Italien Mario Draghi gedenkt Corona-Toten in Bergamo – Wie es dem einstigen Epizentrum heute geht

Der Premier gedenkt den Verstorbenen.
Bergamo Minutenlang bleibt Mario Draghi reglos stehen, lauscht dem Trompeter, der auf dem mit Fahnen geschmückten und blau eingehüllten Podest seine Melodie erklingen lässt. Im Hintergrund zieht sich Bergamos Altstadt sanft den Hügel hinauf, davor breitet sich das Krankenhaus „Papa Giovanni XXIII“ aus – ein Ort, an dem viele Menschen den Kampf gegen das Coronavirus verloren haben.
Genau vor einem Jahr gingen von hier im Norden Italiens Bilder um die Welt, die sich ins kollektive Gedächtnis gebrannt haben: Am Abend des 18. März 2020 rollten Militärtransporter durch die Straßen, um die Särge der Corona-Opfer in Nachbarorte zu bringen.
Damals starben so viele Menschen, dass die Krematorien überlastet waren. Deutschland, aber auch dem Rest Europas wurde schlagartig klar, wie dramatisch das Virus den Kontinent überrennt. Und genau hier will Italiens Premier nun eine Botschaft der Hoffnung senden: Im Parco della Trucca, einem weitläufigen Areal mit See und Spielplatz, soll bis Herbst ein Gedenkwald entstehen, mit Laub- und Obstbäumen, Sitzbänken. Ein lebendes Mahnmal als Erinnerung an die vielen Toten.
„In dieser Stadt gibt es niemanden, bei dem kein Familienmitglied oder Bekannter vom Virus betroffen war“, sagt Draghi in seiner Ansprache. Der Ort sei ein Symbol für den Schmerz einer ganzen Nation. Aber die Bürger von Bergamo hätten auch ein Beispiel gegeben, wie sich Trauer in Erneuerung umwandeln lässt.
Bergamo, 120.000 Einwohner, ist einer der Orte, die in Relation zur Bevölkerung weltweit am meisten Tote zu verzeichnen haben: 670 Menschen sind hier seit Beginn der Pandemie an oder mit dem Virus gestorben.
„Das Einzige, was man hörte, waren die Sirenen“
Die gesamte Provinz zählt rund 6000 Opfer. „Uns haben die Worte gefehlt“, erinnert sich Bergamos Bischof Francesco Beschi an den Abend vor einem Jahr. „Es war absolut ruhig auf den Straßen. Das Einzige, was man hörte, waren die Sirenen.“
Bergamo im Besonderen, aber die gesamte Lombardei hat stark unter Corona gelitten. Menschlich, mit all den Toten, aber auch wirtschaftlich. Die Region ist zusammen mit den Nachbarregionen Emilia-Romagna und Venetien das ökonomische Herz Italiens. Gut ein Viertel der gesamten italienischen Industrieproduktion wird hier erwirtschaftet. Das Bruttosozialprodukt pro Kopf liegt fast 10.000 Euro über dem Landesschnitt.

Der Premier besucht den Gedenkwald, der in der Stadt in Norditalien bis Herbst entstehen soll.
Banken, Finanz- und Modeindustrie haben ihren Sitz in Mailand, ebenso die größte Börse Italiens. Die Lombardei ist aber auch das Zuhause von vielen globalen Champions: in der Metallverarbeitung, der Chemie- und Pharmaindustrie, in der Textil- und Möbelproduktion. Der zehnwöchige Lockdown vor einem Jahr samt Produktionsstopp traf die Lombardei daher besonders hart.
Der Umsatz im Seiden-Distrikt am Comer See etwa ist um 27 Prozent eingebrochen. Kaum jemand kauft in der Pandemie teure Anzüge oder Krawatten, wenn er nicht in Oper, Theater oder selbst ins Büro kann. Italiens gesamte Modeindustrie brach im vergangenen Jahr um 26 Prozent ein.
Immerhin hat der Export im letzten Jahresdrittel 2020 wieder angezogen. Alessandro Spada, Chef des regionalen Industrieverbands Assolombarda, erwartet für das laufende Jahr einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts von 5,2 Prozent – Italiens Wirtschaft insgesamt soll nur um rund vier Prozent wachsen.
Handel mit Deutschland eingebrochen
Auch das Handelsvolumen zwischen Deutschland und der Lombardei hat einen Dämpfer bekommen: Betrug der Handel zwischen der norditalienischen Region und der Bundesrepublik im Jahr 2019 noch 44,3 Milliarden Euro, waren es im Coronajahr 2020 nur noch 38,5 Milliarden Euro. „Damit ist das Handelsvolumen der Lombardei mit Deutschland aber noch immer höher als etwa das gesamte türkisch-italienische“, erklärt Jörg Buck, Geschäftsführer der deutsch-italienischen Außenhandelskammer (AHK) in Mailand.
Wie stark die Lombardei mit Deutschland verknüpft ist, zeigt auch ein Blick nach Bayern: Das Bundesland ist Italiens stärkster Handelspartner auf deutscher Seite – und kommt auf ein Handelsvolumen von 22,3 Milliarden Euro.
Wie sehr sich die Wirtschaft erholen kann, wird auch von der Infektionskurve abhängen. Italien befindet sich schon mitten in der dritten Welle. Am Mittwoch infizierten sich rund 23.000 Menschen mit dem Virus. Allein die Lombardei zählte knapp 4500 neue Fälle, der höchste Anstieg aller Regionen.
Seit einer Woche ist halb Italien „rote Zone“ – auch die Lombardei befindet sich im Lockdown. Die Bürger dürfen ihre Häuser nur zum Einkaufen, für Arztbesuche oder für die Arbeit verlassen. Besuche bei Verwandten oder Freunden sind verboten. Viele Geschäfte haben geschlossen, Restaurants dürfen nur Abholung oder Lieferung anbieten.

750 Menschen sind in Bergamo seit Beginn der Pandemie an oder mit dem Virus verstorben.
Am Freitag will die Regierung neue Corona-Entschädigungen in Höhe von zwölf Milliarden Euro für Branchen beschließen, die von den Schließungen im Lockdown betroffen sind. Premier Draghi kündigte zudem an, weitere Schulden aufnehmen zu wollen.
Die Beschleunigung der Impfkampagne bleibt für den Premier der Schlüssel zum Wiedererwachen des Landes – das unterstreicht er auch noch mal in Bergamo. Wie auch immer Europas Entscheidung über den vorläufigen Stopp von Astra-Zeneca ausgehen möge: Die Regierung werde die Impfkampagne mit der „gleichen Intensität“ fortsetzen.
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