. Dezember mit einer Entscheidung warten. Es ist ja nicht so, dass die Daten für eine solche Entscheidung nicht vorliegen. Die Daten, auf die die Stiko zurückgreift, sind da – darauf haben auch die Experten in den USA und in Israel zurückgegriffen. Ich denke deshalb, dass die Stiko-Entscheidung zeitnah fallen sollte. Wir müssen jetzt die deutliche Botschaft senden, dass die Kinderimpfung einen wirksamen Schutz bringt. Darauf werden wir unsere Kampagne aufbauen.
Der von der Ampel angekündigte Bund-Länder-Krisenstab soll sich zehn Tage Zeit lassen, um über schärfere Maßnahmen zu entscheiden. Halten Sie es für vertretbar, so lange zu warten?
Es wird nicht gewartet. Wir stehen im ständigen Austausch mit den Fachpolitikern in Berlin und speisen unsere Anliegen täglich in die sich bildende Ampelregierung ein. Baden-Württemberg hat am Mittwoch de facto einen Lockdown für Ungeimpfte beschlossen. Reichen die Maßnahmen nicht aus, können wir sie noch bis zum 15. Dezember weiter verschärfen, danach erlaubt uns das neue Infektionsschutzgesetz das nicht mehr.
Und dann?
Wir müssen dann sehen, ob es uns gelingt, die vierte Welle brechen und den Trend der steigenden Infektionszahlen abflachen zu können. Ich hoffe, dass wir schon in zwei Wochen einen Effekt unserer restriktiven Maßnahmen auf das Infektionsgeschehen und damit indirekt auch auf die Lage in den Krankenhäusern sehen werden. Wenn dieser Effekt nicht groß genug ist, um eine Trendwende bis Jahresende einzuleiten, braucht es meiner Meinung nach eine gesetzliche Neubewertung des Infektionsschutzgesetzes. Dann gilt es zu beurteilen, ob schärfere Maßnahmen nicht doch weiterhin nötig sind.
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Und können Sie Maßnahmen wie etwa einen Lockdown von Geschäften oder gar Schulen ausschließen?
In einer Pandemie ist nichts auszuschließen. Aber wir haben ein klares Ziel, dass wir diese Maßnahmen vermeiden wollen. Wir können bis zum 15. Dezember die Trendumkehr einleiten. Um das geht es.
Die Ampelkoalition möchte sich auch mit der berufsbezogenen Impfpflicht bis Dezember Zeit lassen. Was spricht dagegen, sie sofort umzusetzen?
Bei der berufsbezogenen Impfpflicht wünsche ich mir von der sich bildenden Ampelregierung tatsächlich mehr Tempo. Ich persönlich gehöre zu denen, die eine berufsbezogene Impfpflicht sogar überspringen möchten. Viele Beschäftigte in der Pflege sagen mir, dass sie die berufsbezogene Impfpflicht als diskriminierend empfinden – und fordern, diese schnell und konsequent auf die Allgemeinheit auszuweiten. Ich bin froh, dass diese Debatte jetzt geführt wird.
Was erhoffen Sie sich da von der Ampel, vor allem von der FDP?
Ich höre auch aus der FDP Stimmen, die offen für eine solche Maßnahme sind. Und ich halte es nun für die Aufgabe des designierten Kanzlers Olaf Scholz, die FDP bei dieser schwierigen Frage mit ins Boot zu holen. Ich hoffe, hier lassen sich die Liberalen noch überzeugen.
Herr Lucha, vielen Dank für das Interview.
Mehr: Ist eine Impfpflicht rechtlich zulässig?
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