Italien Ein Land verliert seine Strände

„Es gibt ja noch nicht mal eine Bar hier“, schimpft Giorgio Matussi über den neuen Stadtstrand „Tiberis“. „Dann lieber ans Meer“.
Rom „Tiberis“ heißt der brandneue Stadtstrand am Ufer des Tiber. Erst Anfang August, ein bisschen spät für die Sommersaison, wurde er eröffnet. Die Stadt Rom hat auf Höhe der Ponte Marconi, rund sechs Kilometer südlich vom Zentrum entfernt, am Ufer des Flusses ein Areal von 10.000 Quadratmetern aufgehübscht. Es gibt Sonnenschirme, Liegen, Umkleidekabinen, Duschen und ein Beachvolley-Feld.
Doch zweierlei fehlt: ein Pool zum Schwimmen, denn im Fluss baden darf man nicht. Und die Besucher.
„Jetzt kann man auch in Rom wie in Paris und in anderen Städten am Ufer des Flusses sonnenbaden“, sagte Bürgermeisterin Virginia Raggi. „Es gibt ja noch nicht mal eine Bar hier“, schimpft Giorgio Matussi, der in der Nähe wohnt, „dann doch lieber ans Meer“.
In den ersten Tagen waren über den Tag verteilt nie mehr als 25 Sonnenhungrige am römischen Strand, der von 8 bis 20 Uhr geöffnet ist. Fast alle Gäste wohnten gleich um die Ecke, recherchierten die Lokaljournalisten.
Lieber ans Meer also, wo sich besonders rund um Ferragosto Mitte August Italiener und Touristen auf die Füße treten. Zu Mariä Himmelfahrt ist in Italien jedes Hotel und jedes Bed & Breakfast in Strandnähe ausverkauft.
Sonnenschirm reiht sich an Sonnenschirm, nicht nur in Rimini. Die Liste der schönsten Strände mit dem Etikett „bandiera blu“ wird über Social Media verbreitet, versehen mit Kommentaren, jeder hat seinen Favoriten. Ganz oben stehen die Strände auf Sardinien. Bei 7600 Kilometer Küstenlinie, die Italien hat, sollte für alle genug Platz sein.
Alarm schlägt jedoch die Umweltschutzorganisation Legambiente. 60 Prozent der Sandstrände des Landes seien von Strandbädern und Lidos okkupiert, heißt es in einem gerade erschienenen Dossier. Dort muss man erst den Parkplatz zahlen und dann für „ombrellone e lettini“, Sonnenschirm und Liegen. Die Preise unterscheiden sich nach Lage und Exklusivität, so ist Portofino teurer als Riccione, aber im Durchschnitt sind es 24 Euro pro Person. Essen und Trinken kommen dazu.
Das Problem: In Italien gibt es kein nationales Gesetz wie in anderen europäischen Ländern, das festschreibt, wie viel Prozent der Strände offen gehalten werden muss, mit freiem Zugang zum Meer.
Jede Region entscheidet selbst und das sehr unterschiedlich, wie die Umweltschützer auflisten: Vorbildlich seien Sardinien und Apulien, die festgelegt haben, dass 60 Prozent der Strandflächen für alle offen sein müssen. Schlusslichter sind die Toskana und Sizilien, wo es gar kein entsprechendes Gesetz gibt.
In Rimini gibt es nur zehn Prozent freien Strand und wenn man etwa in Ostia die Küstenstraße entlangläuft, reiht sich ein „stabilimento balneare“ an das nächste, und der enge Zugang für alle führt genau zu dem Strandabschnitt, der am wenigsten attraktiv und oft auch schmutzig ist.
„Wie sich die privaten Strandbäder immer mehr ausbreiten und dadurch den Zugang zum Meer privatisieren, ist mittlerweile deutlich zu sehen“, meint Edoardo Zanchini, Vizepräsident von Legambiente. Die Umweltschützer fordern nun ein verbindliches Gesetz für alle.
Doch das kann dauern in Italien. Auf dem Zettel der Koalition von Bewegung 5 Sterne und Lega steht das Thema nicht – keine Priorität. Also ist für den, der kein Geld fürs Strandvergnügen bezahlen will, der Stadtstrand „Tiberis“ in Rom eine Alternative, auch wenn das Meer fehlt. Immerhin ist es umsonst und draußen und für nächstes Jahr hat die Stadtverwaltung auch den Bau eines Pools versprochen.
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