Interview Frankreichs Digitalminister Cédric O zur Förderung von Start-ups: „Wir brauchen europäische Champions“

„Wenn wir unser wirtschaftliches Überleben sichern wollen, brauchen wir technologische Schwergewichte.“
Paris Die französische Regierung will nach der Coronakrise mithilfe der Start-up-Szene einen neuen Wirtschaftsboom erreichen. „Wir denken, dass die Zukunft der französischen Wirtschaft sehr eng mit der Technologiebranche verbunden ist“, sagte Frankreichs Digitalminister Cédric O dem Handelsblatt. „Wenn wir unser wirtschaftliches Überleben und den Fortbestand unseres Sozialmodells sichern wollen, brauchen wir technologische Schwergewichte, die sich mit den großen amerikanischen Konzernen messen können.“
O hob die Rolle des Staates hervor, der ein erfolgreiches Umfeld für die Gründung neuer Digitalfirmen schaffen müsse. „Es geht darum, den französischen und europäischen Unternehmerinnen und Unternehmern die bestmöglichen Bedingungen zu bieten, damit sie es mit ihren amerikanischen Wettbewerbern aufnehmen können“, sagte er. Für ganz Europa laute die Herausforderung, in den kommenden Jahren digitale Champions „mit einer Marktbewertung von 20, 50 oder 100 Milliarden Euro“ zu schaffen.
Lesen Sie hier das komplette Interview:
Herr Minister, die französischen Start-ups blicken auf ein Halbjahr mit Rekordinvestitionen zurück. Was steckt hinter dem Aufschwung der Tech-Branche in Ihrem Land?
Dieser Bereich ist seit vielen Jahren eine Priorität der französischen Regierungen. Seit 2013 verfolgt die Politik durchgängig das Ziel, Investitionen in Start-ups zu fördern. In den vergangenen Jahren hat sich diese Entwicklung beschleunigt. Das hängt mit dem Bild zusammen, das ausländische Investoren von Präsident Emmanuel Macron haben. Und es liegt an den Reformen, die diese Regierung unternommen hat, insbesondere eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und eine Reform des Steuerrechts.
Der Staat hat es also gerichtet?
Die Rolle des Staates ist ganz wesentlich für die Entstehung des Ökosystems der französischen Tech-Branche. Allerdings meine ich damit nicht einen dirigistischen Staat, der in das Wirtschaftsgeschehen eingreift. Ich glaube stark an einen Staat, der das Umfeld dafür schafft, dass neue Unternehmen gegründet werden. Die politischen Reformen und die öffentlichen Investitionen über die staatliche Förderbank Bpifrance waren außerordentlich wichtig.
Das gilt ebenfalls für die Finanzierung der Grundlagenforschung. Wir haben auch die Einwanderungsverfahren geändert, damit Talente aus Technologieberufen ins Land kommen.
Ohne den Gründergeist von jungen Unternehmern geht es aber nicht.
Das stimmt. Wenn wir uns die Vereinigten Staaten anschauen: Auch dort sind es immer die Gründerinnen und Gründer, die eine Vision und Ambitionen haben und die es so schaffen, Technologiefirmen auf sehr hohem Niveau aufzubauen. Und ich glaube, hier kommt dem Staat eine Rolle zu: Es geht darum, den französischen und europäischen Unternehmerinnen und Unternehmern die bestmöglichen Bedingungen zu bieten, damit sie es mit ihren amerikanischen Wettbewerbern aufnehmen können.
Welchen Beitrag erhoffen Sie sich von den jungen Tech-Firmen, um die französische Wirtschaft nach der Coronakrise auf Wachstumskurs zu bringen?
Wir denken, dass die Zukunft der französischen Wirtschaft sehr eng mit der Technologiebranche verbunden ist. Momentan wird die digitale Welt von Unternehmen aus den USA und aus China dominiert. Die Herausforderung für Europa ist, dafür zu sorgen, dass in den europäischen Staaten Champions entstehen, die in diesen Kreis vorstoßen. Das gilt übrigens für alle Bereiche, die von der Digitalisierung betroffen sind: die Gesundheitswirtschaft, die Industrie, das Verkehrswesen.
Frankreich ist überzeugt: Wenn wir unser wirtschaftliches Überleben und den Fortbestand unseres Sozialmodells sichern wollen, brauchen wir technologische Schwergewichte, die sich mit den großen amerikanischen Konzernen messen können. Daher ist die gegenwärtige Dynamik im französischen Tech-Sektor auch so wichtig.
Profitiert von dieser Dynamik vor allem die Hauptstadtregion um Paris mit seiner Start-up-Szene?
Nein. Wir sehen heute, dass im ganzen Land in der Digitalwirtschaft viele Arbeitsplätze entstehen. Ich komme aus der Gegend von Lyon, die historisch stark von der Pharmabranche geprägt ist. Mittlerweile schaffen Technologiefirmen in dieser Region mehr Jobs, es entstehen sehr leistungsfähige neue Unternehmen. Wir erwarten, dass es in ganz Frankreich in den kommenden Jahren mehr als 200.000 neue Arbeitsplätze in der Technologiebranche geben wird. Neugründungen kommen übrigens auch aus dem produzierenden Gewerbe, industrielle Start-ups schaffen neue Standorte und gut bezahlte Arbeitsplätze im ganzen Land.
Die französische Regierung hatte sich bis 2025 das Ziel von 25 „Einhörnern“ gesetzt – also Start-ups mit einer Marktbewertung von mehr als einer Milliarde Euro. Derzeit sind es schon 18. Ist es an der Zeit, das Ziel zu erhöhen?
Ich denke, dieses Ziel wird sehr wahrscheinlich schon im kommenden Jahr erreicht werden, also drei Jahre früher als erhofft. Das Ziel muss jetzt sein, dass die neuen Technologiefirmen deutlich über den Status des „Einhorns“ hinausgehen. Das bedeutet, dass ein Start-up an der Börse in den französischen Leitindex CAC 40 kommt. Und dass wir uns dafür einsetzen, dass in Europa neue Technologieunternehmen mit einer Marktbewertung von 20, 50 oder 100 Milliarden Euro entstehen.
Mehr: So will Frankreich als „Start-up-Nation“ nach der Coronakrise einen neuen Wirtschaftsboom erreichen.
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