Krisenprävention Was Deutschland im Kampf gegen das Coronavirus von Südkorea und Taiwan lernen kann

Die Regierung versucht, das Coronavirus durch maximale Transparenz einzudämmen.
Tokio Zwei demokratische Staaten in Asien zeigen, dass Länder das neuartige Coronavirus Sars-CoV-2 eindämmen können – wenn sie früh genug einen umfassenden Krisenplan aktivieren. Taiwan konnte mit frühen Einreisebeschränkungen für Reisende aus China und der Aktivierung seiner bereits fertigen Krisenpläne die Ausbreitung des Virus bremsen. Unter den 23 Millionen Einwohnern der Insel sind bisher nur 59 als Virusträger identifiziert worden, nur eine Person starb an der Covid-19 genannten Infektionskrankheit.
Südkorea hatte weniger Glück mit seinem frühen Eindämmungsprogramm. Von wenigen Infizierten ist die Zahl mittlerweile auf über 8000 Corona-Patienten in die Höhe geschossen, nachdem es zu einer Masseninfektion in einer christlichen Sekte in der Millionenstadt Daegu gekommen war. Mehr als 4000 Fälle gehen auf das Konto der „Shincheonji Jesus-Kirche“. Auch das Gros der restlichen Fälle konzentriert sich bisher auf die Region.
Aber mit massenhaften Fiebermessungen versuchen die Behörden, neue Virenherde aufzuspüren und einzudämmen, bisher mit Erfolg. Die Zahl der Neuinfektionen ist inzwischen auf etwa gut 100 pro Tag gesunken, während täglich mehrere Hundert Erkrankte geheilt aus Krankenhäusern entlassen werden.
Aus Sicht der japanischen Gesundheitsexpertin Hiromi Murakami, Gastwissenschaftlerin am nationalen Graduierten-Kolleg (Grips), sind beide Länder mit ihrer Strategie gegen die Ausbreitung des Coronavirus ein Vorbild für die Weltgemeinschaft: „Es ist entscheidend, das Vertrauen und die Kooperationsbereitschaft der Bevölkerung zu gewinnen. Und der Schlüssel dazu ist Transparenz.“
Kämen dann noch schnelle und vorbeugende Maßnahmen und eine klare Kommunikation der Regierung hinzu, würden das Vertrauen und die Bereitschaft der Bevölkerung gestärkt, freiwillig ihren Alltag einzuschränken.
Doch dazu kommt noch ein Faktor, der viele Nachbarn Chinas von Deutschland, Europa, den USA und auch Japan unterscheidet: Wie Singapur und Hongkong haben auch Taiwan und Südkorea unter den vorherigen und weitaus tödlicheren Coronavirus-Epidemien Sars im Jahr 2003 und Mers im Jahr 2015 gelitten. Aus diesen Epidemien haben die Länder Südostasiens gelernt.
Die Regierungen entwickelten allesamt Krisenpläne und große Testkapazitäten, um eine erneute Pandemie nach Möglichkeit schon in der Anfangsphase im Keim zu ersticken oder wenigstens den Ausbruch besser managen zu können. In Japan war das nicht der Fall. Und genauso langsam reagierte die Regierung anfangs auf die Epidemie.
Taiwan: Frühes Handeln zahlt sich aus
Taiwans bisheriger Erfolg „könnte lehrreich für andere Länder sein“: Zu diesem Urteil kommt eine Studie im Magazin der amerikanischen medizinischen Vereinigung (Jama). Taiwan hat nach der Sars-Epidemie eine nationale Gesundheits-Kommandozentrale gegründet und Krisenpläne aufgestellt. Gleichzeitig beobachteten die Behörden genau, was in China passiert. Denn die wirtschaftliche Verflechtung von Taiwan mit China ist sehr hoch. Dass Taiwans Vizepräsident Chen Chien-jen selbst ein ausgebildeter Epidemiologe ist, hat sicherlich nicht geschadet.
Mehr als 800.000 Taiwaner leben auf dem chinesischen Festland, rund drei Millionen Chinesen reisen auf das Eiland. Und so reagierten die Behörden prompt, als China Ende Dezember erstmals Informationen über eine unbekannte Infektionskrankheit in Hubei veröffentlichte. Sofort schickte die Regierung Gesundheitsbeamte an Bord der Flugzeuge aus der Region, um Reisende auf Krankheitssymptome zu untersuchen.
Bereits im Januar wurde dann ein 124 Punkte umfassendes Krisenprotokoll aktiviert, um schnell Fälle zu identifizieren, das Virus einzudämmen und Ressourcen für das Gesundheitssystem zu mobilisieren. Dabei setzt die Regierung auf die Analyse großer Datensätze der eigenen Krankenversicherung, des Zolls und Einwanderungsamts. So versucht die Regierung zum einen, verdächtige Lungenerkrankungen sofort aufzuspüren. Zum anderen wertet sie den Reiseverlauf von Besuchern und Bürgern aus, um potenzielle Virenträger aufzuspüren.
Viele aus dem Ausland eingereiste Bürger und Besucher müssen online ihren Gesundheitszustand dokumentieren. Und wer in den 14 Tagen vor der Einreise eine Risikoregion besucht hat, muss in der eigenen Wohnung in Quarantäne gehen. Dabei wird auch das Smartphone überwacht, damit sich die Personen während der Inkubationszeit nicht in der Öffentlichkeit bewegen.
Im Februar wurden in Taiwan zudem die Schulferien verlängert. Außerdem hat die Regierung Apps auf den Markt gebracht, die den Menschen in Echtzeit die Lagerbestände von Atemmasken in nahe gelegenen Geschäften anzeigt. In anderen Ländern wie Japan sind solche Atemmasken dagegen seit Wochen ausverkauft und nur zu Wucherpreisen im Internet erhältlich.
Ergänzt wurde das Krisenprotokoll durch eine offene Informationspolitik, mit der die Bevölkerung über den aktuellen Stand der Epidemie informiert wird. „Taiwan ist ein Beispiel, wie eine Gesellschaft schnell auf eine Krise reagieren und die Interessen seiner Bürger beschützen kann“, heißt es in der Jama-Studie. In Europa ist es dafür wohl zu spät. Immerhin können die taiwanischen Erfahrungen Anregungen für künftige nationale oder europäische Krisenprotokolle liefern, um nicht wieder unvorbereitet überrascht zu werden.
Südkorea: Ein Land bremst das Virus aus
Auch Südkorea ging gut gerüstet in die Krise. Zufällig hatten die Gesundheitsbehörden erst im Dezember 2019 als Manöver den Ausbruch einer neuen Coronavirus-Epidemie durchgespielt. Als es dann ernst wurde, reagierte das Land rasch – und zwar nicht durch eine Schließung der Grenzen. Stattdessen wurde bereits am 11. Januar mit Virentests begonnen – und das in großem Maßstab.
Anfangs stiegen die Fallzahlen auch in Südkorea rasant. Anders als andere Länder legte Südkorea aber früh den Fokus auf eine genaue Dokumentation der Fälle. Bis zu 20.000 Virentests werden in Südkorea täglich durchgeführt. In kaum einem anderen Land gibt es Statistiken mit einer so hohen Aussagekraft.
Dabei setzt die koreanische Regierung, anders als China, nicht auf Abschottung: Selbst das Epizentrum der koreanischen Corona-Infektionen, die Stadt Daegu, wurde nicht vollständig isoliert, die Bewegungsfreiheit der Bürger wurde nicht eingeschränkt.
Die liberale Politik ist Programm, machte Südkoreas stellvertretender Gesundheitsminister Kim Gang Lip jüngst klar. Die Regierung wende ein System an, „das freiwillige Beteiligung der Öffentlichkeit und kreativen Einsatz von fortschrittlichen Technologien verbindet, ohne die Prinzipien einer transparenten und offenen Gesellschaft zu verletzen“. Denn Zwangsmaßnahmen könnten zu Widerstand gegen vorbeugende Maßnahmen führen. „Korea hat kraftvolle und intensive Maßnahmen mit hoher Transparenz durchgeführt, um Covid-19 einzudämmen“, urteilt die japanische Gesundheitsexpertin Murakami.
Im ganzen Land wurden Hotlines und Drive-Through-Testzentren eingerichtet, in die Bürger mit dem Auto vorfahren konnten. Die Bewegungsprofile von Infizierten werden veröffentlicht. Mit Smartphone-Apps werden die Koreaner über mögliche Krisenherde informiert.
Auch Fiebermessungen kommen flächendeckend in Behörden und Unternehmen zum Einsatz, um erkrankte Mitarbeiter zu erkennen und nach Hause zu schicken. Und überall, selbst in Bussen und an Straßenlaternen, hängen Desinfektionsmittel, mit denen die Bürger ihre Hände reinigen können.
Durch mehr Heimarbeit und weniger Ausgehen schränken die Koreaner freiwillig die Zahl ihrer Sozialkontakte ein. Die Verlängerung der Schulferien und die Absage von Großveranstaltungen hilft bei der Eindämmung. Doch vor allem das rasche Handeln in den Krankenhäusern bremst das Coronavirus aus. Patienten werden in Südkorea nach einer Diagnose rasch entsprechend ihrer Erkrankung behandelt: Schwere Fälle kommen in Spezialkliniken, leichte Fälle müssen sich zu Hause auskurieren, um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten.
Auch in Südkorea werden die Bürger dabei mit Smartphone-Apps kontrolliert, deren Verwendung allerdings freiwillig ist. Werden Häufungen gefunden, stellt die Regierung zudem auch ganze Wohnblöcke oder Einrichtungen unter Quarantäne.
Offen bleibt allerdings, wie sich Taiwans und Südkoreas Strategien langfristig bewähren. Denn ein Unterschied zu früheren Coronavirus-Epidemien ist, dass der Erreger Sars-CoV-2 deutlich ansteckender als seine Vorgänger und damit schwieriger einzudämmen ist. Tatsächlich ist Covid-19 zu einer globalen Pandemie geworden, die sich in einigen Ländern nicht mehr eindämmen lässt. Doch Südkorea und Taiwan sind Vorbilder im Umgang mit der Krise.
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