Der Kampf gegen die globale Erderwärmung kann nur gewonnen werden, wenn die Länder der Welt ihr Wissen und ihre Anstrengungen bündeln. Das Handelsblatt stellt Klimapioniere und ihre Projekte sowie die Umweltstrategie ihrer Heimatländer vor.
Klimapioniere – Teil 5 Eine kleine Kanaren-Insel wird zum Vorbild für die Kombination von Erneuerbaren

Die Anlage erzeugt Energie für die gesamte Insel.
Madrid Das Natursymbol der Kanaren-Insel El Hierro ist der Phönizische Wacholder – ein Baum, der aussieht wie ein Langhaarschopf im Starkwind: Die Äste krümmen sich im 90-Grad-Winkel zu einer Seite und lassen nur dort Zweige und Blattwerk sprießen. Der eigenartige Wuchs ist den kräftigen Passatwinden geschuldet, die oft über die Vulkaninsel im Atlantik hinwegfegen.
Das Projekt
Diese natürliche Energie wollte sich die Inselregierung zunutze machen. Die Verwaltung hält viel auf ihre Naturnähe, die Unesco erklärte die Insel im Jahr 2000 zum Biosphärenreservat. „Wir wollten nicht länger von Brennstoffen für unsere Energieversorgung abhängig sein und haben deshalb an einem neuen System gearbeitet“, sagt Alpidio Armas, Chef der Inselregierung im Gespräch mit dem Handelsblatt. Abgeschnitten von den großen Stromnetzen des Festlandes produzierte El Hierro seine Energie zuvor allein mit Diesel-betriebenen Generatoren. Das ist eine der umweltschädlichsten Formen der Energieerzeugung, die aber auf den Kanaren wie auf den meisten Inseln die Regel ist.
Um das zu ändern, baute El Hierro ein weltweit neuartiges System: Es kombinierte die wetterabhängige Windkraft mit einem Pumpspeicherkraftwerk. Das eigens gegründete Unternehmen „Gorona del Viento“ installierte auf dem Bergrücken der Insel fünf Windräder mit einer Kapazität von 11,5 Megawatt. An sich reicht das für den Strombedarf der gerade einmal 11.000 Einwohner auf der 270 Quadratkilometer großen Insel. Das Problem aber ist, dass der Wind eben nicht immer bläst und es bislang keine Batterie gibt, die potent genug wäre, die erzeugte Energie zu speichern.
Gorona del Viento baute deshalb zusätzlich ein Pumpspeicherkraftwerk mit der gleichen Kapazität. Es besteht aus zwei Speicherseen – einer befindet sich auf dem Bergrücken, es ist der ehemalige Vulkankrater, einen zweiten baute das Unternehmen im Tal. Reicht der Wind nicht für die benötigte Energie, lässt Gorona del Viento das Wasser von oben nach unten rauschen, das dabei Turbinen anwirft, die Strom erzeugen.
Der Clou daran ist, dass die Energie, die zum Hochpumpen des Wassers benötigt wird, von der überschüssigen Windenergie stammt, die gerade nicht für das Stromnetz benötigt wird. „Die Insel hat so das große Problem gelöst, das erneuerbare Energien heute noch haben: ihre fehlende Speichermöglichkeit“, sagt Diego Rodríguez Rodríguez, Wirtschaftsprofessor an der Complutense-Universität in Madrid und Mitglied der Expertenkommission für Szenarien der Energiewende, die die spanische Regierung 2017 eingerichtet hat.
Im Juli 2015 ging das kombinierte Wind-Pumpspeicherkraftwerk mit seiner vollen Leistungsfähigkeit ans Netz. 2018 hat El Hierro 56 Prozent seines Strombedarfs damit produziert. Diesen Sommer deckte die Insel 24 Tage lang ihre Energie zu 100 Prozent ununterbrochen mit der Kraft der Passatwinde und der Hydraulik ab – ein neuer Rekord. In isolierten Gebieten wie Inseln ist die Nutzung von Erneuerbaren deutlich schwieriger als auf dem Festland, wo große Netzverbünde mehrere Sicherungsmechanismen für Nachfragespitzen oder den Ausfall von Sonnen- oder Windenergie bieten.
Eine Herausforderung des neuen Systems bestand deshalb darin, die kräftigen Böen und plötzlichen Flauten der Passatwinde so abzufedern, dass kein Loch in der Energieerzeugung entsteht. „Das hydraulische System springt innerhalb von Millisekunden an, wenn der Wind nachlässt, um die Stabilität der Energieversorgung zu gewährleisten“, erklärt Felix Boda, der für die Infrastruktur von Gorona del Viento verantwortlich ist. „Die technischen Komponenten gab es bereits, weltweit neu aber war, dass wir Wind und Wasser kombiniert haben und in der Praxis nutzen.“
Ursprünglich war das Ziel, mit dem System den kompletten Energiebedarf des Archipels abzudecken. Aber das untere Wasserbassin des Pumpwerks musste aus geografischen Gründen kleiner ausfallen als geplant, was die Speicherkapazität verringerte. „Wenn der Wind länger als drei oder vier Tage nicht bläst, ist die Energie aus dem Pumpspeicherkraftwerk aufgebraucht und wir müssen auf den Diesel zurückgreifen“, erklärt Armas. Er ist nicht nur Regierungschef der Insel, sondern auch Chef von Gorona El Viento, an dem die Inselregierung 66 Prozent hält.
Um das Ziel von 100 Prozent Erneuerbaren zu erreichen, will Armas das System nun erweitern. „Wir prüfen die Installation von Photovoltaik-Anlagen, Energiegewinnung aus Meereswellen, aber auch die neueste Generation Batterien“, sagt er. Der Inselvater will zudem innerhalb der kommenden zwei Legislaturperioden die komplette Fahrzeugflotte von El Hierro auf elektrische Antriebe umstellen. Dazu hat er sieben Ladestationen gebaut, wo Nutzer E-Autos gratis aufladen können. Käufer von Elektrowagen erhalten Subventionen.
Das Geld dafür nimmt er aus den Überschüssen, die Gorona del Viento bereits erwirtschaftet. Das aber liegt nach Einschätzung von Experte Rodríguez daran, dass der spanische Staat das Inselprojekt „klar überbezahlt“ hat.
Der Bau der Anlage hat 81 Millionen Euro gekostet. Davon finanzierte die spanische Regierung direkt 35 Millionen, die übrigen 46 Millionen übernahm die Inselregierung. Die Stromerzeugung auf den vom großen Netz abgeschnittenen Inseln ist per se teurer als auf dem Festland. Da der spanische Staat die Mehrkosten nicht auf die Verbraucher umwälzen will (in Spanien zahlen alle Bewohner denselben Strompreis), hilft er Unternehmen wie Gorona del Viento finanziell.
Den Schlüssel für diese Entschädigung hat er laut Rodríguez bei Gorona del Viento schlecht berechnet. „Das Unternehmen ist schon vier Jahre nach der Inbetriebnahme für die kompletten Investitionskosten entschädigt worden – viel früher als vorgesehen“, sagt er. Eine Studie der Universität von Las Palmas kritisierte die hohen Kosten des neuen Stroms im Vergleich zum Diesel. Nachahmern rät Rodríguez deshalb, solche Entschädigungsexzesse zu vermeiden oder Mechanismen zu etablieren, die eine schnelle Korrektur ermöglichen, falls sie auftreten.
Die Erkenntnis
Zahlreiche internationale Gruppen sind bereits nach El Hierro gekommen, um sich die Technik anzusehen – unter anderem aus Brasilien, Japan, den Seychellen, Dänemark und Schweden. Eine erste Kopie gibt es bereits: Die kleine griechische Insel Ikaria nahm im Juni ein Pumpspeicherkraftwerk in Betrieb, das ebenfalls mit Windenergie betrieben wird. Das Projekt namens Naeras soll die Hälfte des Energiebedarfs der gut 8.500 Inselbewohner abdecken.
Der spanische Netzbetreiber Red Electrica baut in Chira Soria auf Gran Canaria ein mit erneuerbaren Energien betriebenes Pumpspeicherkraftwerk mit einer Kapazität von 200 Megawatt – 17 Mal größer als die von El Hierro. Mit ihren rund 850.000 Einwohnern benötigt Gran Canaria deutlich mehr Strom. „Die Kombination von Pumpenanlagen mit Windenergie hat ein großes Entwicklungspotenzial“, ist Experte Rodríguez überzeugt.
Das System lässt sich überall anwenden, wo die natürlichen Gegebenheiten für Windturbinen und Höhenunterschiede für Pumpspeicherkraftwerke gegeben sind, etwa in bergigen Gebieten. Besonders interessant ist es aber für Inseln, weil sie dringender als das Festland neue Formen der Energieerzeugung und -speicherung brauchen.
Allein die EU hat 2.200 bewohnte Inseln. Ihre weit verbreitete Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen hat für die Umwelt erhebliche Konsequenzen, wie das Beispiel Spanien zeigt: 15 Prozent der spanischen Treibhausgasemissionen, die bei der Stromproduktion anfallen, stammen allein von den Kanaren und den Balearen – obwohl sie nur fünf Prozent des spanischen Stroms produzieren. Die Stromproduktion ist der drittgrößte Verursacher von Treibhausgasen, hinter dem Transport und der Industrie.
El Hierro hat seit Juli 2015 insgesamt 80.000 Tonnen Treibhausgase (vor allem CO2) weniger in die Atmosphäre geblasen als vorher und bis Ende 2018 21.000 Tonnen Diesel eingespart. Finden die Inseln einen Weg, ihren Strom mit Erneuerbaren zu produzieren, tragen sie deutlich zu den Klimaschutzzielen bei, die sich Spanien gegeben hat.
Die Strategie von Spanien
Im spanischen Ministerium für ökologischen Wandel heißt es, die Inseln agierten seit einiger Zeit als Art Laboratorium unter freiem Himmel, womöglich weil sie besonders bedroht vom Klimawandel sind. „Die erneuerbare Zukunft unserer Inseln ist nicht nur positiv, sondern notwendig, wenn Spanien seine Verpflichtungen aus dem historischen Pariser Abkommen zur Bekämpfung des Klimawandels erfüllen will“, heißt es im Ministerium.
Es arbeitet deshalb mit dem nationalen Institut für die Diversifizierung und die Einsparung von Energie (IDAE) an einer Strategie, um Erneuerbare auf den Inseln voranzutreiben. Dazu gehören Finanzhilfen, die auch über den EU-Fonds für regionale Entwicklung fließen sollen.
Die Inselstrategie ist Teil eines ambitionierten Klimaschutzplans der sozialistischen Regierung. Ministerpräsident Pedro Sánchez will den Anteil der Erneuerbaren an der kompletten Energienutzung bis 2030 auf 42 Prozent steigern. Damit geht er deutlich über das Ziel der EU von 32 Prozent hinaus. Der Anteil der fossilen Energieträger auf den spanischen Inseln soll in dem Zeitraum um „mindestens 50 Prozent sinken“. Das Ziel ist ehrgeizig: 2017 lag der Anteil der Erneuerbaren in Spanien bei knapp 18 Prozent – wie der EU-Durchschnitt.
Sánchez hat den Kampf gegen den Klimawandel zu einem zentralen Element seiner Politik gemacht, nachdem er Mitte 2018 durch ein Misstrauensvotum an die Regierungsspitze kam. Er schuf ein Ministerium für den „ökologischen Wandel“ und setzte mit Teresa Ribera eine anerkannte Expertin an dessen Spitze.
Die starke Wirtschaftskrise, die in Spanien 2008 einsetzte, hatte dazu geführt, dass der Klimaschutz eher stiefmütterlich behandelt wurde. In der Krise kürzte die konservative Regierung die zuvor üppige Subventionierung von Erneuerbaren, um ihre Staatsschulden zu verringern. Zwischen 2013 und 2016 wurden deshalb kaum neue Anlagen installiert. Zudem besteuerte sie 2015 die Photovoltaik für den Eigengebrauch und hielt die Spanier so davon ab, den Preisverfall bei Solarpanels für die eigene Stromerzeugung zu nutzen. Ribera bezeichnete die Steuer als „absurd“ und schaffte sie im Herbst 2018 gleich wieder ab.
Inzwischen sind auch die Preise für Windturbinen so weit gesunken, dass sich deren Betrieb zumindest auf dem Festland auch ohne Subventionen rechnet. Seit 2017 steigt die Zahl der Installationen von Erneuerbaren deutlich. Der spanische Energieversorger Iberdrola etwa will in Extremadura Europas größten Solarpark bauen. Die Nachrichtenagentur Bloomberg bezeichnet Spanien als „Europas heißesten Markt für Erneuerbare“. Das Land eignet sich mit seiner Sonne und großen freien Flächen bestens für Solar- und Windkraft.
Auch die spanischen Inseln sind reich an Wind und Sonne. Um die zu nutzen, benötigen sie zwar staatliche Hilfe, doch die Rendite der Umstellung ist wegen ihrer Abhängigkeit vom Diesel für das Klima auch deutlich größer.
Mehr: Für viele Bürger war die Energiewende bisher nur eine finanzielle Belastung. Neue Wege bei Wind- und Solarprojekten dürften die Akzeptanz erhöhen.
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"... ein weltweit neuartiges System: Es kombinierte die wetterabhängige Windkraft mit einem Pumpspeicherkraftwerk."
Wenn man so einen Unsinn gleich zum Einstieg schon lesen muss, verliert man doch sofort die Lust an dem Rest des Artikels, denn offensichtlich war hier doch ein Schreiberling am Werk, der es mit der Wahrheit zugunsten nicht haltbarer Superlative nicht so genau nimmt.
Saubere und wahrheitsgetreue Formulierungen gehören zu gutem Journalismus einfach mal untrennbar dazu.
Pumpspeicherwerke sind eine gute Sache, und es gibt sie seit etwa 100 Jahren. Vor mehr
als 60 Jahren habe ich das Pumpspeicherwerk Vianden an der luxemburgischen Grenze
besucht. Natuerlich sind diese Anlagen nur in bergigem Gelaende moeglich.