Konflikte in Osteuropa Warnung aus Washington: Russland baut militärische Präsenz im ukrainischen Grenzgebiet stark aus

Putin ist nicht gewillt, den Europäern in der Belarus-Krise zu helfen und Lukaschenko zurückzupfeiffen.
Brüssel, Moskau Die Welt schaut auf die dramatische Situation im belarussisch-polnischen Grenzgebiet. Doch für Russland handelt es sich dabei aber nur um einen Nebenschauplatz seiner Machtpolitik, der gut zur Ablenkung taugt: Die USA haben russische Truppenbewegungen an der Grenze zur Ukraine beobachtet – und eine Warnung ausgesprochen.
Auch im Fall Weißrussland zeigt Russland militärische Präsenz: Am Donnerstag schickte Moskau zwei atomwaffenfähige Kampfflugzeuge für militärische Übungen dorthin. Das war das zweite Mal innerhalb von zwei Tagen.
Damit ist deutlich: Russlands Machthaber Wladimir Putin lehnt es nicht nur ab, den Europäern bei der Weißrussland-Krise zu unterstützen und seinen Verbündeten Lukaschenko zurückzupfeifen – Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte in dieser Angelegenheit extra mit ihm telefoniert –, er nutzt die derzeitige Lage auch aus, um seine eigene auf Expansion ausgerichtete Politik weiterzuverfolgen.
Bereits in diesem Frühjahr hatte es umfangreiche russische Militäraktivitäten an der Grenze zur Ukraine gegeben. Tausende Soldaten wurden auf die von Russland annektierte Krim-Halbinsel verlegt, Marineschiffe und Luftwaffenflugzeuge waren im Einsatz; allgemein wurde schwere Militärausrüstung gesichtet.
Im Westen befürchtete man daraufhin, dass Russland plane, in die Ukraine einzumarschieren. Russland sprach hingegen von einer militärischen Übung und zog seine Soldaten nach einigen Wochen wieder ab.
„Russland wendet hier die klassische Einschüchterungstaktik an, die auch von der Sowjetunion häufig eingesetzt wurde“, sagte die Grünen-Europaparlamentarierin Viola von Cramon dem Handelsblatt. Diese Taktik sei mit verhältnismäßig wenig Aufwand verbunden und ziele darauf ab, den Westen zu testen.
Dennoch geht davon eine große Gefahr aus. „Dieses Mal ist die Situation wegen der belarussischen Dimension noch komplexer“, so von Cramon. „Eine Möglichkeit ist, dass Russland darauf setzen könnte, dass durch die häufigen militärischen Aufmärsche eine Art ,Abnutzungserscheinung' auftritt, wodurch die Aufmerksamkeit im Westen für derartige Manöver sinken könnte.“
Das fatale Kalkül: Dadurch würde auch der internationale Aufschrei und Protest sinken – mit der Konsequenz, dass dem Kreml eine weitere Besetzung der Ukraine einfacher möglich ist.
Moskau betrachtet die Vorwürfe wiederum als Ablenkungsmanöver des Westens
Die russische Führung weist die Anschuldigungen aus Washington zurück. „Russland hat nie geplant und plant auch jetzt nicht, militärisch in die Ukraine einzumarschieren“, sagte der ständige UN-Vertreter Moskaus, Dmitri Poljanski.
Kremlsprecher Dmitri Peskow sprach von einem „leeren und unbegründeten Aufladen der Spannungen.“ Russland stelle für niemanden eine Bedrohung dar, sagte er. Die Gefahr gehe stattdessen vom Westen aus. Er kritisierte in dem Zusammenhang die außerplanmäßigen Flottenmanöver der Nato im Schwarzen Meer und „die aktive Aufklärungstätigkeit der Nato-Flugzeuge“ an den Grenzen Russlands. Zuvor hatte das russische Verteidigungsministerium mitgeteilt, dass die eigene Luftabwehr innerhalb eines Tages drei Kampfflugzeuge der Allianz über dem Meer gesichtet habe.
In Moskau sieht man die Vorwürfe des Westens ohnehin als Ablenkungsmanöver: Im Osten der Ukraine hat sich die Lage zuletzt verschärft. Ukrainische Truppen haben das Dorf Staromajewka in der sogenannten Grauen Zone eingenommen. Die Ortschaft liegt an der engsten Stelle der Separatistengebiete nur 30 Kilometer von der russischen Grenze entfernt, weshalb die prorussischen Milizen einen weiteren Vorstoß der Ukrainer und damit die Aufspaltung ihrer eigenen Kräfte in eine Nord- und Südhälfte fürchten. Auch Moskau äußerte seine Empörung und sieht einen Verstoß gegen das Minsker Abkommen.

Für Militärübungen gibt es Kriterien, die Russland nicht eingehalten habe, so eine EU-Beamtin.
Aus Kreisen der verschiedenen EU-Institutionen heißt es wiederum, man stehe voll und ganz auf der ukrainischen Seite und unterstütze sie beim Schutz ihres Territoriums. Zum Argument der Russen, es handele sich um Militärübungen, verwies eine EU-Beamtin darauf, dass es für solche entsprechende Kriterien gebe: „Zum Beispiel muss man die anderen Länder vorab darüber informieren – was hier aber nicht geschehen ist“, sagte sie am Freitag.
Die derzeitigen Geschehnisse beobachte man ganz genau, ist zudem in Brüssel zu hören. Man teile allerdings nicht die immense Sorge der Amerikaner. Die Lage sei nicht dramatischer als sonst.
„Die mögliche ernste Bedrohung sollte nicht ausgeblendet werden“, forderte dagegen EU-Abgeordnete von Cramon. „Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, EU-Ratspräsident Charles Michel sowie die Staats- und Regierungschefs müssen bei Putin persönlich vorstellig werden und klar zum Ausdruck bringen, dass solche Spielchen gefährlich und extrem kontraproduktiv sind.“
Die EU sollte alle diplomatischen Mittel nutzen, so von Cramon weiter. „Zum Beispiel die Einberufung des russischen Botschafters oder gegebenenfalls auch die Ankündigung, die Sanktionen gegen Russland zu verschärfen.“
Mehr: Kommentar: Die Belarus-Krise ist die letzte Generalprobe für eine ernst zu nehmende EU-Außenpolitik.
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