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Graffito im Kosovo

Vor zwanzig Jahren begann die Nato mit dem Bombardement Belgrads, um die serbischen Truppen zum Rückzug aus dem Kosovo zu zwingen.

(Foto: AFP)

Kosovo/Serbien Warum ein Landtausch zwischen Kosovo und Serbien ein Albtraum wäre

Ein Tausch von Gebieten zwischen Kosovo und Serbien könnte eine Grenzkorrektur bringen. Doch schon die Diskussion drücke seine Stadt in die Armut, sagt ein Bürgermeister.
13.04.2019 - 16:26 Uhr Kommentieren

Belgrad Wenn Armut einen Namen kennt, dann heißt er Presevo. Das Tal mit diesem Namen am Südrand von Serbien mit der Grenze zum Kosovo leidet unter einer Arbeitslosigkeit von 50 Prozent. Das Durchschnittsgehalt liegt nach lokalen Angaben bei 300 Euro im Monat. „Die Preise für Eigentumswohnungen haben sich von 700 Euro pro Quadratmeter auf 400 Euro pro Quadratmeter reduziert“, berichtet der aus Deutschland stammende Bürgermeister Shqiprim Arifi von der Partei Alternativa për ndryshim (APN), zu Deutsch „Alternative für einen Wechsel“.

Der Grund für die schlechte Situation ist die im vergangenen Jahr ausgelöste Debatte um einen Landtausch zwischen den beiden verfeindeten Ländern Serbien und Kosovo. „Die Debatte um eine Grenzverschiebung belastet Investitionen in unsere Stadt“, sagt Arifi.

Der Streit zwischen Belgrad und Pristina ist Gift für die Menschen in Presevo. „Ein Landtausch bedeutet das Öffnen der Büchse der Pandora. Die Debatte muss zu einem Ende kommen, weil sie uns wirtschaftlich und politisch schadet, aber auch dem Ansehen der EU“, sagt der gebürtige Mannheimer Arifi.

Die EU-Außenbeauftrage Federica Mogherini hätte „das Überschreiten der roten Linie erlaubt“. Arifi und seine lokale Partei APN haben dazu einen klaren Standpunkt: „Wir sind gegen Grenzlinien entlang von ethnischen Grenzen.“

Im vergangenen Jahr hatten der kosovarische Präsident Hashim Thaci und sein serbischer Amtskollege Aleksandar Vucic eine Grenzkorrektur vorgeschlagen. Der Vorschlag von Thaci, eines früheren Führers der kosovarischen Kampfgruppe UCK, sieht vor, die Stadt Presevo im gleichnamigen Landesteil dem Kosovo zuzuschlagen. Die Idee wurde von Mogherini als Teil einer Lösung zur Aussöhnung zwischen den beiden ehemaligen Kriegsgegnern betrachtet.

Presevo ist überwiegend von Kosovaren bewohnt. Der Vorschlag des Landtausches hatte eine breite politische Debatte ausgelöst. Deutschland lehnte ein Grenzkorrektur ab. Doch in der EU-Kommission gibt es ernsthafte Überlegungen dazu, die Grenzen nach ethnischen Kriterien zu verändern. „Ich stehe der Idee nicht unbedingt ablehnend gegenüber“, sagt ein auf dem Balkan einflussreicher EU-Vertreter dem Handelsblatt.

Für die Bewohner des Presevo-Tales ist die politische Diskussion um neue Grenzverläufe zwischen Serbien und Kosovo hingegen eine Katastrophe, wie Bürgermeister Arifi drastisch schildert. „Wir haben einen wirtschaftlichen und politischen Schaden erlitten“, sagte der Bürgermeister, der erst vor vier Jahre nach Presevo – der Heimat seiner Eltern – ausgewandert ist.

Wer investiere schon in einen Landstrich, dessen territoriale Zugehörigkeit zu einem Land strittig ist. „Wir wollen keine Teilung des Tales zwischen Kosovo und Serbien. Wir gehen oder bleiben als Ganzes“, fordert der 42-Jährige. „Wir sind nicht für einen Landaustausch. Die territoriale Integrität des Kosovos bleibt unangetastet.“

Er will die Stadt und das Tal voranbringen, um die Abwanderung der Jungen in Richtung Deutschland oder Schweiz zu verhindern. „Unser wichtigstes Projekt ist das Industriegebiet. Nur wirtschaftlicher Aufschwung kann Stabilität geben, umdie Emigration nach Europa zu stoppen“, sagt der Bürgermeister.

Serbien hat das Presevo-Tal lange vernachlässigt. Das ändert sich nur langsam. „Seit 2017 gibt es Investitionen, beispielsweise in die Schulen. Das heruntergekommene Ärztehaus werde für dreieinhalb Millionen Euro wiederhergestellt, berichtet der Bürgermeister.

Arifi ist ein neuer Typ von Politiker auf dem Balkan – pragmatisch, bürgernah und proeuropäisch. Einst arbeitete der gebürtige Mannheimer für das dort ansässige Logistik- und Transportunternehmen HAAF Group. . Seine Frau führt heute die einzige Gynäkologie-Praxis in Presevo. 2002 engagierte sich Arifi für die Rechte der Albaner in Mannheim und gründete mit seinen Freunden aus Presevo die Hilfsorganisation „Center of solidarity und advancement“, die in sechs Ländern arbeitet.

2015 entschloss er sich, in die bitterarme Heimat seiner Eltern zurückzukehren. „Meine Eltern kommen aus dem Tal. Ich habe jeden Sommer dort sechs Wochen verbracht. Mein Kindheitstraum war, dort zu leben.“ In seinem unverkennbaren Mannheimer Akzent sagt er: „Ich bin zufällig zur Politik gekommen.“ Er gründete mit jungen Albanern seine eigene Lokalpartei APN. Heute ist er mit 42 Jahren das älteste Mitglied. Bei den Wahlen im Dezember 2017 wurde Arifi zum Bürgermeister von Presevo gewählt. Die APN ist seitdem die stärkste politische Kraft der Grenzkommune. Seine Amtszeit dauert bis Ende 2021.

Sein Ziel ist es, die wirtschaftlich und sozialpolitisch miserable Situation schleunigst zu ändern. Das Presevo-Tal braucht dafür offene Grenzen. Deshalb ist die Erweiterung der EU auf dem Balkan die große Hoffnung der jungen Generation. Während Serbien und Montenegro ganz gute Chancen auf eine EU-Mitgliedschaft im nächsten Jahrzehnt haben, befindet sich der Kosovo – Europas jüngster Staat – ganz unten auf der Liste der Kandidatenländer. Eine ganze Reihe von EU-Staaten – darunter Spanien und Griechenland – erkennen den Kosovo nicht einmal an.

Formell ist der Streit um einen Landtausch von Thaci für beendet erklärt worden. „Einen Landtausch würde es niemals geben“, sagte der kosovarische Präsident zuletzt bei einem Besuch in der albanischen Hauptstadt Tirana. Thaci, der das Problem aufgeworfen hat, will mittlerweile von einem Gebietstausch mit Serbien nichts mehr wissen. Doch der angerichtete politische Schaden ist groß. „Die EU hat sich selbst geschadet. Meine Angst, dass eine weitere Debatte über einen Landtausch das tiefe Vertrauen in die EU erschüttert“, sagt Arifi.

Der blutige Bürgerkrieg im Kosovo von 1998 bis 1999 ist noch immer eine offene Wunde. Im Jubiläumsjahr – 20 Jahren nach Kriegsende – werden wieder viele Erinnerungen sowohl auf kosovarischer als auch serbischer Seite wachgerufen. Serbien hat das seit Nachbarland, das 1998 seine Unabhängigkeit ausrief, nie anerkannt. Unter der Führung der EU gibt es zwar Verhandlungen über eine Aussöhnung zwischen beiden Ländern.

Doch das Misstrauen zwischen Thaci und dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic ist groß. Die Entscheidung der kosovarischen Regierung in Pristina, Zölle auf Waren aus Serbien und Bosnien-Herzegowina zu erheben, hat zur Folge, dass Serbien die Integration des Kosovos in internationale Organisationen blockiert.

Die einseitige Steuer belastet die auch die Wirtschaft, das spürt das grenznahe Presevo-Tal in Serbien besonders. „Die Menschen haben das Referendum von 1992 im Kopf. Mehr als 99 Prozent hatten sich damals für eine territoriale Autonomie mit dem Recht auf eine Anbindung an die Republik Kosovo ausgesprochen.

„Die Menschen hatten im vergangenen Jahr eine Riesenhoffnung, dass dieser Wunsch Wirklichkeit wird. Doch mittlerweile ist Nüchternheit eingekehrt“, sagt Arifi. Die Rechnung des politischen Spiels zwischen Pristina und Belgrad zahlen die Bürger. „Die Debatte hat zu negativen wirtschaftlichen Folgen für uns geführt“, sagt das Stadtoberhaupt.

Presevo hat laut Bürgermeister 80.000 Einwohner, das gesamt Tal 180.000 Einwohner. Die letzte offiziell Zählung liegt deutlich darunter. Zuletzt gab es 2000 und 2001 einen bewaffneten Aufstand der Albaner mit dem Ziel, sich dem Kosovo anzuschließen. Doch die Revolte hatte keinen Erfolg. Das Presovo-Tal blieb serbisch.

Arifis große Hoffnung ist die Europäisierung des Balkans, um endlich die Gefahren des ethnischen Nationalismus und Populismus zu überwinden. „Nur die europäische Integration kann die Region stabil halten“, sagt der Bürgermeister. „Ich wünsche mir einen baldigen EU-Beitritt nicht nur von Serbien, sondern der gesamten Region inklusive des Kosovos und Albaniens.“

In seinem Tal sind die Verhältnisse ähnlich kompliziert wie in der gesamten Region. Im Westteil hin zum Kosovo gibt es mehr Albaner, im Ostteil leben überwiegend die Serben. „In meiner Stadt sind die Serben voll integriert. Es gibt bei uns zwei serbische Stadträte, die auch meine Politik unterstützen“, berichtet Arifi stolz. Nur ein Miteinander mit offenen Grenzen kann daher die Lösung für dieses Armenhaus auf dem Balkan bringen. Das ist dem Bürgermeister von Presevo klar.

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