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Menschenrechte „Gesamteinschätzung negativ“: EU-Fachleute kritisieren Lieferkettengesetz der Kommission

Der Normenkontrollrat stellt dem geplanten Gesetz ein verheerendes Zeugnis aus, wie ein internes Papier zeigt. Nun muss die EU-Kommission von vorne beginnen.
23.06.2021 - 11:08 Uhr Kommentieren
Das Gesetz soll Unternehmen verpflichten, die Einhaltung von Menschenrechten, Arbeitsnormen und Umweltvorschriften nicht nur im eigenen Betrieb zu kontrollieren, sondern auch bei ihren Lieferanten im Ausland.  Quelle: obs
Fabrikarbeiter

Das Gesetz soll Unternehmen verpflichten, die Einhaltung von Menschenrechten, Arbeitsnormen und Umweltvorschriften nicht nur im eigenen Betrieb zu kontrollieren, sondern auch bei ihren Lieferanten im Ausland. 

(Foto: obs)

Brüssel Das Urteil findet sich auf der ersten Seite, gleich unter der Überschrift. „Gesamteinschätzung: Negativ“ steht dort in großen Lettern. Der Ausschuss für Normenkontrolle, ein unabhängiges Gremium der EU-Kommission, hat dem geplanten europäischen Lieferkettengesetz ein verheerendes Zeugnis ausgestellt. 

„Die Problembeschreibung ist vage“, kritisieren die Fachleute in einem vom 7. Mai datierten internen Papier, das dem Handelsblatt vorliegt. Die Verhältnismäßigkeit sei nur „unzureichend“ geprüft und „abweichende Ansichten“ von Betroffenen seien nicht im erforderlichen Maß berücksichtigt worden. 

Die europäischen Normenkontrolleure schreiben: „Die behauptete unzureichende Nachhaltigkeitspraxis in Unternehmen betrifft ein breites Spektrum von klima-, umwelt-, menschenrechts-, sozial- und gesundheitsbezogenen Themen und deren interne und externe Auswirkungen.“ 

Bevor das Gesetzgebungsverfahren fortgesetzt werden könne, müsse die Kommission klären, „welches Problem mit dieser Initiative angegangen werden soll und warum es nicht ausreichend durch bestehende oder geplante sektorale und horizontale Rechtsvorschriften oder Initiativen des Privatsektors abgedeckt ist“. Mit anderen Worten: Die Kommission muss besser erläutern, warum das Gesetz überhaupt benötigt wird.

Eigentlich wollte die Brüsseler Behörde ihren Vorschlag für das Lieferkettengesetz noch vor der Sommerpause präsentieren. Daraus wird nun nichts mehr. Nach dem Votum des Normenkontrollgremiums muss die EU-Kommission von vorne beginnen. Erst im Herbst, heißt es nun, könne der Gesetzesentwurf vorgelegt werden, der dann vom EU-Parlament und von den Mitgliedstaaten angenommen werden muss. 

In der Kommission bemüht man sich, die Verzögerung herunterzuspielen. Negative Zwischeneinschätzungen der Normenkontrolleure seien keine Seltenheit, so ist zu hören. Es müsse sichergestellt sein, dass die richtige Balance gefunden werde. 

EU-Parlament macht Druck

Doch das ist gar nicht so einfach – was auch daran liegt, dass an der Gesetzgebung mehrere meinungsstarke Kommissare beteiligt sind: Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton, der vor allem die Industrie im Blick hat, der Justizkommissar Didier Reynders, der tief greifenden Vorschriften selten abgeneigt ist, und die für Werte zuständige Vizekommissionschefin Vera Jourova.  

Auch das EU-Parlament macht Druck: „Immer noch gelangen viel zu viele Produkte auf den europäischen Markt, die auf der Ausbeutung von Kindern beruhen“, sagte die Grünen-Europapolitikerin Anna Cavazzini.

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Die EU und die Mitgliedstaaten müssten „entschlossen handeln“, um den Widerspruch zwischen internationalen humanitären Verpflichtungen und der Realität europäischer Handelspolitik „endlich aufzulösen“. Erst am Montag haben die Grünen eine Studie vorgestellt, der zufolge die EU jährlich Produkte im Wert von 50 Milliarden Euro importiert, an denen Kinder mitarbeiten mussten.

Das Lieferkettengesetz würde solche Missstände nach Ansicht von Befürwortern verhindern. Denn es soll Unternehmen verpflichten, die Einhaltung von Menschenrechten, Arbeitsnormen und Umweltvorschriften nicht nur im eigenen Betrieb zu kontrollieren, sondern auch bei ihren Lieferanten im Ausland. 

In Deutschland hat die Koalition von Union und SPD erst kürzlich ihren langwierigen internen Streit überwunden und ein nationales Lieferkettengesetz verabschiedet. Die EU plant eine europäische Regelung, die erheblich weitergeht als der deutsche Koalitionskompromiss. So klammert das deutsche Gesetz den Umweltschutz aus; die EU hingegen will die Unternehmen auch dafür in die Pflicht nehmen.

Zudem will die EU die Möglichkeit schaffen, Importverbote gegen Waren aus Regionen auszusprechen, in denen es zu systematischen Menschenrechtsverstößen kommt – wie etwa in der chinesischen Provinz Xinjiang, der Heimat der unterdrückten Minderheit der Uiguren. Ob die Importverbote als Teil des Lieferkettengesetzes oder als eigener Rechtsakt beschlossen werden, diskutiert die Kommission derzeit intern. 

Gesamte Lieferkette soll betrachtet werden

Mit einem scharfen Lieferkettengesetz versucht die EU-Kommission auch, der Kritik zu begegnen, sie habe die Grundsatzeinigung über ein Investitionsabkommen mit China geschlossen, ohne auf effektive Regeln gegen Ausbeutung und Zwangsarbeit zu pochen.

Das EU-Parlament begrüßt diesen Ansatz, verliert aber langsam die Geduld. In einem Schreiben an die Kommission fordern Cavazzini und mehrere Abgeordnete anderer Fraktionen: „Wir erwarten, dass der anstehende Vorschlag der Kommission zur nachhaltigen Unternehmensführung ein Anspruchsniveau hat, das der Position des Europäischen Parlaments entspricht.“ 

Zu den Forderungen der Abgeordneten zählt, dass Unternehmen nicht nur ihre unmittelbaren Zulieferer, sondern auch die Lieferanten von Lieferanten und gegebenenfalls sogar deren Lieferanten in den Blick nehmen, also die gesamte Lieferkette. Zudem sprechen sich die Parlamentarier für klare Haftungsregeln aus und verlangen, dass auch kleine und mittelständische Unternehmen von den Regelungen erfasst werden, sofern sie börsennotiert sind. 

All das sind Regelungen, die die deutsche Wirtschaft im nationalen Gesetzgebungsprozess verhindert hat. Bei Unternehmensvertretern wächst nun die Sorge, dass das EU-Gesetz zum bürokratischen Monstrum wird – und dass das Votum des Normenkontrollrats es nur verzögert, nicht verhindert. 

Mehr: Deutsche Unternehmen in China geben sich erstmals einen Verhaltenskodex für ihre Lieferketten.

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