Konjunktur Osteuropas Wirtschaftsboom endet – Unternehmen werden skeptischer

Der Autobauer ist der größte Arbeitgeber Tschechiens.
Bratislava Nicht nur die Politik steht in der Slowakei nach der Wahl der liberalen, proeuropäischen Kandidatin Zuzana Caputova zur Staatspräsidentin vor einem Richtungswechsel, sondern auch die Konjunktur im Autoland. „Die Unternehmen werden skeptischer. Aber es gibt noch keine Krise“, sagte Peter Kompalla, Geschäftsführer der Deutsch-Slowakischen Industrie- und Handelskammer, zur Stimmung unter den europäischen Investoren in dem EU-Mitgliedsstaat in Bratislava.
„Die Investoren trauen der Gesamtwirtschaft nicht sehr viel zu“, sagt der langjährige Slowakei-Experte Norbert Halt. 34 Prozent der Befragten rechnen mit schlechteren Aussichten. Nur noch jedes zehnte Unternehmen erwartet noch, dass es mit der Wirtschaft in der Slowakei aufwärts geht. Das ist der schlechteste Wert seit Jahren.
Kein Land produziert weltweit pro Einwohner mehr Fahrzeuge als die Slowakei. In dem Euroland fertigen die Autokonzerne Volkswagen, PSA Peugeot und Kia. Zuletzt hatte der zum indischen Tata-Konzern gehörende britische Hersteller Jaguar Land Rover in der westslowakischen Stadt Nitra ein Werk eröffnet. Die starke Abhängigkeit von der Autokonjunktur ist das Hauptproblem des Landes.
Ökonomen erwarten eine Verlangsamung des Wirtschafswachstums. Die Konjunkturforscher des Wiener Instituts für internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) rechnen in diesem Jahr nur noch mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 3,6 Prozent, in den beiden Folgejahren sollen es drei Prozent und 2,5 Prozent sein.
An der Verlangsamung des Wirtschaftswachstums sind auch hausgemachte Probleme Schuld. Investoren empfinden die weitverbreitete Korruption und die mangelnde Rechtssicherheit als größtes Problem. Hinzu kommt ein eklatanter Fachkräftemangel, insbesondere im Westen der Slowakei, wo die Automobilindustrie überwiegend ansässig ist.
Mit ihren Problemen steht die Slowakei nicht allein da. Auch das Nachbarland Tschechien kämpft mit vergleichbaren Herausforderungen. Dort ist die Volkswagen-Tochter Skoda der größte Arbeitgeber des EU-Landes. Die deutschen Investoren spielen eine Schlüsselrolle für die tschechische Volkswirtschaft.
Nach einer Konjunkturumfrage der Deutsch-Tschechischen Industrie- und Handelskammer verhindern der Mangel an gut ausgebildeten Arbeitskräften, die steigenden Lohnkosten und die weit verbreitende Korruption eine höhere Attraktivität des Investitionsstandortes. Die befragten Unternehmen erwarten eine deutliche Eintrübung der Konjunktur in diesem Jahr. Jedes dritte Unternehmen prognostiziert eine Verschlechterung der Wirtschaftssituation.
Unternehmen leiden unter Fachkräftemangel
In der Industrie ist die Skepsis sogar noch größer. „Sorgen bereitet der Rückgang der Auslandsnachfrage, insbesondere beim tschechischen Exportmotor, der Automobilbranche“, sagte Bernard Bauer, Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer in Prag.
„Internationale wirtschaftspolitische Entwicklungen, sei es der Brexit oder Handelskonflikte, sowie teilweise hausgemachte Barrieren in Gestalt des akuten Fachkräftemangels und der rasant gestiegenen Löhne sorgen für Verunsicherung, die sich auch in den Erwartungen der Unternehmen abzeichnet.“
Der größte Makel für Investoren sei das Fehlen von Fachkräften. In diesem Jahr wird die Arbeitslosenrate nach der Prognose des wiiw in Tschechien auf 2,2 Prozent zurückgehen. Sie ist damit die niedrigste in der gesamten EU.
Ausländische Investoren greifen bereits zu Selbsthilfe, um überhaupt noch Nachwuchskräfte zu finden. Laut Industrie- und Handelskammer in Prag arbeite jedes zweite Unternehmen bereits mit Schulen zusammen. Jede vierte Firma bilde selbst aus. Investoren fordern schon seit Jahren ein Umdenken. „Es wird nötig sein, das Ausbildungssystem zu reformieren und mehr Möglichkeiten für eine Requalifizierung der bisherigen Berufsprofile zu schaffen“, mahnte Milan Šlachta, General Manager der Bosch Group in Tschechien.
Ähnlich wie in der Slowakei werden die immer höheren Lohnkosten zu einem Wettbewerbsnachteil. Die Unternehmen, allen voran die Automobilindustrie, greifen zu Lohnerhöhungen und Sonderleistungen, um die Beschäftigten nicht zu verlieren. In Tschechien rechnet jedes zweite Unternehmen mit einer Steigerung der Lohnkosten zwischen drei und acht Prozent. Die Experten des wiiw erwarten für das Land in diesem Jahr ein Wirtschaftswachstum von 2,6 Prozent. 2018 waren es noch drei Prozent und 2017 sogar 4,4 Prozent.
Doch nicht nur in den beiden Autoländer Tschechien und Slowakei wächst die Wirtschaft geringer, sondern Osteuropa insgesamt verlässt die konjunkturelle Überholspur. Das gilt für die Schwergewichte der Region wie Polen, Ungarn und Rumänien. In den EU-Bewerberländern wie Serbien, Albanien oder Montenegro mit Ausnahme von Nord-Mazedonien und Kosovo ist die gleiche Entwicklung zu beobachten.
„Der Boom, den ein Großteil der Region 2017 und 2018 erlebt hat, ist vorüber“, stellen die Ökonomen des wiiw fest. „Die Wachstumsraten werden sich in den nächsten beiden Jahren meist abschwächen.“
Die Ursachen sind fast immer dieselben: Das schwächere Wachstum der Weltkonjunktur, der Umbruch in der Autoindustrie, der Protektionismus der USA, Arbeitskräftemangel und höhere Löhne verlangsamen die wirtschaftliche Aufholjagd in Osteuropa.
Konjunkturabschwung in Deutschland trifft auch Südosteuropa
Die deutsche Konjunktur spielt für die Länder Südosteuropas eine Schlüsselrolle. „Die Region ist sehr exportanhängig. Deshalb stellt ein Abschwung in Deutschland ein großes Risiko dar“, sagte Richard Grieveson, Osteuropa-Experte des wiiw. Das treffe insbesondere Tschechien, Slowakei, Slowenien und Ungarn.
Die internationalen Ökonomen um Grieveson fordern Politiker und Unternehmen zum Handeln auf, damit es nicht zu einer wirtschaftlichen Stagnation in der Region kommt. Zu den von ihnen geforderten Maßnahmenkatalog gehört, die Abwanderung, insbesondere der Jungen und Ausgebildeten, zu verhindern.
Die Unabhängigkeit staatlicher Institutionen müsse gestärkt werden, um Rechtsicherheit herzustellen und Korruption sowie Vetternwirtschaft zu verhindern. Außerdem solle noch stärker die schulische und berufliche Ausbildung gefördert werden, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.