Javier Milei Warum ein rechtsliberaler Politiker in Argentinien derzeit so gut ankommt

Der 50-Jährige kommt in der politikverdrossenen Bevölkerung Argentiniens gut an.
Salvador Javier Milei hat eine ganz spezielle Art, um sich bei seinen Anhängern zu bedanken: Als vor ein paar Tagen klar war, dass der Politiker bei den Vorwahlen in Argentinien überraschend gut abgeschnitten hatte, da brüllte er zu lauter Heavy-Metal-Musik immer wieder hintereinander: „Libertad, carajo!“ „Freiheit, verdammt noch mal!“ Genau diesen Spruch trugen auch viele seiner Fans auf ihren T-Shirts.
Mit seiner wilden Haarpracht, dem durchdringenden Blick und der vollschlanken Figur fällt Milei definitiv auf. Er sei nicht in die Politik gegangen, „um Lämmer zu führen, sondern um Löwen zu wecken“ – schrie Milei seinen begeisterten meist jugendlichen Anhängern zu.
Fast 14 Prozent der Stimmen hat Milei bei den Vorwahlen zum Kongress in der Hauptstadt Buenos Aires bekommen. Das ist Platz drei hinter den Vertretern der zwei dominierenden Parteienkoalitionen. Wenn der 50-jährige Milei bei den Wahlen im November das Ergebnis wiederholen kann – und normalerweise bestätigen sich in Argentinien die Ergebnisse der Vorwahlen –, dann zieht der Ökonom und Moderator zusammen mit vier weiteren Abgeordneten ins Parlament ein.
Damit wäre er der erste rechtsliberale Politiker seit Langem, dem in der argentinischen Politik der Einstieg auf die große Bühne der Legislative gelingt.
Doch anders als seinen Vorgängern aus dem Unternehmerlager gelingt Milei das als Quereinsteiger ohne die Hilfe der eher linken Peronisten oder der bürgerlichen Opposition. Tatsächlich ist der bekannte Moderator erst vor Kurzem in die Politik gewechselt. Als er im vergangenen Jahr 50 wurde, habe er beschlossen, sich in der Politik zu engagieren. Er habe geschworen, sich in den Dreck zu werfen, um die derzeitige Spitze aus dem Amt zu jagen.
Parallelen zu Bolsonaro in Brasilien
Die Parallelen zu Jair Bolsonaro in Brasilien oder Donald Trump in den USA scheinen augenfällig – auch weil das politische Establishment den Quereinsteiger so demonstrativ ignoriert. Was daran liegen mag, dass Milei ziemlich alle Politiker Argentiniens als links und staatsabhängig beschimpft. Sie sind für ihn die verhasste Kaste, die Oligarchie, egal ob rechts oder links.
Und Milei greift dabei gern zu derben Schimpfworten. Doch das kommt bei der politikverdrossenen Bevölkerung Argentiniens gut an. Erstaunlich ist nur, dass Milei vor allem im ärmeren Süden der Hauptstadt gewählt wurde und nicht von der Mittelschicht.
Denn lange Zeit war Milei ein durchaus respektierter radikal liberaler Ökonom, der bei den angesehenen ökonomischen Thinktanks und Beratungsunternehmen Argentiniens arbeitete.
Er bezeichnet sich als Anhänger der österreichischen Schule um den Ökonomen Friedrich von Hayek. Milei will Steuern und die Zentralbank abschaffen, damit die Menschen die Währung wählen, die ihnen am besten gefällt. Sie sollen das Recht haben, Waffen zu tragen, Drogen zu nehmen. Er ist für unbeschränkte Einwanderung. Er lehnt die Abtreibung ab, unterstützt aber die gleichgeschlechtliche Ehe.
Als Unternehmer Mauricio Macri 2015 zum Präsidenten des Landes gewählt wurde, begann Milei auch die Liberalen zu attackieren – das kam gut an bei den Zuschauern. Dabei driftete er politisch weiter nach rechts ab: Wie für den Rechtspopulisten Bolsonaro in Brasilien sind auch für Milei die meisten Politiker in Argentinien Kommunisten. Er will – wie Trump die USA – Argentinien wieder zu seiner alten Größe führen. Wie vor hundert Jahren, als das Land eines der reichsten Länder der Welt war.
Politische Zeitenwende
Dass Milei jetzt so schnell aufsteigen konnte, erstaunt die Politikexperten: „Ist er ein Anti-Establishment-Vertreter, der die Wut der Menschen auf das System verkörpert?“, fragt sich Carlos Pagni, einer der führenden Kommentatoren Argentiniens. Oder kündige sich eine politische Zeitenwende an, hin zu weniger Staat und weg von traditioneller Klientelpolitik?
Denn zusammen mit anderen Kandidaten hat ein Viertel der Bewohner von Buenos Aires liberale, staatskritische Politiker gewählt – und nicht die Peronisten, die ihre Wähler traditionell mit Sozialhilfe von der Wiege bis zum Grab bei Laune halten. Wie etwa die derzeitige Vizepräsidentin Cristina Kirchner.
Die Leute hätten dieses 50/50/50-Land satt, sagt Milei. Was er damit meint: 50 Prozent Inflation und 50 Prozent Armut in der Bevölkerung. „Und wenn wir so weitermachen, dann sind wir in 50 Jahren der größte Slum der Welt.“ Für seine Anhänger besteht kein Zweifel, dass Milei 2023 als Präsidentschaftskandidat antreten wird. Das ist noch weit weg. Es scheint jedoch, dass Milei in zwei Dekaden erstmals das existierende Duopol der argentinischen Politik unter Druck setzen wird.
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