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Islamismus Neun Monate Verhandlung, 1800 Nebenkläger: Frankreich vor Marathon-Prozess um Bataclan-Anschläge

Fast sechs Jahre nach den Anschlägen von Paris müssen sich die mutmaßlichen Täter vor Gericht verantworten. Frankreich wird im Wahljahr mit einem nationalen Trauma konfrontiert.
07.09.2021 - 17:41 Uhr Kommentieren
Der Prozess gegen die mutmaßlichen Täter beginnt am Mittwoch in Paris. Quelle: AP
Terrornacht am 13. November 2015 in Paris

Der Prozess gegen die mutmaßlichen Täter beginnt am Mittwoch in Paris.

(Foto: AP)

Am Abend des 13. November 2015 erschütterte Frankreich eine Terrorserie, die das Land in dieser Schwere noch nicht erlebt hatte. In der Pariser Konzerthalle Bataclan feuerten Islamisten in die Menge, eine weitere Gruppe von Angreifern schoss auf Gäste in Bars und Restaurants. Vor dem Stade de France sprengten sich während eines Fußballspiels der Nationalteams von Frankreich und Deutschland drei Selbstmordattentäter in die Luft. Insgesamt starben 130 Menschen, 350 weitere wurden verletzt.

Der Prozess zu den Anschlägen, der an diesem Mittwoch beginnt, hat ebenfalls ein historisches Ausmaß. Im Pariser Justizpalast wurde für das Verfahren ein neuer Saal gebaut und ein eigenes Schwurgericht berufen. Mindestens 145 Verhandlungstage sind angesetzt.

Die Staatsanwaltschaft hat 20 Menschen wegen ihrer mutmaßlichen Mitwirkung angeklagt – darunter der einzige überlebende Attentäter Salah Abdeslam. Knapp 1800 Nebenkläger haben sich angeschlossen.

Der Blick auf die innere Sicherheit hat sich grundlegend gewandelt

Die juristische Aufarbeitung der von der Terrormiliz Islamischer Staat reklamierten Anschläge konfrontiert die Franzosen im Wahljahr mit einem nationalen Trauma, das auch fast sechs Jahre später politisch nachwirkt. Präsident Emmanuel Macron hatte nach seiner Wahl 2017 den Ausnahmezustand wegen der Terrorgefahr zwar aufgehoben, doch der Blick auf die innere Sicherheit hat sich grundlegend gewandelt. An Orten im ganzen Land patrouillieren im Rahmen der „Opération Sentinelle“ noch immer schwer bewaffnete Soldaten zusätzlich zur Polizei.

Der neunmonatige Prozess überlappt sich mit der Präsidentschaftswahl im Frühjahr 2022. Bislang geht es in der französischen Öffentlichkeit vor allem um die Erinnerung an die Opfer und die gewaltige Aufgabe der Justiz – doch es ist nicht ausgeschlossen, dass der rechtspopulistische Rassemblement National von Marine Le Pen das Verfahren in den Wahlkampf zieht. Die Mehrheit der Attentäter vom 13. November hatte damals die Flüchtlingsrouten genutzt, um aus Syrien nach Europa zu kommen.

„Wir waren nicht vorbereitet, ein Ereignis wie im Bataclan schien undenkbar“, sagte der frühere Abgeordnete Georges Fenech von der bürgerlich-konservativen Partei Les Républicains dem Radiosender Europe 1. Fenech leitete nach den Anschlägen den parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der in seinem Abschlussbericht eine Reihe von Änderungen an der französischen Sicherheitsarchitektur empfahl.

Prozess um Anschlag auf die Konzerthalle Bataclan beginnt

Nach der politischen Untersuchung sei nun die juristische Aufarbeitung „sehr wichtig für die Opfer und ihre Familien, um die Trauer hinter sich zu lassen“, sagte Fenech. Außerdem gehe es darum, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Die neben Abdeslam angeklagten Verdächtigen seien Helfer gewesen, „ohne die die Anschläge nicht hätten stattfinden können“.

Der mutmaßliche Chef der französisch-belgischen Terrorzelle, Abdelhamid Abaaoud, war wenige Tage nach den Anschlägen bei einer Razzia im Pariser Vorort Saint-Denis getötet worden. Der überlebende Attentäter Abdeslam wurde im März 2016 in dem Brüsseler Stadtteil Molenbeek festgenommen, ein belgisches Gericht verurteilte ihn wegen eines versuchten Polizistenmordes bereits zu 20 Jahren Haft. Im Prozess in Paris droht ihm lebenslänglich.

Zwei Tage allein nur für das Aufrufen aller Nebenkläger

Die anderen 19 Angeklagten sollen an der Vorbereitung der Anschläge beteiligt gewesen sein oder Abdeslam bei seiner Flucht geholfen haben. Gegen sechs von ihnen wird der Prozess in Abwesenheit geführt. Fünf kamen vermutlich bei Kämpfen und Luftangriffen in Syrien ums Leben, einer sitzt in der Türkei in Haft.

Französische Medien sprechen von einem „Jahrhundertprozess“. Angesichts des großen Interesses und der vielen Angehörigen von Opfern wird das Verfahren aus dem Gerichtssaal in ein Dutzend weitere Räume im Justizpalast übertragen. Zum Auftakt des Prozesses sind zwei Tage allein dafür vorgesehen, alle Nebenkläger aufzurufen. Am Freitag verliest der Vorsitzende Richter Jean-Louis Péries dann die Anklageschrift.

Noch vor den Angeklagten sollen die Überlebenden und Angehörige der Opfer in dem Prozess zu Wort kommen. Fünf Wochen lang bis Ende Oktober sollen rund 300 von ihnen eine halbe Stunde lang ihre Erlebnisse schildern, 14 solcher Aussagen pro Verhandlungstag sind eingeplant. In den Zeugengestand gerufen wird auch der während der Anschläge amtierende Präsident François Hollande, seine Aussage ist für den 10. November terminiert. Anfang April 2022 könnten die Schlussplädoyers gehalten werden, ein Urteil wird Ende Mai erwartet.

Die Sicherheitsbehörden in Frankreich befürchten, dass radikale Islamisten während des Prozesses versuchen könnten, einen neuen Anschlag zu verüben. Innenminister Gérald Darmanin hatte im Sommer vor einer „erhöhten Terrorgefahr“ gewarnt und zu Wachsamkeit aufgerufen.

Mehr: Gesetz gegen radikalen Islam bringt Macron in Bedrängnis

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