Kristalina Georgiewa Massive Vorwürfe gegen IWF-Chefin – Daten zugunsten von China geschönt?

US-Abgeordnete im Kongress stellen die Eignung der 68-Jährigen infrage.
Berlin, Brüssel Kristalina Georgiewa kämpft. Rücken durchstrecken, weitermachen, Normalität vortäuschen. Am Dienstag wird die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) in einer Rede den gewohnten Ausblick auf die Weltwirtschaft geben und die Themen für die IWF-Herbsttagung in der darauffolgenden Woche setzen. Vor „dauerhaften Brüchen“ zwischen reichen, weitgehend durchgeimpften und armen, weitgehend ungeimpften Ländern will Georgiewa warnen.
Eigentlich sollte die IWF-Herbsttagung Georgiewa die große Bühne bereiten. Erstmals seit Oktober 2019 treffen sich Finanzminister und Notenbanker wieder persönlich in Washington. Doch nun droht die Tagung von Vorwürfen gegen die IWF-Chefin überschattet zu werden. Georgiewa ist angezählt.
US-Abgeordnete im Kongress stellen die Eignung der 68-Jährigen infrage, US-Spitzenökonomen erheben schwere Vorwürfe gegen sie. Der "Economist“, die Bibel der internationalen Hochfinanz, hat sogar den Rücktritt der IWF-Chefin gefordert.
Anlass ist ein Datenskandal aus Georgiewas Zeit bei der Weltbank, der Schwesterorganisation des IWF. Laut einer Untersuchung der US-Anwaltskanzlei WilmerHale soll sich die Bulgarin dafür eingesetzt haben, den „Doing Business Report“, der die Geschäftsfreundlichkeit von Staaten vergleicht, zugunsten Chinas zu schönen.
Der Bericht legt nahe, dass Georgiewa Mitarbeiter damals entsprechend unter Druck gesetzt habe. Ein Motiv könnte gewesen sein, Chinas Unterstützung für eine anstehende Kapitalerhöhung bei der Weltbank zu sichern. Mehr als 300 frühere Weltbank-Angestellte haben nun einen Brief unterzeichnet, in dem sie vor „noch nie dagewesene Reputationsrisiken“ warnen. Das wertvollste Gut der Washingtoner Finanzinstitutionen steht auf dem Spiel: ihre Glaubwürdigkeit.
Georgiewa sieht sich als Opfer einer Schmutzkampagne
Die IWF-Chefin bestreitet die Vorwürfe. Allerdings ist die Affäre nach Handelsblatt-Informationen nicht die einzige Kritik an Georgiewa: Auch innerhalb des IWF gibt es Unruhe, Mitarbeiter stören sich an ihrem Führungsstil, von „gravierenden Kompetenzschwächen“ ist die Rede.
Für den IWF kommt all das zur Unzeit. Denn die Welt-Finanzfeuerwehr aus Washington spielt in der Coronapandemie eine zentrale Rolle. Erst im August hat der IWF zusätzliche 650 Milliarden Dollar zur Bekämpfung der Krise bereitgestellt. 275 Milliarden Dollar sind für Schwellen- und Entwicklungsländer vorgesehen – ein Betrag, der nach den Vorstellungen des IWF noch steigen soll.
Der Fonds versucht, die Industrienationen davon zu überzeugen, Teile ihrer zusätzlich geschaffenen Reserven den Entwicklungsländern zu überlassen. Diese Gespräche sollen auf der Herbsttagung fortgesetzt werden.
Doch ausgerechnet jetzt muss sich der IWF mit der Vergangenheit seiner eigenen Chefin beschäftigen. Eine eingesetzte Kommission untersucht Georgiewas Rolle in der Doing-Business-Affäre und wird ihr Ergebnis dem IWF-Verwaltungsrat vorlegen.
Die Vermutung, dass an dem Weltbank-Report gedreht wurde, hatte der Nobelpreisträger Paul Romer, bis 2018 Chefökonom der Weltbank, aufgebracht. Als er versucht habe, kurzfristige Veränderungen in der Methodik der Studie zu verhindern, die das Ergebnis verfälschten, habe Georgiewa ihm alle Befugnisse dafür entzogen, so Romer.
In einem internen Meeting zur Vorbereitung der Jahrestagung bezeichnete die IWF-Chefin die Darstellung ihrer Rolle im Bericht erneut als „unwahr“. Georgiewa hat auch eine eigene Beratungsfirma angeheuert, um die Krise zu durchstehen: SKDK, zu deren Klienten schon prominente Demokraten wie Joe Biden zählten.
Intern wird im IWF längst sortiert: Die Afrikaner stehen Georgiewa treu zur Seite, weil sie derzeit stark von den Geldern des Fonds profitieren. Unter den Europäern, die Georgiewa als IWF-Chefin durchgesetzt haben, sähen dagegen einige Länder die Bulgarin inzwischen kritisch, heißt es.
USA verhalten sich auffällig still
Der Schlüssel zur Georgiewas Zukunft liegt aber in den USA. Die Amerikaner verhalten sich bislang auffällig still, obwohl der Kampf gegen Chinas wachsenden internationalen Einfluss zu den wenigen Grundsatzpositionen zählt, bei denen sich Demokraten und Republikaner noch einig sind.
Georgiewa und US-Finanzministerin Janet Yellen pflegten während der Pandemie einen engen Austausch, doch zuletzt hat Yellen Georgiewas Gesprächsangebote unbeantwortet gelassen. Ebenfalls pikant: Eine Schlüsselrolle könnte ausgerechnet David Lipton spielen. Der frühere Vizechef des IWF zählt zum Beraterkreis von Yellen und dürfte eine Rechnung mit Georgiewa offen haben.
Als die Bulgarin den Fonds übernahm, fiel Lipton dem Umbau der Führungsriege zum Opfer. Dabei genoss der Amerikaner im IWF einen ausgezeichneten Ruf, war der unumstrittene Chefstratege der Institution.
Genau diese herausgehobene Funktion wollte Georgiewa ihm aber nicht einräumen. Sie will selbst entscheiden, weniger delegieren als ihre Vorgängerin Christine Lagarde, die keine Ökonomin war und Lipton auch deshalb große Freiräume überließ.
IWF-Zuschneidung auf Georgiewa sorgt für Verstimmungen
Inzwischen ist der IWF stark auf Georgiewa zugeschnitten, was intern für Verstimmungen sorgt. Ihre Machtfülle entspreche nicht ihrem Können, in etlichen Themen sei Georgiewa wenig sattelfest, heißt es. Andere verteidigen die IWF-Chefin aber auch: Sie sei deutlich zugänglicher als ihre Vorgängerin, die den Habitus einer Grand Dame pflegte.
Auch einige namhafte Ökonomen springen Georgiewa zur Seite. Der Brite Nicolas Stern lobt in einem offenen Brief an den IWF-Verwaltungsrat Georgiewas „Integrität“ in höchsten Tönen, er zweifelt an der Substanz des Prüfberichts und warnt vor einem Führungswechsel.
Der US-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz wertet die Affäre sogar als „Putschversuch“ interessierter Kreise, weil der IWF hilfsbedürftige Staaten anders als früher nicht mehr mit brutalen Sparkursen gängele und stattdessen stärker auf soziale und ökologische Themen setze. Weil Georgiewa mit diesem Kurs ihrem alten Arbeitgeber, der Weltbank, das Wasser ein Stück abgräbt, habe sie sich dort offenbar Feinde gemacht.
Doch nicht nur wegen dieser Verteidigungsreden spricht derzeit wenig dafür, dass Georgiewa ihr Amt am Ende tatsächlich verliert. Die Europäer haben die Bulgarin erst vor zwei Jahren auf den Posten gehoben. Und die US-Regierung hat derzeit andere Sorgen, das Infrastrukturprogramm und das Sozialpaket Bidens stecken im Kongress fest.
Und ein Blick in die Vergangenheit lehrt: So schnell wird ein IWF-Chef nicht abgesetzt. Dominique Strauss-Kahn konnte sich trotz diverser Sexaffären und interner Ermittlungen halten. Erst als er in Handschellen abgeführt wurde, war er sein Amt los.
Mehr: Wie aus Kristalina Georgiewa eine der mächtigsten Finanz-Managerinnen der Welt wurde
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