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Interview Nadia Calviño: „Es liegt auch im deutschen Interesse, dass Spanien stark wächst“

Spaniens Wirtschaftsministerin verteidigt die Transferzahlungen aus dem Wiederaufbaufonds und verspricht, die Regierung werde einen Strukturwandel umsetzen. Von Europa fordert sie mehr Emanzipation – auch gegenüber den USA.
09.07.2021 - 04:00 Uhr 1 Kommentar
„Wir wollen schon dieses Jahr bei der Schuldenquote die Trendwende einleiten“, sagt Spaniens Wirtschaftsministerin. Quelle: Europa Press/Getty Images
Nadia Calviño

„Wir wollen schon dieses Jahr bei der Schuldenquote die Trendwende einleiten“, sagt Spaniens Wirtschaftsministerin.

(Foto: Europa Press/Getty Images)

Madrid Die spanische Wirtschaftsministerin Nadia Calviño wehrt sich gegen den Verdacht, die Empfängerländer würden mit den EU-Hilfen Projekte finanzieren, die auch vor der Pandemie schon geplant waren. „Für Spanien bedeutet der Wiederaufbauplan einen Impuls, den wir ohne die EU-Fonds nicht gehabt hätten“, sagt sie.

In der Finanzkrise 2008 seien etwa die öffentlichen Investitionen eingebrochen und hätten sich nicht mehr erholt, so Calviño. Jetzt sei die Lage ganz anders: „Wir haben in der EU die richtigen Entscheidungen getroffen, und der deutsche Finanzminister Olaf Scholz hat dabei eine führende Rolle gespielt.“

Alle EU-Mitglieder wollten nun, dass die europäische Wirtschaft so schnell wie möglich wieder wachse. „So liegt es auch im Interesse von Deutschland, dass Spanien stark wächst“, sagt sie. Spanien, dessen Wirtschaft im vergangenen Jahr um 10,8 Prozent eingebrochen ist, erhält 70 Milliarden Euro allein an nicht rückzahlbaren Transferzahlungen von der EU und damit mehr als jedes andere Land.

International fordert sie von Europa mehr Emanzipation – auch von den USA. Die sollten zwar der wichtigste wirtschaftliche und strategische Partner Europas bleiben. „Die jüngsten Erfahrungen haben uns aber auch gelehrt, dass wir die strategische Autonomie der EU stärken müssen“, sagt Spaniens Wirtschaftsministerin. „Es darf nicht sein, dass ein Regierungswechsel in den USA uns noch einmal so verwundbar macht. Zudem hat uns die Pandemie gezeigt, wie wichtig es ist, bei den Lieferketten nicht von anderen großen internationalen Spielern abhängig zu sein. Das haben wir zuerst bei den Masken gesehen, dann bei den Impfstoffen und jetzt bei den Chips.“

Lesen Sie hier das Interview im Wortlaut:

Frau Ministerin, Spanien erhält an reinen Transferzahlungen aus den EU-Fonds mehr Mittel als alle anderen Staaten. Im Rest Europas wächst der Verdacht, die Empfängerländer nutzen das Geld, um ohnehin lange geplanten Projekten das Etikett des Wiederaufbaus zu geben. Was entgegnen Sie dieser Kritik?
Zunächst einmal haben wir jetzt die historische Gelegenheit, einen tief greifenden Strukturwandel umzusetzen. Wir haben ein Zeitfenster, um die notwendigen Investitionen und Reformen durchzuführen, und das müssen wir nutzen. Deshalb wollen wir den Großteil der 70 Milliarden an Transferzahlungen in den ersten drei Jahren investieren und auch die Reformen bis 2023 beschleunigen.

Warum sollten ausgerechnet die Milliardentransfers das leisten, was in der vergangenen Dekade misslungen ist: endlich nachhaltiges Wachstum zu schaffen?
Für Spanien bedeutet der Wiederaufbauplan einen großen Impuls. Spanien hat seit der Finanzkrise von 2008 ein Defizit bei Investitionen. Staatliche Investitionen sind von vier bis fünf Prozent im Jahr 2008 auf zwei Prozent gesunken und haben sich seitdem nicht wieder erholt. Die öffentlich-privaten Investitionen in Forschung und Entwicklung sind mit 1,2 Prozent der Wirtschaftsleistung nur halb so hoch wie der europäische Durchschnitt.

Investitionen sind eine Sache, aber entscheidend für das langfristige Wachstum sind Strukturreformen. Bei der so wichtigen Arbeitsmarktreform geht nichts voran, auch bei der Rentenreform steht der entscheidende Teil noch aus. Macht die spanische Regierung es sich nicht zu leicht?
Diese beiden Reformen ziehen die meiste öffentliche Aufmerksamkeit auf sich. Aber unser Plan enthält auch andere Reformen, etwa im Bereich Bildung oder Verwaltung, die eine ebenso wichtige strukturelle Auswirkung haben können. Die Reformen, besonders die langfristigen, müssen auf der Grundlage eines breiten gesellschaftlichen und politischen Konsenses getroffen werden. Das Parlament ist fragmentiert.

Eines der größten Probleme Spaniens ist die chronisch hohe Arbeitslosigkeit. Jetzt will Koalitionspartner Unidas Podemos sogar die Arbeitsmarktreform von 2012 rückgängig machen, die Unternehmen mehr Flexibilität bei Arbeitszeiten und Gehältern gegeben hat. Das sorgt nicht eben für Vertrauen in Brüssel ...
Wir haben einen Reformvorschlag nach Brüssel geschickt, über den wir im zweiten Halbjahr mit den Sozialpartnern verhandeln, welcher verschiedene Änderungen beinhaltet, um die Probleme, mit denen der spanische Arbeitsmarkt seit Jahrzehnten zu kämpfen hat, anzugehen. Die expansive Phase der Wirtschaft hat in Spanien schon begonnen, und es ist entscheidend, dass der neue Rechtsrahmen bis zum Ende des Jahres genehmigt wird, damit die Unternehmen qualitativ hochwertige Jobs schaffen können.

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Was genau soll den wichtigsten Schub für das hohe Wachstum liefern, das die Regierung in diesem Jahr bei 6,5 Prozent beziffert?
Alle Institute gehen davon aus, dass Spanien einer der Motoren für das Wachstum in Europa sein wird und 2021 ebenso wie 2022 eine der höchsten Wachstumsraten aller entwickelten Wirtschaftsnationen aufweist. Alle Indikatoren zeigen, dass die Erholung bereits begonnen hat. Wir wollen die EU-Fonds so nutzen, dass es sich nicht nur um einen temporären Rebound-Effekt handelt, sondern um eine nachhaltige Erholung. Die grüne Wirtschaft und die Digitalisierung sind zwei sehr wichtige Elemente, um die Produktivität und das künftige Wachstum zu stärken.

Entscheidend für die Erholung wird der Tourismus sein. Die deutschen Touristen können wieder kommen, aber von den Briten fordert Spanien wegen der Delta-Variante nun einen PCR-Test. Sie sind die größte Besuchergruppe Spaniens. Gefährdet ihr Wegbleiben die Erholung des Tourismus und das Wachstumsziel?
Wir müssen dafür sorgen, dass der Tourismus sich erholt, aber das muss auf eine sichere Art passieren. Der digitale Impfpass wird dabei helfen. Wir gehen davon aus, dass die Umsätze im Tourismus in diesem Jahr rund halb so hoch sein werden wie 2019.

Ein weiteres großes Problem ist die hohe Staatsverschuldung, die 2020 von 95 auf 120 Prozent der Wirtschaftsleistung gestiegen ist. Haben Sie keine Sorge, dass die Finanzmärkte das Vertrauen verlieren?
Wir wollen schon dieses Jahr bei der Schuldenquote die Trendwende einleiten. Derzeit haben wir aber auch gute Finanzierungsbedingungen: Unsere Schulden haben eine durchschnittliche Laufzeit von acht Jahren, und die Zinslast liegt bei rund zwei Prozent. Die Nachhaltigkeit wurde mittelfristig und langfristig gestärkt.

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Reicht es aus, für die Schulden-Reduzierung allein auf ein höheres Wachstum zu setzen?
Wir wollen auch das Haushaltsdefizit schon in diesem Jahr von elf auf 8,4 Prozent senken. Anders als andere europäische Länder haben wir einen Plan für die Reduzierung des Defizits erarbeitet: Bis 2024 soll es auf rund drei Prozent sinken. Das wollen wir mit einer verantwortungsvollen Fiskalpolitik erreichen.

Schulden gelten dann als tragfähig, wenn die Kosten der Zinslast niedriger sind als das Wachstum. Die EZB könnte sich gezwungen sehen, wegen der steigenden Inflation - in Spanien waren es zuletzt 2,6 Prozent - die Zinswende einzuleiten. Bereitet Ihnen das keine Sorgen?
Darüber reden wir ständig mit der spanischen und auch mit der Europäischen Zentralbank. Und alle sind sich einig, dass es sich bei der Inflation um ein vorübergehendes Phänomen handelt. Die Kerninflation, also ohne Lebensmittel und Energie, deutet nicht darauf hin, dass die Inflation langfristig steigen wird.

Zurück zum Wiederaufbaufonds: Der deutsche Finanzminister sieht in der Tatsache, dass die EU-Kommission erstmals im großen Umfang eigene Schulden aufnimmt, einen „Hamilton-Moment“. Skeptiker sagen, das sei der endgültige Schritt in die Transferunion und werde Europa am Ende noch mehr spalten. Wie sehen Sie das?
Dass wir uns zum ersten Mal gemeinsam verschulden, um in unser aller Zukunft zu investieren, ist ohne Frage ein wichtiger Fortschritt. Er zeigt, dass Europa anders als in vergangenen Krisen richtig auf die Pandemie reagiert. Wir sitzen alle im gleichen Boot und wollen, dass Europa so schnell und nachhaltig wie möglich wächst. So liegt es auch im Interesse von Deutschland, dass Spanien stark wächst. Ohne die EU-Gelder wäre das Risiko sehr groß, dass die Investitionen als Folge der Pandemie sinken und das zu strukturellen Schäden, niedrigerer Produktivität und sinkendem zukünftigem Wohlstand führt.

Halten Sie es für möglich, dass der Wiederaufbaufonds ein Dauerinstrument wird?
Jetzt ist nicht die Zeit für solche Debatten. Wir haben in der EU die richtigen Entscheidungen getroffen, und der deutsche Finanzminister Olaf Scholz hat dabei eine führende Rolle gespielt. Die Maßnahmen, die seit dem vergangenen März ergriffen wurden, waren entscheidend, um Jobs, Unternehmen und Einkommen der Familien zu sichern und heute eine gute Basis für die Erholung zu haben. Jetzt ist die Priorität, so schnell und effizient wie möglich die Wiederaufbaupläne umzusetzen, und nicht, über mittelfristige Lösungen nachzudenken.

Bisher hat Spanien nur 39 Prozent der EU-Strukturfonds in der dafür geplanten Zeit ausgegeben. Wie wollen Sie sicherstellen, dass diese riesige Summe für den Wiederaufbau innerhalb von drei Jahren investiert wird?
Bei der Umsetzung der europäischen Fonds in den letzten Jahren war Spanien langsam, hat aber am Ende immer zu 100 Prozent die EU-Fonds gut genutzt. Wenn man heute durch unser Land fährt, sieht man an der extrem gut ausgebauten Infrastruktur, dass Spanien ein Beispiel für die erfolgreiche Nutzung der europäischen Hilfen ist. An dem Wiederaufbauplan muss man berücksichtigen, dass es sich hier um einen nationalen Plan mit projektbezogenem Ansatz handelt und die Projekte nicht auf die Regionen verteilt sind. Außerdem haben wir, um Investitionen zu beschleunigen, eine Sonderregelung zur Beseitigung rein bürokratischer Engpässe verabschiedet und planen die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung.

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In Spanien haben sich noch in der Pandemie zwei Banken zusammengeschlossen. Halten Sie weitere Fusionen für nötig?
Der spanische Finanzsektor hat sich seit zehn Jahren ständig geändert und ist derzeit dabei, sich der wachsenden Konkurrenz durch neue Wettbewerber anzupassen und eine Vorreiterrolle bei der Digitalisierung zu spielen. Wir versuchen, die Entwicklung zu unterstützen – die spanische Sandbox, mit der Fintechs neue Geschäftsmodelle testen können, hat nach Großbritannien die meisten Projekte in Europa. Es finden auch Fusionen zwischen Unternehmen statt. Mich überrascht es, dass es keine ähnlichen Restrukturierungsprojekte in anderen europäischen Ländern gibt. Es ist wünschenswert, dass diese Prozesse ebenso wie mögliche Fusionen grenzüberschreitend stattfinden sollen. Um das zu erleichtern, setzt sich Spanien stark für die Entwicklung der europäischen Bankenunion ein.

Sind denn in Spanien mehr Fusionen nötig?
Ich habe keine generelle Position zu Fusionen per se. Jeder Fall muss einzeln analysiert werden. Sie sind nur sinnvoll, wenn sie die finanzielle Stabilität und die Möglichkeit der Institute erhöhen, sich für die Zukunft zu stärken.

In Madrid gab es Gerüchte, Premier Pedro Sánchez wolle seine Regierung umbauen und Sie als Wirtschaftsministerin ersetzen. Was sagen Sie dazu?
Auf solche Gerüchte gebe ich nichts, weil ich in den drei Jahren in diesem Amt schon alles Mögliche gehört habe. Die Regierung konzentriert sich derzeit auf eine Antwort auf die Krise. Wir sind stolz darauf, dass die Impfungen so gut und schnell laufen. Ich glaube nicht, dass eine Umbildung des Kabinetts derzeit eine Priorität dieser Regierung ist.

Kommen wir zur Weltpolitik. US-Präsident Joe Biden fordert Europa auf, entschlossen seiner Anti-China-Allianz beizutreten. Deutschland betrachtet diese Entkoppelungspolitik mit großer Skepsis. Was ist die spanische Haltung?
Die USA sind ohne Zweifel der wichtigste wirtschaftliche und strategische Partner für Europa. Das sind sie seit dem Zweiten Weltkrieg, und ich glaube, das sollten sie auch künftig bleiben. Der Regierungswechsel mit Biden ist sehr positiv – das sehen wir etwa am geplanten Abkommen zur internationalen Mindestbesteuerung, die wir hoffentlich beim G20-Gipfel bestätigen werden.

Das heißt also, Europa sollte Biden auch in der China-Frage folgen?
Die jüngsten Erfahrungen haben uns gelehrt, dass wir in jeden Fall die strategische Autonomie der EU stärken müssen. Es darf nicht sein, dass ein Regierungswechsel in den USA uns noch einmal so verwundbar macht. Zudem hat uns die Pandemie gezeigt, wie wichtig es ist, bei den Lieferketten nicht von anderen großen internationalen Spielern abhängig zu sein. Das haben wir zuerst bei den Masken gesehen, dann bei den Impfstoffen und jetzt bei den Chips.

Die US-Regierung kritisiert das Investitionsabkommen, das die EU mit den Chinesen abgeschlossen hat. War es richtig, das kurz vor dem Amtsantritt Bidens zu machen?
Spanien hatte bis zur letzten Minute Zweifel, weil wir dachten, es müsse Sicherheiten enthalten etwa bei Investitionen in erneuerbare Energien. Am Ende ist ein Abkommen geschlossen worden, das wichtige Chancen für europäische Unternehmen bietet.

Mehr: Italiens Finanzminister: „Sollten eine vorzeitige Straffung der Fiskalpolitik in Europa vermeiden.“

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1 Kommentar zu "Interview : Nadia Calviño: „Es liegt auch im deutschen Interesse, dass Spanien stark wächst“"

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  • Da wir keine eigene Währung haben, profitiert das einfache Volk nicht mehr vom Export. Vom Export profitieren nur noch die Exportunternehmer, der Staatshaushalt (zum Teil) und zum Teil die dort Beschäftigten falls sie höhere Löhne erzielen als in der Region üblich sind.

    Daher sollten wir eine Exportsteuer einführen, um Exportunternehmen ins Ausland zu vergraulen. Das hört sich doof an, ist aber schlau. Schlauer jedenfalls als wenn die vermögensschwachen Deutschen ständig die Südstaaten retten müssen, weil unsere Exportunternehmen die Südstaaten ausbeuten bis aufs Blut.

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