Jürgen Trittin: „Ein Umweltminister kann nicht jedermanns Darling sein“
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Jürgen Trittin„Ein Umweltminister kann nicht jedermanns Darling sein“
Der Ex-Umweltminister Jürgen Trittin spricht im Interview über erneuerbare Energien, die Probleme des Umweltministeriums und die mangelnde Bereitschaft der Wirtschaft zur ökologischen Modernisierung.
„Das Umweltministerium muss die Kompetenz für die gesamte Energiepolitik zurückbekommen.“
BerlinDas Bundesumweltministerium war eines der späten Ministerien der Republik, gegründet wurde es 1986 als Antwort auf den Atomunfall in Tschernobyl. Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin (61) gehört in der Riege der mittlerweile acht Umweltminister zu den bekanntesten und streitbarsten Ministern. Sein Name ist eng mit dem Dosenpfand verbunden – weitaus wichtiger war aber sein Einsatz für den ersten Atomausstieg, wenngleich es später unter der schwarz-gelben Regierung abermals eine Verlängerung der Laufzeiten gab, die dann durch den Atomunfall in Fukushima gestoppt wurde.
Herr Trittin, Sie gelten als einer der präsentesten, aktivsten und streitbarsten Umweltminister der vergangenen 30 Jahre – was ist für Sie selbst Ihr größter Erfolg gewesen? Ohne Zweifel der Ausstieg aus der Atomenergie ¬ damals hart umkämpft, aber mittlerweile auch in CDU/CSU Konsens ¬- und der Einstieg in die erneuerbaren Energien.
… die aber jetzt ausgebremst werden? Ja, leider. Tatsächlich brauchen wir angesichts des Pariser Klimaabkommens mehr statt weniger erneuerbare Energien, doch die Bundesregierung würgt mit den geplanten Obergrenzen den Ausbau der Erneuerbaren ab, um das nicht-nachhaltige Geschäftsmodell der Kohlekonzerne über die Zeit zu retten. Das ist nicht nur schlecht für den Klimaschutz und die Stromkunden, sondern beschädigt auch Deutschland als Wirtschaftsstandort, weil Zukunftsindustrien vertrieben werden.
Für das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist das Wirtschaftsministerium federführend zuständig. Müsste das Umweltministerium gestärkt werden? Unbedingt. Das Umweltministerium muss die Kompetenz für die gesamte Energiepolitik zurückbekommen. Es war falsch, die Verantwortung dafür am Anfang der Legislaturperiode ins Wirtschaftsministerium zu verlagern. Nach meiner festen Überzeugung können Sie nicht verantwortlich für Klimapolitik sein, und das ist das Umweltministerium, ohne in Schlüsselfragen wie der Energie eine eigene Kompetenz zu haben. Ein starkes Umweltministerium würde zudem verhindern, dass falsche industriepolitische Entscheidungen getroffen werden.
Sie halten das Umweltministerium also für schwach und nicht zukunftsfähig aufgestellt? Das Ministerium hat zwei Probleme: Erstens ist es durch den Wegfall der Erneuerbaren geschwächt worden. Zweitens hat die Ministerin einen Hauptkontrahenten im Bundeswirtschaftsministerium sitzen, der der eigene Parteivorsitzende ist. Das ist keine gute Konstellation.
„Deutschland neigt insgesamt zu Strukturkonservatismus“
Eigentlich ist doch jedes Ressort im Kabinett vom Thema Klimaschutz betroffen? Ja, und deswegen braucht es ebenfalls dringend ein Klimaschutzgesetz, mit konkreten Inhalten und Maßnahmen, die dann auch ergriffen werden. Nur so wäre das Umweltministerium mit den entsprechenden Zähnen ausgerüstet, um im Wettkampf der Ressorts tatsächlich etwas durchsetzen zu können.
Wer ist träger in Sachen Umweltschutz: die Ministerien oder die Unternehmen? Deutschland neigt insgesamt zu Strukturkonservatismus. Die Wirtschaft ist, was die ökologische Modernisierung angeht, bisher immer zu ihrem Glück gezwungen worden, gegen das sie sich immer heftig gewehrt hat.
Sicher, sauber und bezahlbar: So soll die Energiewende aussehen
Die Energiewende wurde 2011 nach der Atomkatastrophe von Fukushima ausgerufen. Die drei Ziele: sicher, sauber, bezahlbar.
Acht Atomkraftwerke wurden sofort stillgelegt, im Sommer 2015 folgte das bayerische AKW Grafenrheinfeld. Die letzten Meiler sollen 2022 vom Netz gehen.
Der Ökostrom-Anteil an der Versorgung soll 2025 bis zu 45 Prozent betragen.
Der Treibhausgasausstoß soll bis 2020 um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken, bis 2050 sogar um 80-95 Prozent. Erreicht wurden bis 2014 aber nur 27,7 Prozent Minderung.
Windstrom muss vom Norden in den Süden, aber oberirdische Hochspannungsleitungen sind bei Anwohnern unbeliebt. Wenn die Netze überlastet sind, müssen die Verbraucher für den Ausfall der Produktion aufkommen – der Netzausbau ist deshalb ein Zankapfel. (Quelle: dpa)
Ist es eigentlich eine späte Genugtuung, dass die vier Energieversorger heute in einem so desolaten Zustand sind? Nein, ich sehe das mit Sorge. Wir waren deutlich, was unsere Ziele anging. Aber der jetzige dramatische Zustand einzelner Energieversorger hat damit zu tun, dass sie jahrelang in fossile Anlagen investiert haben, die heute weniger Erlöse bringen als die erneuerbaren Energien. Das kann man nicht dem Umweltministerium anlasten.
Hat es das Umweltministerium heute schwieriger als in Ihrer Amtszeit? Früher bestand Umweltpolitik häufig darin, auf eine eingetretene Katastrophe zu reagieren. Heute geht es darum, eine vorbeugende Umweltpolitik zu betreiben. Das ist in der Tat viel schwieriger. Wenn Leute eingesehen haben, dass sie Mist gebaut haben, dann akzeptieren sie gern einschneidende Maßnahmen.
Muss ein Umweltminister streitbar sein? Ein Umweltminister kann, wenn er etwas bewirken will, nicht jedermanns Darling sein. Aber er kann dennoch ruhig und gelassen für seine Ziele eintreten.
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