Machthungrig, konservativ, weiblich Die Zukunft der Republikaner liegt in der Hand von Frauen
Kurz bevor die Fahnenträgerinnen einmarschieren, erklingt die „Space Force Hymn“. Diese „Hymne“, komponiert von der New Freedom Media nach eigenen Angaben eigens für „patriotische Amerikaner“, gleicht einer Mischung aus dem „Star Wars“-Soundtrack und Carl Orffs „Carmina Burana“.
Hunderte Frauen stehen auf, bringen die Handys in Position. Auf beiden Seiten des großen fensterlosen Ballsaals laufen nun die Vertreterinnen der Bundesstaaten in Richtung der Bühne.
Aus dem Off erklingt eine Stimme aus der Vergangenheit: Donald Trump, wie er Ende 2019 noch als Präsident die Gründung der Space Force als eigenständige Weltraumstreitkräfte offiziell bekannt gibt. Danach schwören alle den Fahneneid, beten und singen die amerikanische Hymne. Es ist der zweite Tag des alle zwei Jahre stattfindenden Treffens der National Federation of Republican Women, NFRW. Es ist der Ort, wo man sie besichtigen kann: die Konter-Revolution.
Rund 700 konservative Frauen, Vertreterinnen aus jedem einzelnen der 50 Bundesstaaten, sind Ende September nach Florida gereist. Hier in Orlando wollen sie sich vernetzen, Wahlkampfstrategien austauschen. Es geht ihnen um Macht.
2020 ging für die Republikaner nicht nur das Weiße Haus verloren, die Demokraten übernahmen zusätzlich zum Repräsentantenhaus auch den US-Senat. Für die einst stolze „Grand Old Party“, GOP, eine schwere Niederlage. Und, so empfinden es viele konservative Frauen, eine große Gefahr für das Land. Ihr Credo lautet: Faith, family, freedom. Religion, Familie, Freiheit – drei Güter, die sie bedroht sehen.
Ganz oben auf der Wunschliste: das Weiße Haus
Die NFRW ist nur eines von vielen Netzwerken, in denen sich konservative Frauen überall im Land zusammentun. Sie sehen es als ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die nächsten Wahlen anders ausgehen. Und: Sie wollen die ihren in den Ämtern sehen. Ganz oben auf ihrer Wunschliste: das Weiße Haus.

Die Gouverneurin des Präriestaates South Dakota ist eine der mächtigsten Republikanerinnen im Land.
Kristi Noem, Gouverneurin des Präriestaates South Dakota und damit eine der mächtigsten Republikanerinnen im Land, wird diesen Machtanspruch am zweiten Tag des Treffens klar formulieren. Die 49-Jährige erzählt von einem Gesetz, das sie in ihrer eigenen Zeit als Abgeordnete in den US-Kongress eingebracht habe. „Darin stand, dass, wann immer die USA Friedensverhandlungen mit anderen Ländern führen, eine Frau mit am Tisch sitzen sollte.“
Noem zitiert eine Statistik, die angeblich belegt, dass solche Verhandlungen langfristig siebenmal erfolgreicher seien als jene ohne weibliche Beteiligung. Der Grund? „Frauen wissen, nach was sie fragen müssen. Wir wissen, was es braucht, damit Familien erfolgreich sein können, wie Unternehmen geführt werden.“
Noem wird derzeit von Konservativen als Star einer alternativen Corona-Politik gefeiert, die die Freiheit verteidige – auch wenn viele Kritiker ihre Entscheidungen für brandgefährlich halten. Das verbindet sie mit Ron DeSantis, dem Gouverneur des Gastgeber-Staats Florida, der am Auftaktabend zu den Delegierten spricht.
Donald Trump ist in Orlando präsent
Beide haben sich weitestgehend gegen Lockdowns, Masken- und Impfzwänge gestellt, haben alles dafür getan, Schulen und Kirchen offen zu lassen – das hat sie zu Helden ihrer Partei gemacht. Beide gelten als potenzielle Anwärter für die Präsidentschaftswahl 2024, immer vorausgesetzt, Trump tritt nicht wieder an.
Frauen wissen, nach was sie fragen müssen. Wir wissen, was es braucht, damit Familien erfolgreich sein können, wie Unternehmen geführt werden. Kristi Noem, Gouverneurin von South Dakota
In Orlando ist der Ex-Präsident präsent. Zum Beispiel in den Reden, durch die sich wie ein roter Faden die „big lie“, die Verschwörungstheorie von der gestohlenen Präsidentschaftswahl 2020, zieht. Und auch bei den Pausen im Hotelrestaurant, als eine der Teilnehmerinnen zu ihrer Nachbarin sagt: „Man muss diese Typen finden. Sie sind alle Verräter. Hört auf, so nett zu sein.“
Gemeint sind mit „diesen Typen“ all jene Republikaner, die sich gegen Trump gestellt haben und nach dem Sturm auf das Kapitol am 6. Januar gehofft hatten, dass dies nun wirklich sein politisches Ende sei. War es nicht, wie gerade wieder bei seiner jüngsten Rallye am Samstagabend in Iowa, dem ersten Vorwahlstaat für die Wahl 2024, deutlich wurde.
Nur: So richtig verkörpert der 75-Jährige die Zukunft der Partei nicht mehr. Auch werden die Rufe, dass eine der beiden Parteien endlich mal eine Frau ins Rennen schickt, bei der nächsten Wahl noch lauter werden als bei der letzten, als am Ende zwei alte weiße Männer gegeneinander antraten.
Die Demokraten tun das womöglich mit Vizepräsidentin Kamala Harris, falls Joe Biden nach einer Amtszeit genug hat. Auch das erhöht den Zugzwang bei den Republikanern und rückt den Fokus auf Politikerinnen mit Regierungserfahrung, wie die ehemalige Gouverneurin von South Carolina und Ex-UN-Botschafterin Nikki Haley, von der viele annehmen, dass sie antreten wird. Und eben Kristi Noem.

Die Gouverneurin von South Carolina und Ex-UN-Botschafterin gilt vielen als mögliche republikanische Kandidatin für 2024.
Noem wird am Samstagnachmittag von Sandy Rhoden, der Ehefrau ihres Stellvertreters Larry Rhoden, mit einem Kompliment begrüßt, das wohl nur wertschätzen kann, wer in den Weiten Amerikas lebt: „Sie ist zäher als ein Steak im Wafflehouse.“
Noem habe in der Pandemie Kurs gehalten. „Sie gab den Bürgern von South Dakota die Wahl: Sie übte im freisten Staat der Welt niemals Zwang aus. Sie gab den Menschen Hoffnung.“ Noem selbst sagt, sie sei viel kritisiert worden, aber: „Die Menschen in South Dakota sind heute glücklich.“
Das Hashtag der Veranstaltung in Orlando lautet #LaunchingLeaders, es geht darum, Führungspersönlichkeiten hervorzubringen, also Frauen zu ermutigen, Verantwortung zu übernehmen. Mit Vorträgen und Workshops, etwa über Tricks fürs Fundraising, die Gefahren der „Critical Race Theory“ der Linken oder das „Keep-Nine-Amendment“ für eine Begrenzung auf neun Supreme-Court-Richter, sollen die Frauen ermutigt werden, sich offensiv für den Erfolg der Republikanischen Partei einzusetzen. Sie sind, so tönt es in den Reden, wahlweise „das Rückgrat“ oder „die Zukunft“ der Partei.
Dass sich die GOP mit den Frauen in Wahrheit etwas schwertut, darauf weisen nüchterne Statistiken hin. Zum Beispiel die: Auch wenn das Jahr 2020 bei beiden großen Parteien als das „Jahr der Frauen“ ausgerufen wurde und seitdem eine Rekordzahl von 143 Politikerinnen in Senat und Repräsentantenhaus vertreten sind, gehören lediglich 37 von ihnen den Republikanern an. Zu den Demokraten zählen mit 106 fast drei Mal so viele. Oder die: Für Biden stimmten 57 Prozent der Wählerinnen (und 45 Prozent der Männer), für Trump lediglich 42 Prozent (und 53 der Männer).
Die GOP hat, das weiß Noem, bei Wählerinnen Luft nach oben. Das war nicht immer so: Immerhin gehörte, auch das wird bei der Konferenz erwähnt werden, das allererste weibliche Kongressmitglied der Republikanischen Partei an: Jannette Rankin aus Montana wurde 1916 in das Repräsentantenhaus gewählt. Seitdem hat sich vieles verändert, unter anderem, dass der Einsatz für Frauenrechte heutzutage vorwiegend als Kampf progressiver Kräfte gesehen wird.
Gegenentwurf zum progressiven Feminismus
Die NFRW hat sich mit dem Hotel eine gigantische Trutzburg für ihre Konferenz ausgesucht, umgeben von einer tropischen Gartenanlage und in unmittelbarer Nähe zu den riesigen Vergnügungsparks, die jedes Jahr Millionen Besucher anziehen. „Amerikanischer“ geht es kaum. SeaWorld ist knapp vier, Disneyland 16 Kilometer entfernt. Auf dem Hotelgelände gibt es eine Golfanlage, Außenpools und zahlreiche Geschäfte.
„Shop until you drop“ (kauft bis zum Umfallen ein), ruft eine der Begrüßungs-Rednerinnen den Teilnehmerinnen zu – um Klischees macht man sich hier eher wenige Gedanken. Im Gegenteil: Hier ist frau stolz, feminine Seiten zu zeigen. Es ist der Gegenentwurf zum progressiven Feminismus, wie ihn etwa Alexandria Ocasio-Cortez, die Linken-Ikone im Kongress, oder Vizepräsidentin Harris vertreten.
Diese offen zur Schau gestellte weibliche Seite sollte indes nicht mit Harmlosigkeit verwechselt werden. Nach Orlando sind keine schüchternen Heimchen gereist, die ein paar Tage lang der Hausarbeit entkommen wollen.
Alle Frauen, die hier sind, sind auf derselben Mission: Sie sind entschlossen, das Land vor der „radikalen Linken“ zu retten. Sie haben feste Prinzipien, und: Viele von ihnen wollen gerne selbst Macht übernehmen.
Einfache, verständliche Parolen
Es sind einfache, verständliche Botschaften, mit denen die Republikaner dieser Tage für sich werben. Freiheit, Religion und Patriotismus stehen dabei ganz vorne. Sie alle eint das Grundmisstrauen in eine „übergriffige“ Regierung.
Noem sagt: „Seid vorsichtig, um was ihr eine Regierung bittet. Eine Regierung, die alles für dich erledigt, ist gleichzeitig mächtig genug, dir alles zu nehmen.“ Viele der Frauen in Orlando bezeichnen sich als „Jesus-Follower“, ausnahmslos alle sind gegen Abtreibungen und „cancel culture“, zudem stehen sie, wie sie betonen, hinter Polizei und Ordnungskräften.
Und sie wollen keinen Wohlfahrtsstaat – was bei ihnen gleichbedeutend mit der Einführung von Sozialismus oder gar Kommunismus ist. In ihrem Verständnis geht es um mehr als die Frage, welche Partei künftig die Mehrheit im Kongress stellt. Es geht darum, ob die „Republik Amerika“ untergeht – oder eben nicht.
Viele von ihnen nennen einen speziellen Grund, der sie politisiert hat. Zum Beispiel Awet Gebremariam, eine äthiopisch-stämmige Kalifornierin. Am Ende des ersten Konferenztages steht die hochgewachsene Frau in weißen Leinenhosen und Rippen-Top vorne links neben der Bühne. Perlenohrringe, knallroter Lippenstift.
Sie zählt auf: „Ich bin wettbewerbsorientiert und finde es wichtig, selbstständig zu sein. Aber vor allem stört mich, wie das Thema Transgender diskutiert wird. Wir sind eine sportliche Familie, dass ein Mann nun einfach als Frau an Wettkämpfen teilnehmen kann, geht gar nicht.“
Auch Kristi Noem hat eine Geschichte parat über den Moment, der sie politisiert hat. Das war, so erzählt sie, als ihr Vater mit 49 Jahren bei einem Unfall ums Leben kam und sie auf einmal mit immens hohen Erbschaftssteuern – „damals waren es 55 Prozent“, ungläubiges Stöhnen im Saal – konfrontiert war. „Wir hatten rund zehn Hektar Land, besaßen mehrere Hundert Kühe, diverse Landmaschinen – aber kein Geld auf dem Konto.“
Sie habe nicht glauben können, dass eine Familie im Fall einer Tragödie der Bundesregierung so viel Geld schulden könne, dass sie riskiere, alles zu verlieren. „Da bin ich wütend geworden“, ruft sie am Samstag von der Bühne. Der Applaus im Saal zeigt: Das Thema Steuern bleibt ein Kernthema der Konservativen, auch wenn die Identitätspolitik immer mehr Raum einnimmt.
Heutzutage wirkt es so, als ob es nur noch ums Gendern geht. Ich bin wirklich verwirrt, wer noch Mädchen ist und wer Junge. Gott war sich da nie unsicher. Kristi Noem, Gouverneurin von South Dakota
Bei Noem klingt das so: „Häufig werde ich vorgestellt als die erste Gouverneurin von South Dakota. Und natürlich macht mich das sehr stolz. Gleichzeitig nervt mich das manchmal.“ Ihre Geschwister und sie seien von Eltern erzogen worden, die keinen Unterschied zwischen Jungs und Mädchen gemacht hätten. „Es gab einfach Arbeit, die erledigt werden musste.“
Der nächste Satz geht im Applaus unter. „Heutzutage wirkt es so, als ob es nur noch ums Gendern geht. Ich bin wirklich verwirrt, wer noch Mädchen ist und wer Junge. Gott war sich da nie unsicher.“ Gejohle im Saal, so was kommt hier an.
Noem versucht, sich als oberste Hüterin des Konservativismus zu installieren. Im März erließ sie eine Verfügung, die Transgender-Mädchen und -Jungen von Wettkämpfen ausschließen sollte. Derzeit erwägt ihr Staat ein Gesetz nach dem Vorbild von Texas, das Abtreibungen nach der sechsten Woche verbietet.
Anlauf gegen Abtreibung
Was Frauen wie Noem gleichzeitig so erfolgreich und gefährlich macht, ist die Mischung aus Härte und einer Art Feminismus, der so ganz anders als der auf der linken Seite des politischen Spektrums ist. Noem spricht klar und frei, sie lächelt eher sparsam, an ihr ist wenig Mädchenhaftes. Dass sie attraktiv ist, weiß die 49-Jährige. Sie selbst sagt, es störe sie, dass Männer das immer zum Thema machten – in der Absicht, ihr zu schaden.

Amy Coney Barrett, von Trump noch kurz vor der Wahl ernannte Supreme-Court-Richterin.
Sie erzählt die Geschichte von Jeannette Rankin, die erste Abgeordnete, die ganze drei Jahre vor der Einführung des Frauenwahlrechts in den Kongress gewählt wurde. „Was ich daran so beeindruckend finde, ist, dass Jannette nicht einfach abgewartet hat, dass ihr jemand anderes die Erlaubnis gibt, was sie tun, über was sie sprechen und für was sie sich einsetzen soll. Sie ging hinaus, kämpfte und wurde gewählt.“
Die Ranchers-Tochter Noem, die gerne den Satz anbringt: „Ihr sattelt besser die Pferde und macht euch bereit für das, was ich gleich sage“, hat eine klare Botschaft. Republikanerinnen wie ihr müsse keiner erklären, was Gleichberechtigung bedeute. „Ich sage schon lange: In diesem Land gibt es keine Frauenthemen. Ich bin indes davon überzeugt, dass es eine weibliche Perspektive zu jedem einzelnen Thema gibt.“
Warum, so fragt sie in den Saal, bewerben sich Frauen nicht für Ämter und Mandate? Unter anderem, weil ihnen dieses Verhalten so vermittelt werde. Oft genug habe sie gehört, Frauen könnten nicht gleichzeitig kandidieren und erfolgreiche Mütter sein. Nur darum sei es überhaupt zu der Grundsatzentscheidung im Abtreibungsrecht „Roe v. Wade“ gekommen – „mit genau dieser Argumentation“.
Konservative im ganzen Land nehmen derzeit Anlauf, diese Entscheidung des Supreme Courts von 1973 zu kippen, mit der eine Schwangere bis zu jenem Zeitpunkt, an dem ein Fötus lebensfähig wird, eine Abtreibung vornehmen darf.
Seit vergangenem Jahr setzen sie alle Hoffnungen in eine weitere mächtige Frau in Washington: in die von Trump noch kurz vor der Wahl ernannte Supreme-Court-Richterin Amy Coney Barrett. Sie ist 49 Jahre alt, erzkonservativ, christlich – genauso sieht für die Frauen in Orlando die Zukunft aus.
Dieser Text ist zuerst im Tagesspiegel erschienen.
Mehr: Hitze, Dürre, Brände – und Bidens Klima-Revolution kommt kaum voran.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.