IT, Rohstoffe, Finanzen Warum Putins Abschottungskurs Russland schadet

Russlands Staatschef Putin sucht den Schulterschluss mit China. Investoren sind nicht begeistert.
Es passiert selten, dass sich Russlands Konzernchefs gegen den Kreml stellen. Deshalb ist der Brief von Gazprom-Chef Alexej Miller an Regierungschef Michail Mischustin bemerkenswert. Darin kritisiert der einflussreiche Manager die Vorgabe von Präsident Wladimir Putin, bis 2024 in russischen Unternehmen ausschließlich russische Software einzusetzen und die derzeit dominierenden westlichen Produkte von Microsoft, SAP und anderen zu verbannen.
Ein Jahr später soll dann sogar die Umstellung auf russische Hardware erfolgt sein, obwohl bisher alle Versuche der Entwicklung eigener Smartphones oder Computer weitgehend gefloppt sind.
Gazprom-Chef Miller, ein langjähriger Vertrauter Putins, protestiert: Umgerechnet 2,4 Milliarden Dollar würde den mehrheitlich vom Kreml kontrollierten Konzern eine erzwungene IT-Umstellung auf nationale Technik kosten. Damit berge die Umstellung „das Risiko erheblichen negativen Einflusses auf die Gazprom-Geschäftszahlen“. 2020 droht dem Energiekonzern ohnehin erstmals ein Unternehmensverlust.
Auch der Verband der russischen Banken und sogar die Zentralbank warnen vor dem Nationalismus in Sachen IT: Die Umstellung brauche mindestens fünf bis sieben Jahre und sei mit Kosten von über neun Milliarden Dollar sowie „dem Risiko gewaltiger Ausfälle in der Arbeit von Finanzorganisationen“ verbunden.
Doch Putins Kurs ist klar: Er will Russland, seit der Krim-Annexion 2014 beim Wirtschaftswachstum deutlich hinter anderen Schwellenländern zurückgeblieben, weiter vom Westen abkoppeln. Damit will der Präsident die Wirtschaft vor den Auswirkungen weiterer westlicher Sanktionen abschotten.
„Festung Russland“
Die Ankündigung des neuen US-Präsidenten Joe Biden, Putin werde wegen der russischen Einmischung in die US-Wahlen und Hackerangriffe auf amerikanische Einrichtungen „einen Preis zahlen“, zeigt so bereits deutliche Folgen in Russlands Wirtschaftsstrategie. Biden hatte auf Nachfrage Putin sogar einen „Killer“ genannt.
Putin setzt nun stärker denn je auf den Ausbau und die Autarkie der heimischen Wirtschaft und eine stärkere Hinwendung zu China. Vorige Woche kündigte Russlands Außenminister Sergej Lawrow bei einem Treffen mit seinem chinesischen Amtskollegen Wang Yi gar an, sich vom westlich dominierten Zahlungsverkehrsdienstleister Swift entkoppeln und den Dollar im Außenhandel durch andere Währungen ersetzen zu wollen.
Beide Länder wollten ihre „technologische Unabhängigkeit stärken, auf Abrechnungen in nationale Währungen und in Weltwährungen umsteigen, die alternativ zum Dollar sind“, sagte Lawrow. Die Systeme, die vom Westen kontrolliert werden, sollten nicht mehr eingesetzt werden.
Auch dies werden die russischen Unternehmen nicht gern gehört haben. Andrej Kostin, der Chef der zweitgrößten Bank des Landes VTB, hatte eine Abschaltung Russlands von Swift -System in der Vergangenheit als „Atombombe im Finanzsektor“ bezeichnet.
Russland hat sich durch seine Abschottungspolitik seit 2014 bereits deutlich unabhängiger von externen Schocks gemacht, argumentiert Ruchir Sharma, Schwellenlandexperte und Chief Global Strategist der US-Großbank Morgan Stanley. Er spricht von der „Festung Russland“.
Wirtschafts- und Russlandexperten bewerten diesen Kurs aber kritisch: Die „wirtschaftsfeindlichen Vorschriften“ zur Entkopplung von eingespielten Verbindungen zum Westen stellten „für jedes private Unternehmen ein unglaubliches Risiko dar“, sagt Janis Kluge, Russlandexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Es gebe eine „echte Abhängigkeit Russlands“ von westlichen Märkten, und „dies rückabzuwickeln ist kaum möglich“, auch wenn Russlands Führung das wegen „sicherheitspolitischer Kompromisslosigkeit“ wolle.
Dass ein solches „Decoupling nicht funktionieren wird“, meint auch Maxim Schachow, Russlandchef des Kfz-Zulieferers Schaeffler und Vorstandsmitglied der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK) in Moskau. Denn: „Die Welt ist global, und der Markt sogar in Russland ist nicht groß genug, um alles lokal produzieren zu können.“
Finanzinvestoren sind angesichts der Abschottung Russlands vom Westen und drohender neuer Sanktionen alarmiert: Der Ausverkauf russischer Schuldtitel hat begonnen. Seit Ende Februar haben ausländische Investoren OFZ im Volumen von 140 Milliarden Rubel (1,9 Milliarden Dollar) abgestoßen – und das, obwohl sich die Landes‧währung etwas stabilisiert hatte und die Zinsen erstmals seit Ausbruch der Coronakrise wieder auf 7, 3 Prozent gestiegen waren.
Denn im Zuge neuer Sanktionen könnte die US-Regierung Investitionen in russische Anleihen verbieten. Die US-Investmentbank JP Morgan warnt deshalb vor „geopolitischen Risiken“.
Vergangene Woche stoppte das Finanzministerium in Moskau erstmals seit Jahren die Ausgabe neuer Schuldverschreibungen (OFZ) wegen Nachfragemangels. Bisher hielten Ausländer 20 Prozent der russischen Rubel-Obligationen im Volumen von 3,2 Billionen Rubel, US-Investoren davon eine Billion Rubel.
Russland wettet derweil stärker denn je auf den Wirtschaftssog durch China: Bereits 2010 hat China Deutschland den Rang als Russlands größter Lieferant abgelöst. „Russland hat kurzfristig gar keine andere Wahl, als sich noch weiter China anzunähern“, sagt Alexander Gabujew von der Moskauer Abteilung des US-Thinktanks Carnegie. Und Putin unterstreiche den Drang nach Peking auch dadurch, dass er, der ansonsten westliche Politiker notorisch durch Zuspätkommen nervt, bei Chinas KP- und Staatschef Xi Jinping stets pünktlich erscheine.
Im vergangenen Jahr sank der Handel Russlands mit der EU indessen weiter um 21 Prozent auf nur noch 222 Milliarden Dollar. Das ist nur noch gut die Hälfte des Volumens von 2013, ein Jahr vor Verhängung westlicher Sanktionen wegen Russlands Annexion der ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim. Dennoch bleibt die EU als Ganzes immer noch der größte Handelspartner und Investor im Land.
Denn unternehmerisch sei die Annäherung Russlands an China keineswegs ein Selbstläufer: „Gerade auf Wirtschaftsebene fehlt die Erfahrung miteinander“, sagt der Asienexperte der renommierten Higher School of Economics in Moskau, Timofej Bordatschow. So hat Gazprom zwar für Milliarden „Sila Sibirii“, die „Kraft Sibiriens“ genannte Gaspipeline, ins Reich der Mitte verlegt.
Doch Peking zahlt dem neuen Partner deutlich geringere Tarife als die traditionellen Abnehmer in Europa. Und auch Börsengänge russischer Firmen wie des größten Onlinehändlers Ozon.ru fanden in den vergangenen Jahren weiter in den USA statt. An Hongkongs Börse ließ sich das letzte russische Unternehmen 2013 notieren.
Neben dem Propagieren seines Kurses gen Osten setzt der Kreml vor allem auf heimische Multimilliardeninvestitionen zum Ausbau der Infrastruktur. Leisten kann sich Russland das. Denn angesichts wieder gestiegener Ölpreise erwarten Ökonomen im laufenden Jahr einen Haushalts- und Leistungsbilanzüberschuss.
Im Coronajahr 2020 sank die russische Wirtschaftsleistung laut dem angesehenen Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) um 3,1 Prozent – im Vergleich zu anderen Ländern moderat. In diesem Jahr rechnet das wiiw mit 2,5 Prozent Wachstum, der Internationale Währungsfonds erwartet 3,0 Prozent. Und das wäre bereits ein Rekordwert in den vergangenen acht Jahren.
Teufelskreis der Entkopplung
Russland verfolge mit der Anhäufung gewaltiger Gold- und Devisenreserven, der Freigabe des Rubel-Kurses sowie drastischer Haushaltskonsolidierung einen Kurs des „volkswirtschaftlichen Konservatismus“, sagt Beata Javorcik. Dieser habe aber „seinen Preis“, meint die Chefvolkswirtin der Osteuropaförderbank EBRD: „Er kostete Wachstum, trug zur Stagnation der Realeinkommen bei und führte zu einer eher verhaltenen Reaktion auf die wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Epidemie.“ Anders als der Westen hat Russland keine milliardenschweren Konjunkturhilfen beschlossen.
Die Sorgen wachsen, dass der verschärfte Ausbau Russlands zur Festung fatale Folgen haben könnte. Ohnehin sei Russland „nur begrenzt in internationale Wertschöpfungsketten eingebunden“, sagt Oliver Hermes, Chef des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft (OA). Er fürchtet, „dass sich angesichts der wachsenden Spannungen mit den USA und der EU in Russland die Stimmen für noch mehr Importsubstitution und höhere Lokalisierungsanforderungen durchsetzen“. Ein Teufelskreis der Entkopplung sozusagen.
Um diesem Teufelskreis zu entrinnen, sollte Russland nach Ansicht von Hermes besser seine Industrie weg von der Rohstoffabhängigkeit diversifizieren, den Mittelstand stärken und mehr Bewegungsfreiheit für innovative Unternehmen schaffen. „Die schnelle Entwicklung eines Corona-Impfstoffs zeigt, wozu die russische Wirtschaft in der Lage sein kann.“ Und der Westen müsse sich überlegen, wie er Russland eine stärkere Kooperation anbieten könne.
Mehr: Russland und Deutschland sollten beim Atommüll kooperieren.
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Russland will sich wirtschaftlich vom Westen abkoppeln? Umgekehrt wird ein Schuh draus!
Die USA tun alles um RU auszugrenzen und schrecken auch nicht davor zurueck, ihre
Buendnispartner zu erpressen. Und natuerlich treiben sie damit Russland in die Arme Chinas. Der letzte Akt - die Nawalny Inszenierung ist noch erbaermlich ist noch erbaermlicher als die Power Presentation von Powell vor den UN. Ich kann nicht glauben,
dass unsere Kanzlerin das fuer bare Muenze halt. Warum handelt sie gegen besseres
Wissen?
Ich bin kein Freund Russlands, aber im Westen wird einiges verdreht.
Russland hat der deutschen Vereinigung zugestimmt, nach dem die NATO bzw. die westlichen Staaten bestätigt haben, die NATO nicht gen Osten zu erweitern, damit sich Russland nicht "bedroht" fühlen muss.
Daran hat sich der Westen nicht gehalten.
Die EU hat sich Richtung Osten erweitert und die NATO Einflusssphäre ebenso.
Russland hat reagiert mit Erweiterung Einflussgebietes im Osten der Ukraine und der Krim.
Daraufhin totale Empörung im Westen und Sanktionen.
Nach der Wende habe ich die Möglichkeit gesehen und es war auch seinerzeit im Gespräch, einen gemeinsamen Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok zu bilden, aus Gründen der wirtschaftlichen Stärkung Europas aber auch als Friedensprojekt.
Was bleibt Putin denn gesichtswahrend anderes übrig, als auf die einseitige Sanktionspolitik zu reagieren ?
Regelmäßig kommen dann unbewiesene Unterstellungen, Putin wäre ein Mörder und hätte persönlich Mordaufträge erteilt. Wie blöd hält man den Mann denn.
Die Diskussion um die fast fertige Gaspipeline ist ebenso absurd, als ob wir damit von Russland durch mögliche Gaslieferungen abhängiger wären - sondern wir hätten eine erweiterte Option auf Lieferungen und die dafür notwendige Infrastruktur.
Das macht die Versorgung Europas eher sicherer, als sich auf die jahrelangen unseriösen Handlungen und Querschüsse der Ukraine eingehen zu müssen, die quasi als Wegelagerer in der Vergangenheit erpresserische Züge - sowohl gegen Europa und auch gegen Russland - gezeigt haben.
Amerika selbst steigert aber in den letzten Jahren den Umfang des importierten Erdöls aus Russland um Faktor 7 - alles vollkommen absurd.
Amerika will Europa klein halten und unser politisches Führungspersonal in Europa kann sich dagegen nicht wehren, weil unsere unqualifizierten Führer:innen keinen Plan für Zukunftsthemen haben und wohl mental zu schwach sind. Armes Deutschland - armes Europa.