Lieferketten Wie Premier Modi Hightech-Fabriken aus China nach Indien locken will

Der indische Premier will China Konkurrenz machen.
Bangkok Ausgerechnet ein chinesischer Konzern will Indien dabei helfen, von Importen aus China unabhängiger zu werden. Der Pekinger Elektronikhersteller Xiaomi lässt auf dem Subkontinent bereits in drei Fabriken Geräte für den lokalen Markt produzieren. Nun sollen drei weitere – zwei für Smartphones und eine für smarte Fernseher – in Indien ihre Arbeit aufnehmen, wie Xiaomis Indienchef Manu Jain jetzt bekanntgab.
Die Zahl der Geräte in den beiden Produktkategorien, die das Unternehmen von China nach Indien schickt, sinkt damit beinahe auf null. Laut Jain könnten die indischen Werke bald auch für den Weltmarkt produzieren: „Wir fänden es großartig, Indien zu einem Exportzentrum zu machen.“
Die Worte des Managers dürften bei Indiens Regierungschef Narendra Modi gut ankommen. Seit seinem Amtsantritt vor fast sieben Jahren versucht der Politiker, ausländische Produktionsunternehmen in sein Land zu locken – lange Zeit mit verhaltenem Erfolg. Indien, das voraussichtlich 2025 bevölkerungsreicher sein wird als China, blieb beim Wirtschaftswachstum immer im Schatten der zweitgrößten Volkswirtschaft.
Doch nun scheint Modi ein Mittel gefunden zu haben, das zumindest bei der Anwerbung von Investoren tatsächlich wirkt: Ein neues Industrieförderprogramm koppelt von der Regierung ausgezahlte Subventionsgelder an die Produktionsmenge – je mehr Waren ein Unternehmen in Indien herstellt, umso höher fällt die staatliche Unterstützung aus.
Unter Smartphone-Produzenten ist infolge des Anreizsystems bereits ein regelrechter Ansturm von Unternehmen ausgebrochen, die ihre Produktionskapazitäten von China in das Nachbarland verlegen möchten. Nun will Modis Regierung den Erfolg bei Computer-Herstellern wiederholen.
Vergangene Woche genehmigte das Kabinett zusätzliche Subventionen von umgerechnet einer Milliarde Dollar für die Produktion von PCs, Laptops und Tablet-Computern. „Unser Ziel ist es, die fünf größten Hersteller der Welt nach Indien zu bringen und hier für den Weltmarkt zu produzieren“, sagte der zuständige IT-Minister Ravi Shankar Prasad.
Er fügte hinzu, dass die Regierung schon Gespräche mit den internationalen Konzernen über Investitionen führe. Diese würden bereits auf die Subventionen warten.
Apple plant offenbar Verlegung der iPad-Produktion
Einer der Interessenten ist offenbar Apple. Der US-Elektronikhersteller arbeitet laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters daran, noch in diesem Jahr einen Teil seiner iPad-Produktion von China nach Indien zu verlegen. Die Maßnahme ist für den Konzern aus Cupertino Teil einer umfangreichen Neuordnung seiner Lieferketten. Das Unternehmen will angesichts des Handelskonflikts zwischen den USA und China seine Abhängigkeit von der Volksrepublik reduzieren und sucht sich deshalb neue Produktionsstandorte in Asien.
Neben Vietnam setzt Apple-Chef Tim Cook dabei vor allem auf Indien. Bereits in den kommenden Monaten will das Unternehmen laut einem Bericht des japanischen Wirtschaftsmagazins „Nikkei Asia“ auch einen Teil seiner iPhone-12-Produktion nach Indien verlegen. Bisher produzieren Apples Auftragsfertiger Foxconn und Wistron erst das Vorgängermodell auf dem Subkontinent. Zu ihnen wird in den kommenden Monaten auch Pegatron, ein weiterer großer Apple-Produktionspartner, stoßen – das taiwanesische Unternehmen baut gerade sein erstes Indien-Werk in der Metropole Chennai auf.

Die chinesische Social-Media-Plattform ist in Indien verboten.
Die drei Firmen haben für die kommenden fünf Jahre weitere Investitionen von knapp einer Milliarde Dollar angekündigt, um von Modis Subventionsprogramm zu profitieren. Dieses sieht Zahlungen von rund 6,5 Milliarden Dollar an die Smartphone-Hersteller vor und soll nach den Vorstellungen der Regierung in den nächsten fünf Jahren zu einem Produktionsvolumen von mehr als 140 Milliarden Dollar in dem Segment führen – 60 Prozent davon sind für den Export vorgesehen.
Bereits im vergangenen Sommer hatte Indiens Regierung das Land zum nach China zweitgrößten Smartphone-Produzenten der Welt ausgerufen – mehr als 40 Millionen der in Indien produzierten Handys gingen zuletzt in den Export. Nach indischen Behördenangaben plant auch der koreanische Hersteller Samsung weitere Investitionen von mehr als 650 Millionen Dollar in Indien, um einen Teil der Display-Produktion aus China abzuziehen. Mit der Handyproduktion in Indien startete der Konzern bereits 2018.
Indische Auftragsfertiger können punkten
Von der großen Nachfrage nach Produktionskapazitäten profitieren in Indien auch einheimische Auftragsfertiger. Dixon Technologies mit Hauptsitz in Delhis Nachbarstadt Noida hat seine Fertigungslinien mithilfe von Modis Subventionen in den vergangenen Monaten kräftig ausgebaut. Das Unternehmen will in diesem Jahr rund 50 Millionen Smartphones produzieren – doppelt so viel wie im Vorjahr. 2021 soll die Zahl noch einmal um 50 Prozent steigen. Mehrere Tausend Mitarbeiter will das Unternehmen zusätzlich anstellen.
Zu Dixons Handy-Auftraggebern gehören unter anderem Samsung und Panasonic. In den kommenden Monaten wird das Unternehmen nach eigenen Angaben Smartphones der Marke Motorola, die inzwischen dem chinesischen Hersteller Lenovo gehört, für den US-Markt produzieren. Auch der finnische Hersteller HMD, der die Rechte an der Marke Nokia hält, verkündete vor wenigen Wochen, bei der Smartphone-Produktion künftig mit Dixon zusammenzuarbeiten.
Sunil Vachani, der Dixon in den 90er-Jahren mit einem 28.000-Dollar-Kredit seines Vaters als TV-Geräte-Hersteller gründete, stieg angesichts der guten Geschäfte in den vergangenen Monaten in den Klub von Indiens Milliardären auf. Der Aktienkurs seines Unternehmens hat sich seit dem Börsengang vor dreieinhalb Jahren mehr als versiebenfacht. „Für die Produktion von Elektronik ist in Indien ein goldenes Zeitalter angebrochen“, sagte Vachani kürzlich in einem Interview. „Endlich ist Indien der Ort, an dem man sein muss.“
Noch vor wenigen Jahren war es Vachani schwergefallen, Investoren von Indiens Potenzial als Fertigungsstandort zu überzeugen. Viele zweifelten daran, dass das Land, das für seine marode Infrastruktur und belastende Bürokratie bekannt ist, mit China ernsthaft konkurrieren könne. Doch Modis Regierung sind in den vergangenen Jahren erhebliche Verbesserungen gelungen. Im „Ease of doing business“-Index der Weltbank rückte Indien von Platz 142 im Jahr 2015 zuletzt auf Rang 63 vor. Gleichzeitig erhöhte Modi zahlreiche Einfuhrzölle, um Importe aus China zunehmend unattraktiv zu machen.
Direktinvestitionen legen gegen den Trend zu
Erste Erfolge schlagen sich bereits in den Statistiken nieder: Während ausländische Direktinvestitionen im vergangenen Jahr weltweit um 42 Prozent einbrachen, stiegen sie in Indien trotz Coronakrise um 13 Prozent an – und damit laut der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (Unctad) so stark wie in keiner anderen großen Volkswirtschaft. Zum Vergleich: In China wuchsen die Auslandsinvestitionen um vier Prozent. „Die Politik und die Reformen von Narendra Modi haben Indien zum bevorzugten Investitionsziel gemacht“, lobte Industrieminister Piyush Goyal die Arbeit seiner Regierung.
Über die neuen Industriesubventionen – die sogenannten Production Linked Incentives (PLI) – will Modi am Freitag mit Vertretern großer indischer Konzerne diskutieren, darunter das Konglomerat Tata und der Autohersteller Maruti Suzuki. Das im vergangenen Jahr in der Smartphone-Branche gestartete Förderprogramm wurde inzwischen auf mehr als ein Dutzend Wirtschaftsbereiche ausgeweitet, darunter auch der Automobilsektor und die Pharmabranche. In den kommenden fünf Jahren sollen insgesamt mehr als 25 Milliarden Dollar an Subventionen zur Verfügung stehen. Erwartet werden noch weitere Programme, etwa um gezielt Smartwatch-Hersteller anzulocken.
Beobachter glauben aber, dass Indien bei seinen Ambitionen Geduld braucht: „Die PLI-Programme werden in einzelnen Branchen bis zu fünf Jahre benötigen, um neue Kapazitäten zu schaffen“, kommentierte der Handelsexperte Amitendu Palit, der an der Universität NUS in Singapur lehrt. „Bis dahin wird die Abhängigkeit von China noch fortbestehen.“
Der Wunsch, chinesische Importe massiv zu senken, liegt unter anderem an den gestiegenen Spannungen zwischen den beiden Ländern. In den vergangenen Monaten kam es in einem Grenzstreit mehrfach zu gewaltsamen Auseinandersetzungen.
Die Modi-Regierung verhängte daraufhin ein Verbot von zahlreichen chinesischen Smartphone-Apps wie der Social-Media-Plattform Tiktok und erschwerte Investitionen von Unternehmen aus China in Branchen, in denen Indien seine nationale Sicherheit berührt sah. Der Konflikt belastete auch die taiwanesischen Auftragsfertiger von Apple in Indien: Sie klagten darüber, dass die indischen Behörden Visa für chinesische Ingenieure, die zum Aufbau der indischen Fabriken nötig seien, nur noch zögerlich vergeben.
Es ist nicht das einzige unerwartete Problem, auf das Apple bei seinem Produktionsausbau in Indien bisher gestoßen ist. In einem Werk des Produktionspartners Wistron war es im Dezember im Streit um unbezahlte Löhne zu einem gewaltsamen Aufstand gekommen. Arbeiter zerstörten dabei Möbel und Ausrüstung. Es kam zu einem Schaden von mehreren Millionen Dollar.
Apple setzte daraufhin neue Aufträge an das Unternehmen vorübergehend aus. Der Konzern warf Wistron Verstöße gegen seine Regeln für Zulieferer vor. Gehälter für einige Arbeiter, die rund 200 Dollar im Monat verdienen, seien verspätet ausgezahlt worden. Nach Änderungen an internen Abläufen nahm die Fabrik im Februar wieder die Arbeit auf. Apple teilte mit, die Vorgänge weiter beobachten zu wollen: „Wistron bleibt auf Bewährung.“
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