Klimaschutz Nach Glasgow: Industrie fordert internationalen CO2-Handel

CO2-Zertifikate aus dem Ausland wären billiger als die im europäischen Emissionshandel.
Brüssel, Berlin Das beste Instrument, das Klima zu schützen, sind CO2-Märkte – das sehen die meisten Ökonomen und Klimawissenschaftler mittlerweile so. Denn wenn CO2-Ausstoßrechte gehandelt werden, führt das dort zu Einsparungen, wo diese am billigsten zu erwerben sind. Je größer ein solcher Markt ist, desto günstiger wird der Klimaschutz.
Die UN-Klimakonferenz in Glasgow hat die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass CO2-Zertifikate international gehandelt werden können. Solche Zertifikate können etwa durch Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern erzeugt werden. Mit den Emissionen, die dort eingespart werden, könnten sich Industriestaaten von ihren eigenen Klimaschutzverpflichtungen freikaufen.
Für europäische Unternehmen wäre ein Zugriff auf dieses neue Instrument sehr reizvoll. „Die Preise im Emissionshandel sind schon jetzt eine große Last für die Unternehmen“, sagt Jörg Rothermel vom Verband der Chemischen Industrie (VCI). „Günstige Zertifikate aus dem Ausland wären ein Ventil, mit dem sich der Druck mindern ließe.“
Europäische Industrieunternehmen müssen Zertifikate für das CO2 kaufen, das sie ausstoßen. Der Preis dafür steigt. Könnten sie sich diese Zertifikate über Klimaschutzprojekte aus dem Ausland besorgen, würden sie viel Geld sparen. Der Europäische Unternehmensverband Businesseurope spricht von 215 Milliarden Euro Einsparungen – pro Jahr.
„Die EU sollte den europäischen Emissionshandel mit dem internationalen Emissionshandel verknüpfen“, sagt VCI-Experte Rothermel. „Dann würde CO2 dort eingespart, wo es am günstigsten möglich ist.“
Auch der Klimaexperte Matthias Zelinger vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau sagt: „Die Option, internationale CO2-Zertifikate im europäischen Emissionshandel zuzulassen, sollte man nicht aus dem Auge verlieren.“
Hilfe für Schwellenländer
Doch bis dahin ist es trotz des Erfolgs von Glasgow ein weiter Weg. „Nach der Einigung in Glasgow über das Regelwerk liegt der Ball nun bei der Europäischen Union“, sagt Carsten Rolle vom Bund der Deutschen Industrie (BDI). „Die EU sollte Anreize im europäischen Emissionshandel schaffen, sodass sich Minderungsanstrengungen aus internationalen Kooperationsprojekten auch anrechnen lassen.“
Die EU hat jedoch beschlossen, ihr Klimaziel 2030 durch eigene Einsparungen erreichen zu wollen. Auch in der aktuell diskutierten Reform des Emissionshandels sind Zertifikate aus dem Ausland nicht vorgesehen.
Der zuständige Europaabgeordnete Peter Liese (CDU) sagt: „Die Unternehmen müssen investieren, damit wir 2050 klimaneutral sein können“. Zertifikate aus dem Ausland zu kaufen verschiebe das Problem „nur in die Zukunft und kostet zusätzliches Geld“.
Eine Möglichkeit gibt es aber, wie sich der Beschluss von Glasgow auf den europäischen Klimaschutz auswirken könnte: Die EU hat bisher Klimaziele für 2030 und für 2050 festgelegt, aber bisher keines für 2040. Denkbar wäre, dass dieses Ziel nicht zu 100 Prozent über eigene Einsparungen erreicht wird, sondern zum Teil über Investitionen auf anderen Kontinenten.
„Beim noch zu definierenden europäischen Klimaziel für 2040 sollten wir zulassen, dass ein Teil der CO2-Reduzierungen über internationale Maßnahmen realisiert werden kann“, sagt die Bundestagsabgeordnete Anja Weisgerber (CSU). „Das wäre eine Win-win-Situation für die Mitgliedstaaten, die europäischen Unternehmen und die Schwellenländer.“ Um die weltweiten Klimaziele zu erreichen, müssten die Entwicklungs- und Schwellenländer ihre Wirtschaft von Beginn an klimafreundlich aufbauen, so die umweltpolitische Sprecherin der Unionsfraktion.
Artikel 6 setzt umstrittene Anreize
Die in Glasgow festgelegten Regeln sollten dazu führen, dass Unternehmen aus Industriestaaten ärmere Länder beim Klimaschutz unterstützen. Diese Regeln sind notwendig, damit keine Emissionen doppelt angerechnet werden. Das klingt simpel, war aber schon in Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens von 2015 festgelegt worden und beschäftigte die Unterhändler danach sechs Jahre lang. Einige Schlupflöcher sind auch jetzt noch geblieben.
Umweltschützer kritisieren noch mehr: „Für ärmere Länder entsteht ein perverser Anreiz, keine ambitionierten Klimaziele auszurufen“, sagt Anne Gläser von Germanwatch. Denn ein Spielraum, im Namen von reichen Ländern CO2 einzusparen, haben diese Länder nur, wenn sie zuvor ihre Möglichkeiten für den Klimaschutz nicht ausnutzen.
„Viele CO2-Zertifikate könnten dadurch entstehen, dass Länder ihre eigenen Ziele zu niedrig ansetzen“, sagt Gläser. Auch CDU-Politiker Liese sagt: „Wer zusätzlich CO2 einsparen kann, soll lieber sein eigenes Klimaschutzziel entsprechend erhöhen.“
Möglich wäre auch, dass Firmen die neuen CO2-Zertifikate kaufen, um sich klimaneutral nennen zu können. Gerade private Unternehmen könnten sich ihre Klimabilanz schönrechnen, ohne effektiv etwas für den Klimaschutz zu machen, warnt der Grünen-Europaabgeordnete Michael Bloss. „Die globalen Kohlenstoffmärkte dürfen nicht zu Türöffnern für Greenwashing werden“, sagt er. „Wir laufen Gefahr, dass heiße Luft als CO2-Minderung auf dem Markt verkauft wird.“
Innovationen statt sich freizukaufen
Die EU-Kommission will ohnehin lieber, dass Klimaschutzinvestitionen in Europa stattfinden als woanders auf der Welt. Vizepräsident Frans Timmermans sieht es als Innovationsprogramm, wenn europäische Unternehmen alles daransetzen, die saubersten Technologien zu entwickeln, die sie später in alle Welt exportieren können.
Um das weiter voranzutreiben, stellte er am Dienstag sieben Projekte vor, die mit Geld aus dem europäischen Innovations-Fonds gefördert werden sollen. Externe Experten wählten Projekte aus, die das Potenzial haben, in großem Maßstab Treibhausgase zu reduzieren und bei denen die Planung weit genug ist, dass sie schnell umgesetzt werden können.
Unter den Projekten sind Ansätze zum Produzieren grünen Stahls, zur CO2-Abscheidung in der Zementproduktion, zur Produktion einer neuen Generation von Photovoltaikanlagen und zur Methanolgewinnung aus Abfällen.
Damit solche Technologien möglichst bald eine Chance am Markt haben, ist es aus Sicht der EU-Kommission wichtig, dass der CO2-Preis hoch bleibt.
Mehr: Einigung bei Weltklimakonferenz – Das sind die Ergebnisse
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