Logistik Riesiger Frachter blockiert Suezkanal – das Nadelöhr der Weltwirtschaft ist dicht
Dubai Das Nadelöhr der Weltwirtschaft ist verstopft. Auf dem Suezkanal hat sich der 400 Meter lange und 59 Meter breite Containerfrachter „Ever Given“ quergestellt und ist auf Grund gelaufen. Schlepper und Bagger versuchen derzeit, das Schiff freizubekommen. Das könnte laut Experten zwei Tage dauern.
Unklar sind noch die Ursachen für den Unfall: Der Schiffsbetreiber Evergreen Marine aus Taiwan teilte der Nachrichtenagentur AP mit, die „Ever Given“ sei von starkem Wind erfasst worden. Das Seefahrts- und Logistikunternehmen GAC erklärte, auf dem Schiff sei der Strom ausgefallen.
„Der Suezkanal ist eine der wichtigsten Autobahnen der Weltschifffahrt“, verdeutlicht Christian Denso vom Verband Deutscher Reeder (VDR) das Ausmaß der Havarie. Die Wasserstraße verbindet das Mittelmeer mit dem Roten Meer. Sie gehört zu den wichtigsten Handelsrouten zwischen Asien und Europa. Das Containerschiff ist in einem einspurigen Kanalabschnitt sechs Seemeilen (rund elf Kilometer) nördlich der Hafenstadt Suez havariert.
Fast 19.000 Schiffe – oder durchschnittlich 51,5 Schiffe pro Tag – haben im vergangenen Jahr nach Angaben der Betreibergesellschaft Suez Canal Authority (SCA) die Wasserstraße als Abkürzung genommen. Damit sparen sie sich die Umschiffung Afrikas. Etwa zwölf Prozent des Welthandelsvolumens passieren den Kanal, der für Ägypten eine wichtige Einnahmequelle darstellt.
Ein Großteil des Verkehrs besteht dem VDR zufolge aus Öltankern, ein Drittel der Passagen gehe auf das Konto von Containerschiffen. Zudem sei nicht nur der Schiffsverkehr zwischen Asien und Europa von den Problemen betroffen, auch ein Großteil der Schiffslieferungen zwischen Asien und der Ostküste Nordamerikas verkehre über den ägyptischen Kanal.
Derzeit seien viele deutsche Reedereien damit beschäftigt, Notfallpläne zu errechnen. So kostet eine Umfahrung über das Kap der Guten Hoffnung je nach Fahrtgeschwindigkeit zusätzlich sieben bis zehn Tage. Deutschlands größte Reederei, die Hamburger Seefahrtfirma Hapag-Lloyd, zeigte sich jedoch optimistisch, dass die Blockade bald behoben wird.
„Solche Vorfälle passieren leider, gerade in dieser engen Passage des Suez-Kanals“, heißt es von der Reederei. „Die Schiffe lassen dann in der Regel Ballastwasser ab und werden mit Schleppern aus dem Sand gezogen. Erfahrungsgemäß sollte der Kanal bald wieder frei sein – insofern halten wir die Auswirkungen zurzeit für überschaubar.“ Eine Umfahrung des afrikanischen Kontinents sei derzeit nicht geplant.
Auf den Internet-Schiffsradaren vesselfinder.com und marinetraffic.com ist zu sehen, wie sich wegen der unfreiwilligen Blockade inzwischen Dutzende Schiffe nördlich und südlich des Kanals stauen. Allein vor Suez, dem Südende des Kanals, warten dem Analysehaus S&P Platts zufolge mehr als 50 Schiffe auf die Passage. In der Region Bitterseen, einem Seebecken im Landesinneren von Ägypten, hängen weitere 34 Schiffe fest. Und auch vor Port Said, dem Nordeingang des Kanals stauen sich Dutzende Schiffe.
Die „Ever Given“ war aus China gekommen und auf dem Weg nach Rotterdam in den Niederlanden. Der Schiffsverwalter Bernhard Schulte Shipmanagement (BSM) versicherte, die Mannschaft sei in Sicherheit, es habe keine Verletzten oder Umweltschäden gegeben. Container seien nicht über Bord gegangen. Es ist nicht das erste Mal, dass das Schiff in einen Unfall verwickelt ist. Im Februar 2019 rammte die „Ever Given“ eine Elbfähre bei der Ausfahrt aus dem Hamburger Hafen.
Wegen der Blockade sind die Ölpreise am Mittwoch gestiegen. Am Morgen kostete ein Barrel (159 Liter) Nordseeöl der Sorte Brent 61,63 US-Dollar. Das waren 84 Cent mehr als am Vortag. Der Preis für ein Fass amerikanisches Rohöl der Marke West Texas Intermediate (WTI) stieg um 62 Cent auf 58,38 Dollar. Noch am Dienstag waren die Erdölpreise deutlich gefallen, auf den tiefsten Stand seit Anfang Februar.
Durch den Kanal werden nach Angaben der US-Energiebehörde EIA zehn Prozent des auf dem Seeweg transportierten Rohöls verschifft sowie acht Prozent der weltweiten Flüssiggastransporte. Warren Patterson, Rohstoffstratege der ING, sagt: „Ich gehe jedoch davon aus, dass die Unterbrechung temporär sein wird.“
Ein erheblicher Teil der Energietransporte vom Mittleren Osten in Richtung Europa und USA sind davon betroffen. Auch in der Gegenrichtung passieren Öllieferungen aus der Nordsee oder den USA nach Asien die wichtige Schifffahrtstraße. Parallel zum Suezkanal verläuft noch eine Ölpipeline, durch die täglich 2,34 Millionen Barrel vom Roten Meer ans Mittelmeer gepumpt werden können.
Dem Branchendienst Tanker Trackers zufolge stauen sich bereits Tanker mit Erdöl aus Saudi-Arabien, Russland, Oman und den USA auf beiden Seiten der Unfallstelle. Die Schiffe haben zusammen zehn Millionen Barrel Öl geladen – das entspricht mehr als zehn Prozent des täglichen Ölbedarfs weltweit. Viele sehr große Öltanker sowie sogenannte Supertanker haben jedoch ohnehin zu viel Tiefgang, um den Suezkanal zu passieren. Ölraffinerien etwa in Europa haben nach Ansicht von Experten genügend Alternativen zum Öl aus dem Mittleren Ost, sodass bei Rohöl vorerst keine Engpässe zu erwarten sind.

Containerschiff ist im Suezkanal auf Grund gelaufen.
Bilder, die unter anderem von Tanker Trackers verbreitet wurden, zeigen jedoch, dass sich der Bug des Riesenfrachters tief in den Schlamm am Ufer des Kanals eingegraben hat. Auf den Bildern versucht ein einzelnes Baufahrzeug, den Schiffsrumpf freizuschaufeln. Eine ähnliche Havarie auf der Elbe, wo 2016 ein Frachtschiff auf Grund lief, war damals nach sechs Tagen behoben.
Schätzungen des VDR zufolge könnte die Blockade des Suezkanals nun sogar nach zwei bis drei Tagen beendet werden. „Dem Anschein nach ist das 20.000 Standardcontainer fassende Schiff der taiwanesischen Reederei Evergreen nicht beschädigt“, sagt Denso. Falls es gelinge, das Schiff freizubekommen, indem Ballastwasser abgelassen wird, könnten sich die Helfer eine zeitraubende Teilentladung sparen.
Von ähnlichen Unfällen im Suezkanal ist dem deutschen Reedereiverband aus der Vergangenheit nichts bekannt. Die Schiffe starten ihre Durchfahrt üblicherweise morgens um vier Uhr im Konvoi, und zwar gestaffelt nach Geschwindigkeit bei einer Fahrtdauer von acht bis zwölf Stunden. An mehreren Begegnungsstellen kann der Gegenverkehr passieren, sodass täglich rund 50 Schiffe abgefertigt werden.
Die zuletzt als Unfallursache genannten Windböen hält man beim VDR für durchaus plausibel. „Ein voll beladenes Containerschiff mit 400 Meter Länge und 59 Meter Breite bietet eine enorme Angriffsfläche“, sagt Denso. Laut der Navigationsplattform „Marine Traffic“ kämpfte der Richtung Rotterdam fahrende Frachter zuletzt mit Gegenwind aus Norden.
Mit Agenturmaterial
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