Kanzlerin in Rom Angela Merkel auf Abschiedstournee: Viel Tatendrang, kaum Wehmut

Die Liebe zu Italien wird weitergehen.
Rom Die Schweizer Garde steht Spalier, als der silbergraue Lancia mit dem Deutschland-Fähnchen durch den Vatikan rollt. Über den rot-goldenen Teppich schreitet die Kanzlerin ihrem Gastgeber entgegen: Papst Franziskus. Für Angela Merkel ist das eigentlich alles Business as usual, knapp 500 Auslandsreisen im Amt hat sie hinter sich.
Und doch ist dieser Besuch in Rom etwas Besonderes: Es ist der Beginn einer Abschiedstournee, die noch so lange andauern wird, bis der Bundestag einen Nachfolger wählt – und das kann, allen fortgeschrittenen Sondierungen zum Trotz, noch dauern.
Es ist Merkels vierte Privataudienz bei Franziskus – und es war offenbar ihr großer Wunsch, vor dem Abschied aus der ersten Reihe der Politik noch einmal mit dem Oberhaupt der katholischen Kirche zusammenzutreffen.
Kein Kanzler war öfter im Vatikan als die Pastorentochter aus der Uckermark. Wie lange ihre Amtszeit dauerte, zeigt nicht nur der Blick auf die acht verschiedenen Ministerpräsidenten Italiens in diesen 16 Jahren. Merkel machte in der Zeit auch Bekanntschaft mit gleich drei Päpsten.
Nach dem Gespräch mit Franziskus tritt Merkel in einem Gebäude des Campo Santo Teutonico vor die Presse, eines deutschen Friedhofs direkt neben dem Petersdom, auf dem Gemälde in der Ecke lächelt Papst Benedikt. Das Treffen war ihr „eine große Ehre und Freude“, sagt sie – um dann gleich in ihren Diplomatenmodus zu schalten.
Sie habe mit dem „Heiligen Vater“ die Herausforderungen der Kirche besprochen, der EU, der ganzen Welt. Klimaschutz, Afghanistan, sie ist schnell bei den ganz großen Themen. Auch den Kindesmissbrauch in der Kirche spricht sie an. „Die Wahrheit muss ans Licht kommen“, sagt sie, das Thema müsse „aufgearbeitet werden“.
Merkel und ihre „Liebe zu Italien“
Merkel wirkt nicht wie eine Politikerin auf Abruf. Die 67-Jährige scheint noch voller Tatendrang, professionell und aufgeräumt wie immer, kaum Platz für Wehmut. Nach einem kurzen Blazerwechsel von schwarz auf weiß geht es Richtung Palazzo Chigi, den Amtssitz des Ministerpräsidenten.
Von Mario Draghi wird sie mit warmen Worten empfangen, er bedankt sich für „ihre prägende Rolle, die sie in den 16 Jahren für die Zukunft Europas“ hatte. Ob Euro-Krise oder Pandemie – die Kanzlerin habe Deutschland und Europa mit „Ruhe, Entschlossenheit und ernsthaftem Europäismus“ geführt.
Merkel sei ein „Champion des Multilateralismus“, sagt Draghi und hofft, Merkel auch künftig in Italien zu sehen, „vielleicht auch bei etwas entspannteren Gelegenheiten“. Die Liebe zu Italien habe er bei ihr gesehen.
Merkel macht seit Jahren im Süden Urlaub, geht mit Ehemann Joachim Sauer gern wandern in Südtirol. Der Chemiker ist seit Kurzem Auslandsmitglied der Universität Turin, könnte künftig also öfter zu Seminaren und Kongressen eingeladen werden. Ob Merkel dann mit dabei ist? Sie hat sich noch nicht zu ihren Zukunftsplänen geäußert, Angebote gibt es sicher genug. Ihre Liebe zu Italien werde sie „noch ganz anders leben können, wenn ich nicht mehr Bundeskanzlerin bin“, sagt sie zu Draghi.
Die Welt als Schicksalsgemeinschaft
Bevor sie Richtung Berlin aufbricht, erklimmt sie am Nachmittag die große Bühne, die vor dem Colosseum aufgebaut ist. Merkel steht vorne am Pult, hinter ihr sitzen der Papst und andere Vertreter der Weltreligionen, die sich zum internationalen Friedensfest treffen. Die Sonne scheint Merkel ins Gesicht, als sie vor dem mehr als 2000 Jahre alten Monument über Respekt redet, über Kriege und Konflikte, die „uns an der Fähigkeit zur Menschlichkeit zweifeln lassen“.
An die Bilder aus den Krisenregionen dürfe man sich nicht gewöhnen. „Menschliches Leid wird nicht relativiert durch geografische Ferne“, betont Merkel. Auch beim Klimawandel brauche es das Bewusstsein, dass „wir als Weltgemeinschaft eine Schicksalsgesellschaft sind“.
Es ist ein globaler Appell, den sie schon bald in reale Politik ummünzen kann: Wenn die Ampelkoalitionäre nicht auf Turbo schalten, kommt sie schon in gut drei Wochen zurück nach Rom. Dann treffen sich hier die Staats- und Regierungschefs der G20-Staaten. Es könnte dann ihr wirklich letzter großer Auftritt werden.
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