Benachrichtigung aktivieren Dürfen wir Sie in Ihrem Browser über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts informieren? Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Fast geschafft Erlauben Sie handelsblatt.com Ihnen Benachrichtigungen zu schicken. Dies können Sie in der Meldung Ihres Browsers bestätigen.
Benachrichtigungen erfolgreich aktiviert Wir halten Sie ab sofort über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts auf dem Laufenden. Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Jetzt Aktivieren
Nein, danke

Interview Serbiens Präsident Aleksandar Vucic: „Wir können ohne die EU nicht überleben"

Kaum ein Land in Europa hat sich in der Corona-Pandemie so stark an China orientiert wie Serbien. Die Volksrepublik sei ein wichtiger Partner, sagt Vucic. Noch mehr setzt er nur auf Berlin und Brüssel.
21.07.2021 - 14:11 Uhr Kommentieren
Serbiens konservativer Präsident setzt auf Armin Laschet als nächsten Bundeskanzler. Quelle: AP
Aleksandar Vucic

Serbiens konservativer Präsident setzt auf Armin Laschet als nächsten Bundeskanzler.

(Foto: AP)

Düsseldorf, Berlin Präsident Aleksandar Vucic ließ sich selbst mit dem chinesischen Vakzin von Sinopharm impfen. Ab Ende dieses Jahres soll der Impfstoff in Serbien produziert werden – so wie der russische Impfstoff Sputnik V bereits jetzt. 

Für die Lieferung von Schutzmasken aus Peking bedankte sich Vucic im vergangenen Jahr, indem er die chinesische Flagge küsste – was in der Europäischen Union für Befremden sorgte. Andererseits hofft Serbien auf einen EU-Beitritt, und Deutschland ist der größte Investor und Handelspartner des Landes. 

China sei ein wichtiger Partner für das Balkanland und bestrebt, seine Präsenz weiter auszubauen, sagt Vucic im Interview. Aber die Priorität sei für Serbien eindeutig die EU: „Wir können ohne die Europäische Union nicht überleben.“ Das Land habe sich klar entschieden. Dennoch könne Serbien „mit China Gutes auf die Beine stellen“ – wie Deutschland auch. China ist unter anderem Finanzier einer Eisenbahnlinie in Serbien, aber auch Stahl- und Kupferwerke sind im Besitz chinesischer Investoren.

Wegen des anhaltenden Konflikts mit Ungarn und Polen zweifeln viele EU-Mitgliedstaaten eine baldige weitere Osterweiterung des Staatenbunds jedoch mittlerweile an. Der Widerstände ist sich Vucic bewusst. „Wir möchten eine faire Chance“, fordert er. 

Dabei hofft er auf die Unterstützung Deutschlands. Er glaube an die Worte Angela Merkels und setze bei ihrer Nachfolge auf Armin Laschet als nächsten Kanzler. „Er ist sehr klug, versteht die Lage auf dem Balkan und wird als neuer Kanzler Merkels Politik für diese Region sicherlich fortsetzen“, sagt der konservative Politiker.

Lesen Sie hier das ganze Interview:

Herr Vucic, Serbien war wegen chinesischer Impfstoffe zunächst Vorreiter beim Impfen in Europa. Inzwischen fällt das Land aber bei den Erstgeimpften zurück. Was ist passiert?
Wir haben frühzeitig Impfstoffe aus aller Welt beschafft. Das war wichtig. Global gesehen sind wir immer noch sehr gut. Wir haben immer noch so viel Impfstoff, dass wir Bürger aus EU-Ländern zum Impfen einladen. Aber es gibt bei uns, wie etwa auch in Deutschland, Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen – und das halte ich für ein Problem.

Vielleicht haben die Menschen Angst, weil Sie hauptsächlich chinesische und russische Impfstoffe nutzen?
Bei uns kann jeder aus fünf verschiedenen Impfstoffen frei wählen, welchen er möchte. Im Übrigen: Wir haben fünfmal so viel Impfstoff aus Deutschland von Biontech/Pfizer als russischen Sputnik verimpft. Die erste Lieferung von Biontech/Pfizer kam bereits im Dezember vergangenes Jahr, wir hatten als Erste einen bilateralen Liefervertrag über 1,7 Millionen Dosen.

Sie verimpfen Sinopharm und haben sich öffentlichkeitswirksam für Maskenlieferungen aus China bedankt. Die Hochgeschwindigkeitsstrecke nach Budapest bauen Sie mit chinesischem Geld. Wie wichtig ist China für Serbien?
China ist ein wichtiger Partner für uns. Als wir mit der Konsolidierung unserer Staatsfinanzen 2014 starteten, haben wir gute Konditionen von China für unsere Entwicklungsprojekte bekommen. Sehen Sie: In Ostserbien hatten wir auf Bitten der EU eine öffentliche Ausschreibung für eine Kupfermine gemacht. Sechs Monate lang bot nicht ein einziges europäisches Unternehmen dafür. Die Chinesen übernahmen sie. Unser Job, mein Job ist es doch, für unsere Leute zu sorgen.

Es gibt eine zunehmende Entfremdung zwischen der EU und China. Müssen Sie irgendwann wählen zwischen engen Verbindungen nach Peking oder zur EU, der Serbien beitreten möchte?
Ich sage es klar und deutlich: Für Serbien gibt es keine Alternative zur Europäischen Union. Wir wollen vollwertiges Mitglied der EU werden. Punkt! Uns verbindet die Geschichte, die gemeinsame Kultur, EU-Staaten sind mit sehr weitem Abstand schon jetzt unsere wichtigsten Partner. Schauen Sie: Das Handelsvolumen zwischen Deutschland und China ist 3000-mal größer als das zwischen Serbien und China. Und trotzdem werden Serbiens Chinageschäfte als Problem dargestellt.

Angela Merkel hätte die Kommunistische Partei Chinas nicht zum 100. Geburtstag in höchsten Tönen gelobt. Sie haben das getan.
Wir sind aber nicht Deutschland, sondern ein kleines Land,…

…das sich irgendwann zwischen der EU und China entscheiden muss?
Wir haben uns bereits entschieden: Unser Ziel ist und bleibt die EU. Unsere größten Investoren sind aus der EU. Auf die EU entfallen 67 Prozent unseres Handels. Plus 17 Prozent mit Ländern der Region, die alle auf dem EU-Pfad sind: Bosnien-Herzegowina, Nordmazedonien und all die anderen. Wir können ohne die Europäische Union nicht überleben. Aber können wir mit China Gutes auf die Beine stellen? Ja. Und das tun wir – wie etwa Deutschland auch.

Es gibt weltweit immer wieder Kritik an der Qualität der Seidenstraßenprojekte – Verschuldung, chinesische Arbeiter.
Die Qualität von Straßen oder Brücken, die wir mit China zusammen bauen, ist sehr gut. Wir geben demjenigen den Zuschlag, der uns das beste Angebot macht. Und deswegen sage ich den Europäern, die chinesische Projekte in unserem Land kritisieren: Bietet uns das Projekt für einen Euro mehr an, und wir schlagen ein.

Wo zum Beispiel?
Wir bauen mit 600 Millionen Euro EU-Hilfe eine Bahnstrecke nach Nordmazedonien. Das war besser als das Angebot von chinesischer Seite. Da haben wir sofort zugesagt. Über die von China finanzierte und gebaute Bahnstrecke nach Budapest mit 180 Kilometern auf serbischem Gebiet wird immer wieder gesprochen. Aber: Die Strecke mit der EU von Belgrad an die nordmazedonische Grenze, die ist doppelt so lang – und keiner spricht darüber. Es ist alles sehr politisch.

Sie begrüßen also die Pläne der EU und USA einer alternativen Seidenstraßeninitiative? Kommt das nicht zu spät?
Alles, was Vorteile für unsere Region bringt, unterstützen wir. Die Chinesen sind bestrebt, ihre Präsenz überall auszudehnen. Aber viele Prozesse im Westen laufen ehrlich gesagt reibungsloser und effizienter. Wir müssen noch viel vom Westen lernen. Aber wir holen auf. Die serbische Wirtschaft ist in achteinhalb Jahren um 52 Prozent gewachsen. Für die EU heißt das, dass wir ein starkes Mitglied sein können, ein Motor für die ganze Region.

Wie kommt es, dass Serbien sich wirtschaftlich besser entwickeln konnte als manch andere Balkanstaaten?
Wir haben Toparbeitskräfte, die Englisch sprechen. Unsere Gesellschaft und Verwaltung sind digitalisiert – die ersten Grundschüler lernen nun bereits Programmiersprachen. Wir haben die flexibelsten Arbeitsgesetze in ganz Europa, unsere Staatsfinanzen sind konsolidiert. Früher lag die Staatsverschuldung bei 78 Prozent der Wirtschaftsleistung. Wir haben sie auch durch starkes Wirtschaftswachstum auf 52 Prozent gesenkt. Wir können es uns finanziell leisten, Investoren Ansiedlungsanreize zu bieten, die das Wachstum weiter fördern.

Grafik

Hilft es Ihnen im Wettbewerb zu EU-Ländern wie Rumänien oder Bulgarien, dass Serbien nicht in der EU ist und höhere Ansiedlungsanreize bieten kann?
Wir bieten natürlich Investitionshilfen. Aber das Entwicklungszentrum von Continental kommt doch nicht nur wegen Subventionen. Das ist für deutsche Konzerne nicht entscheidend.

Sondern?
Nur Serbien hat in der Region das duale Ausbildungssystem zusammen mit Deutschland, der Schweiz und Österreich vor fünf, sechs Jahren gestartet. Jetzt sind Zehntausende Menschen in einer dualen Ausbildung – und die ausländischen Investoren schätzen das. Sie können zudem eng mit unseren Universitäten zusammenarbeiten.

Welche Rolle spielen Unternehmen aus Deutschland?
Deutschland ist mit Abstand unser wichtigster Handelspartner und größter Investor. Wir haben bei der Ansiedlung mit kleinen Textilfirmen aus der Türkei begonnen, jetzt sind es vor allem große deutsche Firmen, die sich in Serbien ansiedeln. Heute arbeiten 71.000 Menschen für deutsche Unternehmen in Serbien. Siemens, Bosch, ZF, MTU. Anfangs waren es eher arbeitsintensive Bereiche, die wegen geringerer Lohnkosten zu uns kamen, jetzt werden sie immer kapitalintensiver. In den vergangenen drei Jahren haben wir 60 Prozent aller Investitionen auf dem Balkan angezogen.

Wie wichtig ist die Aussicht auf eine EU-Mitgliedschaft für Investoren?
Sehr wichtig. Autozulieferer wie Nidec, Toyo Tires oder Mitsubishi aus Japan kommen auch zu uns, weil wir auf einem stabilen EU-Pfad sind.

Grafik

Aber glauben Sie wirklich, dass Serbien in absehbarer Zeit EU-Mitglied wird? Viele EU-Länder haben nach den Auseinandersetzungen mit Ungarn oder Polen doch keine Lust mehr auf eine größere Union.
Ich beschwere mich nicht. Sicher, hätten wir wie Bulgarien 45 Milliarden Euro an EU-Hilfen bekommen, wären wir natürlich wirtschaftlich schon viel weiter. Stattdessen haben wir 1,6 Milliarden Euro von der EU bekommen. Wir sind es gewohnt, uns unsere Erfolge selbst zu erarbeiten. In Kroatien zum Beispiel waren die Löhne früher 2,2-mal so hoch wie bei uns. Jetzt ist es noch das 1,7-Fache. Wir schließen diese Lücke aus eigener Kraft. Wenn wir ein Teil der Europäischen Union wären, würden wir nicht gleich nach den größten Subventionen fragen.

Sehen Sie Unterstützung in Deutschland für Serbiens EU-Mitgliedschaft?
Der serbische Weg folgt dem deutschen Weg nach Europa. Wir möchten eine faire Chance. Und ich glaube an die Worte von Angela Merkel. Sie ist am Ende ihrer Amtszeit, und ich muss sie nicht mehr loben. Aber sie hat uns Stabilität gegeben, Reisefreiheit mit der EU, hat uns in der Migrationskrise 2015 sehr geholfen und Minister Altmaier und andere gebeten, eng mit uns zu arbeiten. Sie ist eine große Kanzlerin und steht in der Tradition von Willy Brandt und Helmut Kohl, deren politische Leistung auch in Bezug auf die Einigung Europas ich sehr bewundere.

Haben Sie Hinweise, dass auch die neue Bundesregierung Serbien so unterstützt?
Da bin ich sehr sicher. Ich kenne Armin Laschet, habe mit ihm als Ministerpräsidenten von NRW gesprochen. Er ist sehr klug, versteht die Lage auf dem Balkan und wird als neuer Kanzler Merkels Politik für diese Region sicherlich fortsetzen.

„Wenn wir ein Teil der Europäischen Union wären, würden wir nicht gleich nach den größten Subventionen fragen“, sagt der serbische Präsident. Quelle: AP
Aleksandar Vucic und Ursula von der Leyen

„Wenn wir ein Teil der Europäischen Union wären, würden wir nicht gleich nach den größten Subventionen fragen“, sagt der serbische Präsident.

(Foto: AP)

Sollte sich der Beitritt zur EU einmal konkretisieren, haben Sie dann keine Sorge, dass Ihr traditioneller Partner Russland ähnlich reagieren würde wie im Fall der Ukraine?
Nein. Das ist eine souveräne serbische Entscheidung.

Genau so hat es die ukrainische Führung auch gesagt, und dann hat Russland die Krim annektiert.
Immer wenn ich Wladimir Putin getroffen habe, das war 18- oder 19-mal, habe ich ihm gesagt, dass wir sehr dankbar sind für die traditionell enge Freundschaft mit Russland, aber auch, dass Serbien klar auf EU-Kurs ist. Er fragte: „Ist das eure Wahl?“ Und ich habe bekräftigt: „Ja, die EU-Mitgliedschaft ist unser Ziel.“

Die größte Hürde für Stabilität auf dem Balkan bleibt immer noch die Anerkennung des Kosovos durch Serbien. Wann wird das geschehen?
Wir brauchen einen Kompromiss, der beide Seiten gleichermaßen fordert. Nur dann kann es eine dauerhafte Lösung geben. Serbien will, ich will Frieden. Schluss mit dem Irrsinn der Vergangenheit! Dann kann die ganze Region ein Motor für Europas neues Wachstum werden.

Herr Vucic, vielen Dank für das Interview.

Mehr: Späte Gegenoffensive: Außenminister der EU wollen europäische Antwort auf Chinas Seidenstraße vorlegen

Startseite
Mehr zu: Interview - Serbiens Präsident Aleksandar Vucic: „Wir können ohne die EU nicht überleben"
0 Kommentare zu "Interview: Serbiens Präsident Aleksandar Vucic: „Wir können ohne die EU nicht überleben" "

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%