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Klimaschutz Milliardenpoker um CO2-Abgabe – EU setzt Handelspartner unter Druck

Die EU will CO2-intensive Produkte aus dem Ausland teurer machen, um europäische Jobs zu schützen. Doch es besteht die Gefahr eines Handelskrieges. Die Industrie ist daher skeptisch.
09.03.2021 - 19:38 Uhr Kommentieren
Es ist schwer zu überprüfen, wie viel CO2 bei der Produktion einer Ware im Ausland anfällt. Quelle: Getty Images; Per-Anders Pettersson
Stahlproduktion in den USA

Es ist schwer zu überprüfen, wie viel CO2 bei der Produktion einer Ware im Ausland anfällt.

(Foto: Getty Images; Per-Anders Pettersson)

Brüssel, Berlin Die EU nimmt Kurs auf das Vorhaben, Produkte aus dem Ausland bei der Einfuhr mit einer CO2-Abgabe zu belasten. Damit soll verhindert werden, dass die europäische Industrie – etwa Stahl- oder Chemieunternehmen – im internationalen Wettbewerb Nachteile erleidet.

Denn die hiesigen Unternehmen sind zur Teilnahme am europäischen Emissionshandelssystem verpflichtet und zahlen für die Emission jeder Tonne CO2 einen Preis. Derzeit sind es 25 Euro, Tendenz steigend.

Das Europäische Parlament ebnet in dieser Woche den Weg für die neue Abgabe, die offiziell CO2-Grenzausgleichsmechanismus (Carbon Border Adjustment Mechanism, kurz CBAM) heißt. Bereits am Montag fasste das Parlament den entsprechenden Beschluss, dessen Ergebnis am Mittwoch bekanntgegeben wird.

Eine klare Mehrheit für die Einführung der Regelung gilt als sicher. Nun ist es die Sache von EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans, bis Juni eine entsprechende Regelung zu entwerfen.

Timmermans müssen die Parlamentarier nicht überzeugen, er wirbt ohnehin seit Monaten für die Lösung. „Für unsere Industrie ist das eine Frage des Überlebens“, sagte er erst im Januar. „Wenn andere sich nicht in die gleiche Richtung bewegen, müssen wir die EU gegen eine Verzerrung des Wettbewerbs schützen und gegen das Risiko des ‚Carbon Leakage‘.“

Unterstellt man die Preise des europäischen Emissionshandels, geht es Jahr für Jahr um hohe Summen: Die CO2-Grenzausgleichsabgabe könnte nach Expertenschätzungen Jahr für Jahr Milliarden in die Kassen der EU spülen.

„Für unsere Industrie ist das eine Frage des Überlebens.“ Quelle: Getty Images; Per-Anders Pettersson
Frans Timmermanns

„Für unsere Industrie ist das eine Frage des Überlebens.“

(Foto: Getty Images; Per-Anders Pettersson)

Als „Carbon Leakage“ bezeichnet man in der EU den Effekt, dass energieintensive Produktionen im Ausland stattfinden, um die CO2-Abgaben in der EU zu vermeiden. Die Wertschöpfung in der EU geht dadurch verloren, ohne dass es einen positiven Effekt auf das Klima gäbe.

Die Idee, „Carbon Leakage“ durch eine Abgabe für Importe zu verhindern, klingt schlüssig, doch es gibt Bedenken. Die Steuer könne zwar „eine große Chance für die europäische Industrie sein“, sagt Nicole Voigt von der Boston Consulting Group. „Aber die Maßnahmen müssen ganz präzise aufeinander abgestimmt werden. Das ist kein einfaches Unterfangen“, warnt Voigt.

Stahlbranche zahlt kräftig drauf

Tatsächlich stellt sich etwa die Frage, ob das neue Instrument bestehende Schutzmaßnahmen ergänzt oder komplett ersetzt. Ziel des EU-Parlaments ist es jedenfalls, die existierenden Schutzinstrumente abzuschaffen.

Bislang wird den zur Teilnahme am Emissionshandel verpflichteten Unternehmen geholfen, indem ihnen eine bestimmte Menge an Zertifikaten kostenlos zugeteilt wird. Die Höhe der Zuteilung richtet sich nach einem Benchmark-System, die Menge der zugeteilten Zertifikate sinkt von Jahr zu Jahr. Die Unternehmen müssen daher Jahr für Jahr mehr Zertifikate kaufen.

In der aktuellen Emissionshandelsperiode, die im Januar begonnen hat, fehlen beispielsweise den Unternehmen der Stahlindustrie nach eigenen Angaben rund 20 Prozent der Zertifikate, mit steigender Tendenz Richtung 2030. 2030 endet die laufende Handelsperiode.

„Bereits bei einem CO2-Preis von 40 Euro pro Tonne entstehen der Stahlindustrie in Deutschland in der Handelsperiode Mehrkosten von 5,2 Milliarden Euro“, sagt Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Dadurch würden den Unternehmen die für Klimaschutz-Investitionen dringend benötigten Mittel entzogen.

Die kostenlose Zuteilung ist jedoch aus Sicht der Mehrheit der EU-Parlamentarier nicht mehr der richtige Weg, um die Unternehmen zu schützen. Sie argumentieren, das System senke den Anreiz, klimafreundlicher zu produzieren. Daher soll die EU das System auf eine andere Basis stellen: Kostenlose Emissionszertifikate soll es nicht mehr geben. Stattdessen soll auf Produkte aus dem Ausland die neue Abgabe erhoben werden.

Die Stahlunternehmen sind alarmiert: Es sei völlig unklar, ob das neue Instrument „verhindern kann, dass die energieintensive Industrieproduktion statt in Europa künftig in anderen Regionen der Welt zu geringeren Klimaschutz-Bedingungen erfolgt“, sagt Kerkhoff.

Angst vor Handelskonflikten

Am liebsten hätte die Branche beides: frei zugeteilte Zertifikate und zusätzlich einen Grenzausgleich für die ausländische Konkurrenz. Doch das könnte ein Problem des Gesetzes verschärfen, das einige ohnehin für kaum überwindbar halten: Es könnte den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) widersprechen. Denn die WTO erlaubt es nur in Ausnahmefällen, ausländische Produkte am Markt zu benachteiligen.

Herbert Eibensteiner, CEO des österreichischen Stahlkonzerns Voestalpine, pocht daher auf „ein Höchstmaß an Rechtssicherheit“. Das System müsse den Regeln der Welthandelsorganisation entsprechen, sagte Eibensteiner dem Handelsblatt. Handelskonflikte müssten weitestgehend vermieden werden.

Die Europaparlamentarier sehen das Problem. „Wir können der Industrie keine CO2-Zertifikate schenken und sie gleichzeitig mit einer Grenzsteuer vor der Konkurrenz aus dem Ausland schützen“, sagt die SPD-Europaabgeordnete Delara Burkhardt. „Wenn wir das machten, würden wir einen Handelskonflikt heraufbeschwören.“

Der CDU-Europaabgeordnete Daniel Caspary hält es ohnehin für sehr schwierig, eine WTO-kompatible Regelung zu finden: „Die Idee ist noch nicht ausgegoren“, sagt er. „Seit 15 Jahren wird eine solche Steuer diskutiert, ohne dass es einen schlüssigen Vorschlag dazu gab.“

Denn es sei schier unmöglich, zu überprüfen, wie viel CO2 bei der Produktion einer Ware im Ausland angefallen sei, und in welchem Umfang CO2-Abgaben dafür gezahlt worden seien. In den Regeln der WTO sei eine Prüfung, unter welchen Bedingungen eine Ware hergestellt wurde, nicht vorgesehen, argumentiert Caspary.

Die Vereinbarkeit mit den WTO-Regeln ist dem Europaparlament so wichtig, dass sie sogar im Titel des aktuellen Beschlusses auftaucht. Der heißt: „Auf dem Weg zu einem mit den WTO-Regeln zu vereinbarenden CO2-Grenzausgleichssystem“. Der Grund dafür ist, dass sich die EU schon mit der Diskussion über dieses System dem Vorwurf aussetzt, die eigenen Unternehmen vor Konkurrenz zu schützen. Nach den WTO-Regeln darf solcher Protektionismus mit Strafmaßnahmen beantwortet werden.

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Die EU kann kein Interesse daran haben, einen Handelskrieg anzuzetteln. Dass sie ihre Handelspartner mit dem Vorhaben unter Druck setzt, ist aber klar. Burkhardt spricht von einer „globalen Initiative“ zur Bepreisung von CO2. Aus Sicht Chinas oder Russlands bedeutet der Grenzausgleich, dass ihre Exporte teurer werden.

Für den CO2-Grenzausgleich kommt starke Unterstützung von den Grünen im Europaparlament. „Ein CO2-Grenzausgleich ist notwendig. Es kann nicht sein, dass wir der Industrie sagen, ihr müsst sauber produzieren, die damit aber keine Chance mehr gegen tonnenweise klimaschädlichen Stahl aus anderen Teilen der Welt hat“, sagte der klimapolitische Sprecher der Grünen im Europaparlament, Michael Bloss, dem Handelsblatt.

„Wenn wir vorangehen, ziehen andere nach“, hofft der Europaabgeordnete. Beim CO2-Grenzausgleich gehe es darum, den richtigen Rahmen für die Dekarbonisierung der Wirtschaft zu setzen. „Handeln wir nicht, wird das Milliardenkosten für die Wirtschaft verursachen“, sagte Bloss voraus.

Allerdings warnen auch die Grünen vor unerwünschten Nebenwirkungen. „Da die Menge der Emissionsberechtigungen zurückgeht und die Preise im bestehenden Emissionshandelssystem steigen, ist eine Form des Grenzausgleichs grundsätzlich unumgänglich, wenn wir eine Abwanderung der energieintensiven Industrie verhindern wollen“, sagte Dieter Janecek, industriepolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion. Es müsse aber sichergestellt sein, dass der Grenzausgleichsmechanismus auch verlässlich greife, wenn die kostenlose Zuteilung auslaufe.

Deutsche Industrie ist skeptisch

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ist grundsätzlich skeptisch. „Die von der EU-Kommission diskutierten Grenzausgleichsmechanismen können den bestehenden Carbon-Leakage-Schutz nicht ersetzen und werden weltweit von vielen Handelspartnern sehr kritisch gesehen. Deshalb müssen solche Instrumente intensiv mit anderen Staaten konsultiert und zunächst vorsichtig in einzelnen dafür geeigneten Branchen getestet werden“, sagte Carsten Rolle vom BDI.

Das Argument, wichtige Handelspartner arbeiteten an vergleichbaren Instrumenten, hält Rolle für wenig stichhaltig: „Ohne konkrete Anstrengungen zur CO2-Bepreisung und eine einheitliche methodische Erfassung ist ein Grenzausgleich missbrauchsanfällig und bietet allein keinen ausreichenden Schutz“, sagt er.

Mehr: Allianz-Chefvolkswirt Subran: Die EU schlägt ein neues Kapitel in der Klimapolitik auf

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